Von Ingo Pietsch

Muffiger Geruch strömte ihnen aus der Höhle entgegen, als Christian eines der morschen Bretter mit seiner Brechstange weghebelte.

Seine Begleiterin, Rebekka hielt eine Taschenlampe, da es schon zu dämmern begann.

Als Archäologen auf der Suche nach mystischen Artefakten waren sie ständig unterwegs.

Rebekka leuchtete den Boden ab, der sich im Halbdunkel zu bewegen schien.

Sie machte einen Satz rückwärts und eine kleine Armee Skorpione verschwand in der Dunkelheit.

Nichts Außergewöhnliches in Ägypten, fünf Kilometer südlich der großen Pyramiden.

Rebekka strich eine Strähne ihres roten, lockigen Haares von der verschwitzten Stirn.

„Lass uns hier bloß schnell wieder verschwinden“, meinte sie nur.

„Ladys first“, antwortete Christian mit einer einladenden Geste.

Sie trugen beide dicke Halstücher um den Mund, um es dem Sand, Schimmelsporen und Gasen schwerer zu machen.

Die Höhle war sehr groß und leider schon vor ewigen Zeiten geplündert worden.

Eine dicke Sandschicht bedeckte den Boden, der vollkommen unberührt war.

In der hintersten Ecke stand ein steinerner Sarkophag. Der Deckel zerbrochen und an die Seite gelehnt.

Rebekka zuckte mit den Schultern und sie schlurften gemeinsam dorthin.

Die Enttäuschung stand ihnen in die Gesichter geschrieben, da es hier nichts mehr zu entdecken gab.

Aber dafür zierten verblichene Hieroglyphen Wände und Decke.

„Hier steht: `Der Skarabäus führt zum ewigen Leben. Hier ruht der Hohepriester´. Den Namen kann ich nicht mehr entziffern. Er wurde unkenntlich gemacht!“

Rebekka suchte weiter. „Der Name ist überall entfernt worden. Weiter heißt es, dass der damalige Pharao, sein Name wurde auch ausgelöscht, den Hohepriester verdammt hatte, `ewig tot und gleichzeitig lebendig´ zu sein. Anscheinend hatte er ein Verhältnis mit dessen Ehefrau gehabt, die, ich zitiere `von den Sternen kam und auf der Erde gestrandet war´. Und dann noch: `Der Skarabäus ist der Schlüssel´.“

Sie sah Christian an.

Der reagierte nicht und starrte sie an, als sei sie mehr als nur eine Kollegin.

„Der Skarabäus!“, sagte sie eindrücklicher.

Christian zuckte zusammen und wühlte in seiner Hosentasche herum.

Er fischte einen steinernen Mistkäfer in der Größe seiner Handfläche hervor.

Er leuchte bläulich aus seinem Inneren heraus, was er bisher nicht getan hatte.

„Aber dieses Amulett macht doch bestimmt nicht unsterblich.“ Christian schwenkte den in seiner Hand liegenden Käfer hin und her. Richtung Ausgang strahlte er stärker.

„Zurück nach draußen?“, fragte Rebekka.

Als sie den Eingang passierten, erlosch der Skarabäus.

„Keine Ahnung“, meinte Rebekka.

Nicht unweit wurde eine Leuchtrakete in den Himmel geschossen.

Schüsse fielen und man konnte zwei verschiedene Gruppen kämpfen sehen.

„Das ist bestimmt Goldstein mit seinen Söldnern, der sich mit der hiesigen Miliz oder Grabräubern angelegt hat. War ja nur eine Frage der Zeit, bis er hier auftaucht. Wir sollten verschwinden.“

Wie aufs Stichwort flog ein Geschoss aus einer Bazooka abgefeuert auf ihren Jeep zu und ließ ihn explodieren.

„Los rein, in Deckung.“ Christian griff Rebekka am Arm und zog sie mit ins Grabmal hinein.

„Mist, wir sind hier gefangen. Schau Mal, der Skarabäus leuchtet wieder.“ Christian zielte mit dem Amulett auf den Türrahmen.

Das blau wurde immer heller.

Eine weiterer Einschlag in der Nähe ließ den Boden erbeben und Staub von der Decke rieseln.

Sie erkannten eine Vertiefung genau wie für den Skarabäus gemacht.

„Ein Schlüsselloch?“

„Probieren wir es einfach aus.“ Christian steckte den Käfer in das Loch. Das Leuchten pflanzte sich vom Käfer über den ganzen Türrahmen fort und bildete ein strahlendes Tor.

„Sollen wir?“ Die Antwort darauf waren herabstürzende Trümmer im hinteren Teil der Höhle.

„Los!“, schrie Rebekka und rannte los. „Vergiss den Skarabäus nicht!“ Sie verschwand im Licht.

Christian entfernte das Amulett und augenblicklich wurde der Durchgang verschwommener. Mit einem Satz setzte er nach.

Dunkelheit umfing ihn, als er auf weichem Sand landete und sich abrollte.

Etwas wurde ihm in die Seite gedrückt. „Los, aufstehen!“, wurde ihm im glasklarem Deutsch und barschen Ton befohlen.

Langsam konnte er alles wieder um sich herum erkennen. Erst undeutlich, aber schon besser.

Die Tür zum Grab war aufgesprengt worden und anscheinend war immer noch Nacht.

Er fand sich mitten in dem Raum wieder, aber alles war unberührt. Scheinwerfer erhellten die Wände. Ein Benzin-Generator brummte im Hintergrund. Überall lagen einfache Grabbeilagen verstreut; hatte man dem Priester dann doch etwas dagelassen, damit er niemals wieder zurückkehren möge.

Christian war umringt von Soldaten. Einer hielt Rebekka mit den Händen auf dem Rücken gefangen.

Der Kleidung nach zu urteilen, den Waffen und den roten Armbinden handelte es sich um Nazi-Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg.

Hatten sie einen Zeitsprung erlebt? Alles deutete darauf hin.

Ein Mann mit Brille, Melone und langem Mantel kam auf ihn zu.

Er begutachtete Christian und Rebekka. „Sie sind nicht von hier!?“

„Nein“, antwortete Christian. „Aber es wäre nett, wenn Sie uns freilassen würden. Wir sind schließlich Landsleute. Und haben auch die gleichen Interessen.“ Er nickte Richtung Sarkophag.

„Wer schickt Sie?“, wollte der Mann wissen.

„Das Berliner Kunstmuseum. Der Führer meinte, Sie könnten Unterstützung gebrauchen. Sein Telegramm ist anscheinend nicht angekommen.“ Christian blickte Rebekka an, ja nichts zu sagen.

„Der Führer“, murmelte der Mann und ging langsam im Kreis. „Nun gut, dann helfen Sie mir den Sarkophag zu öffnen, Herr?“

„Laubner. Und das ist Frau Schulz. Gerne helfen wir Ihnen.“

Die Soldaten senkten auf ein Handzeichen die Waffen und sie gingen zu dem steinernen Kasten, während die anderen Fotos machten und Gegenstände in Kisten verluden.

„Der Führer unterstützt plötzlich Wernher von Thule. Das ich das noch erleben darf.“ Er hustete kehlig in seine Hand. „Wissen Sie, ich habe nicht mehr lange zu leben und meinen Quellen zufolge, liegt hier das Geheimnis zum ewigen Leben verborgen. Selbstverständlich muss ich das erst prüfen, bevor ich es dem Führer präsentiere.“

„Natürlich“, bestätigte Christian.

Mit Brechstangen hebelten sie den Deckel auf.

Darunter befand sich der eigentliche Sarg.

Nicht prunkvoll, aber aus massivem Metall.

„Dort ist eine Vertiefung in Form eines Skarabäus. Leider habe ich keinen Schlüssel. Also werden wir wohl sprengen müssen.“ Thule winkte einen seiner Männer heran.

„Wir haben den Schlüssel“, sagte Christian schnell. Er wusste nicht, was sich darin befand, aber er wollte auch auf keinen Fall, dass es zerstört wurde. Er war nun mal durch und durch Archäologe.

Er reichte Thule den Käfer.

Der legte ihn in die Vertiefung.

Mit einem Zischen schob sich der Deckel zur Seite.

Nebel stieg auf und als er sich verflüchtigt hatte, konnten sie eine Mumie in erbärmlichem Zustand erkennen. Halb zerfallen. Das Fleisch verfault, teilweise die Knochen unter den Bandagen sichtbar, aber nicht gänzlich ausgetrocknet.

In den gekreuzten Händen hielt die Mumie einen Dolch.

Thule entriss ihn der Mumie. Er grinste wahnsinnig. „Ich kann seine Macht regelrecht spüren.“

Mit widerlichen Geräuschen von knackenden Knochen und reißendem Fleisch entstieg der verdammte Priester seinem Sarg.

„Erschießt das Ding, wir verschwinden.“

Thule ging zum Ausgang.

Christian und Rebekka folgten, ohne die Mumie aus den Augen zu lassen.

Maschinengewehrfeuer hagelte auf den Priester ein. Viele Kugel durchschlugen den Körper oder rissen Teile davon in alle Richtungen. Doch nichts schien das Ding aufzuhalten.

Ein Soldat nach dem anderen wurde von der Mumie zerfetzt.

Sie krächzte etwas.

„Halt!“, übersetzte Rebekka.

Thule drehte sich um.

„Er will den Dolch zurück und lässt uns dann alle unversehrt gehen“, fuhr Rebekka fort.

„Nur über meine Leiche!“ Thule wandte sich um.

Christian und Rebekka standen wie angewurzelt da, als die Mumie mit unglaublicher Geschwindigkeit vorsprang, Thule am Arm griff und mit ihm zum Sarkophag hetzte.

„Helft mir, bitte!“, flehte Thule.

Regungslos standen sie da, die Mumie nicht aus den Augen lassend.

„Das werdet ihr mir büßen! Wie sehen uns wieder und dann …“ Der Deckel schloss sich über der Mumie, die Thule mit hineingezogen hatte und verschluckte die letzten Worte.

„Das Amulett!“ , rief Rebekka geistesgegenwärtig.

Sie entfernten es aus dem Deckel.

„Und jetzt sollten wir verschwinden“, meinte Christian.

„Das Portal? Hoffentlich bringt es uns in unsere Zeit zurück“, wünschte sich Rebekka.

Draußen, am Ausgang, sahen sie weitere Soldaten auf sie zustürmen.

Und auch Goldstein, keinen Tag jünger oder älter: „Thule, wo sind Sie?“, schrie er.

„Ich verstehe gar nichts mehr.“ Rebekka schüttelte den Kopf und aktivierte den Skarabäus.

„Ich auch nicht.“ Beide sprangen wieder durch das Portal.

 

Als beide aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachten, fanden sie sich in einem Dschungel wieder. Die Höhle war verschwunden. Es gab nur massiven Felsen.

Sie klettern auf das Felsplateau und blickten zu den großen Pyramiden. Alles war zugewachsen. Von Wüste keine Spur. Die Pyramiden sahen aus wie neu errichtet. Weiß, glatt verputzt mit goldenen Spitzen, aus denen elektrische Blitzte in den Himmel zuckten und ein Raumschiff scheinbar mit Energie versorgten.

„Und nun?“, fragte Rebekka.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“ Christian betrachtete den Skarabäus in seiner Hand, der heller leuchtete als zuvor.