Von Angela Thöming

Was nutzt einem die schönste Wahrheit, wenn einem keiner glaubt?

Die behaupten doch glatt, ich hätte mir das nur eingebildet. Aber alles der Reihe nach…

Das letzte, an das ich mich erinnere, ist eine dicke, geballte Faust, die mir entgegen donnert.
Dann ging das Licht aus.

 

+++

 

Was ist denn jetzt los? Wo bin ich?

Ich erblicke Hans-Werner. Er befindet sich ungefähr zwei Meter unter mir. Die Dumpfbacke steht wie angewurzelt mitten in meinem Wohnzimmer und guckt noch blöder als sonst.
Vor ihm liegt eine Person scheinbar leblos am Boden. Ich kann nichts Genaues erkennen, aber es handelt sich wohl um einen Mann. Seine Statur kommt mir irgendwie bekannt vor.

Hans-Werner wirkt in höchstem Maße angespannt. Er scheint den wehrlosen Mann anzubrüllen, aber alles klingt dumpf, wie durch Watte.

 

Was macht er denn jetzt? Ist er verrückt geworden?

 

Er schlägt dem armen Kerl ein paarmal kräftig ins Gesicht und schüttelt ihn wie wild.
Aber der rührt sich nicht.

„Hey!“ Ich versuche ihn zu stoppen, aber Hans-Werner macht einfach weiter, als sei ich Luft.

 
Jetzt schleift er den schlaffen Körper auch noch Richtung Keller! Ich sehe das Gesicht des Mannes.
Moment mal! Das bin ja ich!

Wo will der Kerl mit mir hin?

 

Leicht wie eine Feder schwebe ich ihm nach. Er befördert mich -oder besser meine smarte Hülle- schnurstracks die Kellertreppe hinunter und öffnet den Deckel der Tiefkühltruhe. Er will mich doch nicht etwa da hineinhieven? Das wäre mein sicherer Tod!

 

Ach so. Tot bin ich anscheinend schon.

 

Bei dem Gedanken läuft mir ein Schauer über den Rücken. Es kann aber auch der Luftzug aus der Kühltruhe gewesen sein.

„Hallo Dieter“, vernehme ich plötzlich eine zarte Stimme. Ein feeähnliches Wesen befindet sich auf gleicher Höhe mit mir.

„Wer sind Sie?“, frage ich erstaunt.

„Ich bin Augustine, Dein Schutzengel“, antwortet sie.

Mein Schutzengel? Eine Frau? Das konnte ja nicht gut gehen. Mit Frauen hatte ich noch nie Glück!

„Bisschen spät dran, was?“, entfleucht es mir.

„Ich werde hier sein, wenn Du zurückkehrst“, höre ich sie noch sagen, bevor sie vor meinen Augen verschwindet.

Zurückkehren? Von wo? Etwa aus der Kühltruhe? Glücklicherweise ist diese fast bis zum Rand voll. Frau Hähnlein, mein Putzengel, hat die Lammkeulen für ihre Familienfeier darin deponiert. Nett wie ich bin (oder war..?), habe ich ihr das gestattet.

 

Aus besagtem Platzmangel lädt Hans-Werner mich kurzerhand auf dem harten Betonboden ab. Es scheint ihm völlig egal zu sein, ob ich bequem zu liegen komme oder nicht.

Dabei wollte er mal Bestatter werden…

Jetzt rast er die Kellertreppe hinauf. Ich nehme die Verfolgung auf und düse leicht wie eine Papierschwalbe hinter ihm her. Wenn Marietta mich jetzt sehen könnte…

Auf dem Weg nach draußen wirft mir dieser Knallkopf die Haustüre vor der Nase zu!

Naja. Rücksichtslos war er ja schon immer.

Aber ha!

Ich gleite hindurch und lande wie durch Geisterhand auf dem Beifahrersitz  seines Wagens.

Plötzlich ahne ich etwas von den unbegrenzten Möglichkeiten, die mein unfreiwilliges, momentanes Dasein mit sich bringt. Ich kann anstellen, was ich will und keiner kann mich dafür belangen!

Als ich den Glatzkopf neben mir einsteigen sehe, muss ich unwillkürlich an Otto Waalkes denken: „Großhirn an Faust, bitte ausfahren…!”
Aber meine Muskeln gehorchen mir nicht. So ein Mist! Es wäre ja auch zu schön gewesen.

 

Ich schaue zu dem Verursacher meines Übels hinüber und frage mich, wie Marietta diesen Glatzkopf mit Doppelkinn heiraten konnte? Meine „wilde” Marietta. Zeitlebens war sie der „Was kostet die Welt in Dosen-Typ” und jetzt fristet sie ihr Dasein mit diesem Landheini namens Hans-Werner Ustig. Spießiger geht’s nicht.

Der scheint im Moment irgendwie von der Rolle zu sein. Er ist hypernervös und schwitzt aus allen Poren. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut, so diszipliniert, wie der immer getan hat. Naja, er hat mich auf dem Gewissen. Da würde ich auch nicht cool bleiben.

 

Er fährt mit eindeutig überhöhter Geschwindigkeit und natürlich ist mal wieder kein Polizist in der Nähe! Ein hübsches Knöllchen und ein paar Punkte in Flensburg müssten für mein verfrühtes Ableben doch drin sein!

Aber anscheinend ist das Glück mit die Doofen, wie man bei uns sagt.

 

Ich überlege, wie ich dieser Wurst im Anzug den Garaus machen könnte. Ins Lenkrad greifen und mit Karacho vor den nächsten Baum setzen! Ich bin ja fein raus und um den Eierkopf neben mir wäre es eh nicht schade. Aber kein einziger Muskel regt sich. Anscheinend habe ich keine mehr.

 

Hans-Werners Freisprechanlage meldet sich zu Wort: „Hallo, mein Schatz. Wo bleibst Du denn?“ Es ist Mariettas liebliche Stimme.

Schatz! nennt sie den Trottel, der mit seinen klebrigen Schweißfingern das Lenkrad verschmiert.  Wenn ich mir vorstelle, dass er damit meine Marietta begrapscht …!

„Es ist etwas furchtbares passiert“, hechelt der bloß. „Ich bin gleich da.“

 

Ein paar Minuten später hält der Landheini den Wagen vor seinem Haus. Marietta läuft ihm entgegen.
„Was ist passiert, Schatz? Du siehst ja furchtbar aus…!”
Schatz! Schon wieder! Mir hätte sich der Magen umgedreht, wenn ich noch einen hätte. Aber anscheinend bin ich nur noch ein Hauch von nichts.

Der Fettwanst drängt seine Göttergattin ins Haus. Leicht wie der Wind folge ich ihnen ins Wohnzimmer.

In sämtlichen Regalen stehen Fotorahmen mit Bildern von ihrer Hochzeit. Marietta sieht auf jedem wunderschön aus. Naja, neben diesem Hans Wurst (der Name passt weitaus besser zu seinen Initialen) würde jede Frau schön aussehen. Wenn auch nicht sooo schön.
Hans-Werner wirkt neben ihr wie Miss Piggy in männlich.
Am liebsten würde ich mit einem Rundumschlag alle Bilder aus den Regalen fegen, bis sie klirrend zu Boden krachen. Aber nichts geht mehr.

Hans-Werner hat derweil eine heiße Debatte mit Marietta, meiner Marietta. Sie gehört zu mir und nicht zu dieser Kartoffel. Ihre heimlichen Blicke haben mir das deutlich signalisiert. Natürlich streitet sie das ab, aber mich täuscht sie nicht.
 

Meine Gehörgänge passen sich allmählich wieder den weltlichen Frequenzen an und ich höre, wie sie sagt: „Wir müssen den Kerl loswerden!“

 

Den Kerl? Wen meint sie damit? Doch wohl nicht mich! Das kann unmöglich sein.
Vielleicht hat ihr Killer-Gatte noch mehr Leichen im Keller…?

 

„Ich hab Dir gleich gesagt, Reden bringt nichts“, fährt sie fort. „Was machen wir jetzt?“

„Wir müssen die Leiche verschwinden lassen“, jammert Killer H.-W.

Die beiden rasen zurück zum Auto mit mir im Gefolge.

H.-W. legt einen Zahn zu und fährt noch um einige km/h schneller als auf der Hinfahrt. Aber diesmal hat der Doofe kein Glück. Zack!  Mitten auf der Strecke wird sein Wagen geblitzt. Wenigstens eine kleine Genugtuung.

 

Aber der Heiopei rast einfach weiter.

„Wie kommen wir bloß ins Haus? Ich hab vorhin die Tür zugeschmissen und keinen Schlüssel. Hoffentlich ist die Kellertür auf.“

„Notfalls müssen wir sie aufbrechen. Werkzeug ist sicher im Kofferraum“, höre ich Marietta sagen.

Als Komplizin von diesem kriminellen Dorfdeppen macht sie sich gar nicht schlecht. Aber kann es sein, dass sie mit dem unter einer Decke steckt…?

 

Natürlich ist das Glück mal wieder mit die Doofen und als wir ankommen, ist die Kellertür weit aufgerissen.

Beide stürmen hinein und ich per Gleitflug hinterher.

Ich sehe mich, also eher meinen leblosen Körper, der immer noch neben der Kühltruhe in sehr unbequemer Position verharrt und höre wie Marietta sagt: „Los. Pack mit an. Wir schleppen ihn zum Wagen und verstauen ihn erstmal im Kofferraum, bevor ihn einer findet.“

 

Wie ist es möglich, dass Marietta diese üble Missetat an mir auch noch decken will? Ich bin schwerst enttäuscht! Das hätte ich nie für möglich gehalten. Frauen..!

 

In dem Moment kommt Rettung. Frau Hähnlein, mein Putzengel, stürmt mit zwei uniformierten Beamten die Treppe hinunter. Sie ist völlig aufgelöst. „Ich hab ihn hier gefunden, als ich etwas aus der Truhe holen wollte. Und dann sah ich ihn da liegen….Er hat mir den Kellerschlüssel anvertraut. …er war immer so nett…und jetzt….“ Sie ist den Tränen nah. Am liebsten würde ich sie in die Arme nehmen. Aber ich hab keine mehr.

 

„Darf ich Sie fragen, was Sie hier suchen?“ Die strenge Stimme eines der beiden Polizeibeamten richtet sich an das Gangsterehepaar Hans-Werner und Marietta Ustig. Jetzt wird’s lustig…

 

Bevor die beiden Schwerverbrecher antworten können, kommen zwei Sanitäter mit einer Trage hinzu und nehmen sich meiner armseligen Überreste an.

Einer drückt auf meinem Brustkorb herum und der andere hält mir die Nase zu und bläst dann auch noch Luft in meinen Mund.

Bei dem Anblick wird mir schlecht.

„Tschau Dieter“, die sanfte Stimme meiner Schutzengelin meldet sich neben mir. „Das ist Deine 2. Chance. Mach was draus.“ Und schon ist sie weg.

Mir wird schwarz vor Augen.

Ich verliere die Besinnung.

 

+++

 

Die Verhandlung läuft noch.

Hans-Werner hat beim Verhör doch tatsächlich ausgesagt, ich würde seine Frau seit Jahren stalken!  Er habe versucht, mit mir zu reden. Aber ich hätte ihn angegriffen und sogar gedroht, ihn umzubringen! In seiner Not habe er einmal mit der Faust zugeschlagen, um mich kampfunfähig zu machen. Dann sei er zu sich nach Hause gefahren. Aber weil seine Frau und er sich dann doch Sorgen gemacht hätten, als ich bei dem Testanruf den Hörer nicht abnahm, seien beide kurzerhand nochmal zu mir gefahren. Wie ich in den Keller gekommen sei, wüssten sie leider nicht.

 

Ich habe natürlich die Wahrheit gesagt. Mit der Version kommen die nicht durch! Die Polizei hatte ja das Blitzerfoto und das würde beweisen, dass wir auf der Rückfahrt zu dritt waren und H.-W., dieser Mistkerl, gelogen hat!

Die Polizei, mein angeblicher Freund und Helfer, hat dann doch tatsächlich behauptet, dass auf dem besagten Foto- selbst bei Mehrfachzoom- nur zwei Personen zu sehen seien! H.-W. wurde auf freien Fuß gesetzt.

Mein Vertrauen in die deutsche Justiz ist hin.

Wenn dieser Lügenbold damit durchkommt, knipse ich ihm per Faustschlag sein Licht aus und dann wollen wir doch mal sehen…!!!