Von Vanessa Wedekämper

Heimlich schlich er aus dem Ehebett. Leise öffnete er die Tür. Als er sie schloss, quietschte sie kurz, aber das schien sie nicht geweckt zu haben. Er schlich die Treppe runter, rein ins Wohnzimmer. Erst hier traute er sich, das Licht anzuschalten. Im Dunklen hätte er das Telefonkabel eh nicht gefunden. Er wusste genau, dass seine Frau immer erreichbar sein wollte, schon wegen ihrer Eltern, aber so ging es nicht weiter. Wütend zog er das Kabel aus der Buchse und ließ sich dann kraftlos auf den Sessel fallen. Erst waren es nur SMS. Dann die ständigen Anrufe auf ihr Handy. Und jetzt, seit seine Frau die Nummer blockiert hatte, ging es auf dem Haustelefon weiter. Und das die halbe Nacht. Was wollte dieser Irre nur von ihr. 

 

Die Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Marie stand nur auf, weil sie in den letzten Stunden mehr gegrübelt als geschlafen hatte. Während sie langsam den Frühstückstisch deckte, trank sie eine Tasse Kaffee und hoffte, dass er schnell wirkte. Der Duft lockte auch ihren Mann aus dem Bett. Er nahm sie in den Arm und das gab ihr Kraft. Es ärgerte sie, dass ihr Ex sie wieder so viel Energie kostete. Ihre Ehe war nur für eine kurze Zeit glücklich gewesen. Etwa nach einem Jahr fing der Albtraum an. Sie wusste, dass er ein temperamentvoller Mensch war, aber von da an schlug er sie während seiner Wutanfälle. Am Anfang dachte sie, es wäre nur eine Phase. Sie dachte, sie könnten bald wieder glücklich werden. Zwischen den Wutanfällen waren sie es ja auch. Sehr sogar. Aber dann wurde es immer unerträglicher. Mehrmals hatte er ihr in der Wut Knochen gebrochen. Seitdem lebte sie in ständiger Angst. Sie wollte nicht bei ihm bleiben. Aber sie wusste, er würde sie umbringen, wenn sie versuchen würde zu fliehen. Da war sie sich sicher. Doch nachdem sie zwei Wochen wegen innerer Blutungen im Krankenhaus gelegen hatte, wusste sie, wenn sie blieb, würde sie auch sterben. Es war nur eine Frage der Zeit. Ihre Flucht hatte sie lang und sorgfältig geplant.

Dann musste alles ganz schnell gehen. Die nötigsten Sachen zusammen gepackt. Ein paar Klamotten. Wichtige Dokumente. Ein paar Erinnerungsstücke aus der Kindheit. An der Straße parkte das Auto, das sie in ein neues Leben fahren sollte. Darin saß eine Mitarbeiterin vom Frauenhaus. Doch als Marie die Beifahrertür öffnete, überkam sie wieder die Angst. Wenn sie jetzt in das Auto stieg, gab es kein Zurück mehr. Wenn ihr Mann sie finden würde, wäre sie tot. Die Angst versuchte sie zu lähmen, sie am Gehen zu hindern. Aber Marie war stärker. Sie stieg ins Auto. Die Mitarbeiterin brachte sie ins Frauenhaus, wo Marie sich ein neues Leben aufbaute.

Auch wenn sie nachts oft Albträume hatte, verlief ihr Leben endlich wieder normal. Sie schaffte es sogar, sich neu zu verlieben. Bis auf sein Äußeres war Josh das komplette Gegenteil von ihrem Ex. Josh brachte sie zum Lächeln, wenn sie traurig war. Er war für sie da, wenn sie ihn brauchte. Und er hatte Verständnis dafür, wenn sie einfach mal einen schlechten Tag hatte.

 

Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Die Nummer auf dem Display kannte sie nicht. Während Josh weiter aß, nahm sie zögerlich ab. Die Stimme am anderen Ende klang honigsüß und gleichzeitig unheilvoll.

„Hallo meine Süße. Ich bin ganz in deiner Nähe. Ich kann es kaum erwarten, dich wieder zu sehen.“

Als Josh den verzweifelten Gesichtsausdruck seiner Frau sah, wusste er gleich, dass der Anrufer ihr Ex war. Hatte er sich extra eine neue Nummer geholt?

„Was willst du von mir. Verschwinde aus meinem Leben. Ich will dich nie wieder sehen!“, schrie Marie, dann drückte sie ihn weg.

Tränen liefen ihr die Wangen runter. Warum musste er nach all den Jahren wieder auftauchen. Warum musste jetzt alles wieder von vorne anfangen?

„Er ist irgendwo hier. Er ist hier in der Nähe“, wimmerte sie.

Josh legte ihr einen Arm um die Schultern und mit dem anderen wischte er ihr die Tränen aus dem Gesicht.

„Wir lassen uns das nicht gefallen. Das wird er bereuen“, versuchte er sie zu trösten.

Wie elektrisiert stand Marie plötzlich auf und rannte zum Fenster. Und tatsächlich sah sie ihren Ex-Mann auf der anderen Straßenseite. Als er Marie entdeckte, winkte er freudig. Sie fing am ganzen Körper an zu zittern. Als Josh aus dem Fenster sah, verstand er sofort, was los war. Er wollte raus zu dem Kerl, aber Marie hielt ihn fest. Sie hatte Angst, ihr Ex würde Josh töten. Er überlegte kurz und sagte dann:

„Wir gehen zur Polizei und zeigen ihn an. Und heute Abend, versuchen wir ihn zu vergessen. Wir kochen uns was Leckeres und machen die gute Flasche Wein auf. Was hältst du davon?“

Sie nickte und versuchte zu lächeln. 

 

Sie hatten einige Zeit gewartet, bis der Typ nicht mehr zu sehen war. Erst dann hatte Marie sich raus zum Auto getraut. Aber bei der Polizei lief es nicht gut. Der Beamte hatte zwar Verständnis für sie, konnte aber nicht helfen. So lange ihr Ex nicht gegen das Annäherungsverbot verstieß, das sie damals erwirkt hatte, machte er sich nicht strafbar.

„Der terrorisiert meine Frau und Sie können nichts tun? Schlafen Sie den ganzen Tag? Machen Sie endlich ihren Job. Oder sollen wir jetzt warten bis etwas passiert, bevor sie sich bewegen?“

Josh wusste, dass er dem Polizisten gegenüber unfair war, aber er konnte nicht anders. Er hatte einfach schreckliche Angst um Marie.

 

Zufrieden lächelnd packte er seine Beute in den Kofferraum.

„Davon koche ich dir heute Abend ein leckeres Pastagericht.“

Marie staunte, als er auch noch rote Kerzen hervorholte. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass er welche gekauft hatte. Aber gleichzeitig fragte sie sich, ob er wirklich so entspannt war oder ob er nur so tat, um sie nicht zu beunruhigen. Während er erzählte, fiel ihr Blick auf jemanden, der sich einige Reihen weiter hinten an ein Auto lehnte. Sie war zu weit weg, um ihn genau zu erkennen. Aber sie hatte das Gefühl, er würde sie beobachten. War das ihr Ex? War er nicht weggegangen? Hatte er sie die ganze Zeit heimlich verfolgt?

„Schatz hast du mir überhaupt zugehört? Ist alles in Ordnung?“

Ohne den Blick von dem Mann abzuwenden nickte sie und setzte sich ins Auto. Jemand lief zu dem Mann, sperrte das Auto auf und beide stiegen ein. Marie kam sich paranoid vor. Trotzdem ließ sie das Gefühl nicht los, dass sie jemand beobachtete. Als sie davonfuhren, blieb ihr Ex beleidigt auf dem Parkplatz zurück. Er hatte Verständnis dafür, dass sie ihm nicht um den Hals gefallen war, schließlich war ihr Mann dabei. Aber sie hatte ihm nicht mal ein Lächeln geschenkt. Trotzdem schickte er ihr das schöne Foto, das er beim Einkaufen von ihr gemacht hatte. 

 

Der Abend gestern  war so schön gewesen, zwischendurch hatte sie sogar ihren Ex vergessen. Sie hatte ihr Handy abgeschaltet. Als sie es am nächsten Nachmittag wieder anmachte, zeigte es 109 verpasste Anrufe. Genervt legte sie es weg.

„Soll ich mich krank melden?“ ,fragte Josh.

Er hatte kein gutes Gefühl dabei, Marie alleine zu lassen. Sie hatte große Angst, aber Josh hatte heute Nachtschicht. Er konnte sich ja nicht die nächsten Wochen oder Monate deswegen krankschreiben lassen. Bei dem Gedanken, dass es Monate so gehen könnte, wurde ihr schlecht.

„Nein, ich komm zurecht. Außerdem hab ich gestern so wenig geschlafen, dass ich diese Nacht bestimmt durchschlafe.“

Sie wusste, dass sie kaum ein Auge zubekommen würde, aber sie wollte nicht, das Josh sich noch mehr Sorgen machte. Er umarmte sie lange. Am liebsten hätte er sie gar nicht losgelassen. Dann fuhr er zur Arbeit. Marie schloss hinter ihm ab und prüfte, ob die Kellertür verschlossen war.  Als es dunkel wurde, machte sie  überall Licht und zog alle Vorhänge zu. Trotzdem hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden. Beim kleinsten Geräusch schreckte sie zusammen. Um diese zu überdecken, machte sie den Fernseher an und stellte ihn extra lauter. Doch dann bekam sie Angst, ihr Ex könnte hier einbrechen ohne das sie es bemerkte. Schließlich schaffte sie es, mit ein paar Schlaftabletten und dem Fernseher, der leise im Hintergrund lief, einzuschlafen.

 

Als sie morgens aufwachte, fühlte sie sich besser. Endlich war es draußen wieder hell und ihr Ex hatte es nicht ausgenutzt, dass sie die Nacht alleine gewesen war.  Dass nicht nur ihre Seite des Bettes zerwühlt war, fiel ihr nicht auf. Sie freute sich nur, dass Josh gleich nach Hause kommen würde. Sie wollte für ihn den Frühstückstisch decken. Doch der war schon gedeckt. Es standen sogar zwei dampfende Tassen Kaffee auf dem Tisch.

„Josh?“, fragte sie zögerlich.

Keine Antwort. Vorsichtig ging sie ein Stück weiter. Da sah sie ihn. Sein schiefes Grinsen und der unberechenbare Blick.

„Ich hab uns Frühstück gemacht, meine Süße.“

Sie schrie und rannte hoch. Noch auf der Treppe erwischte er sie und brachte sie zu Fall. Sie strampelte und trat so kräftig nach ihm, wie sie konnte. Ein Tritt traf ihn mitten im Gesicht. Er ließ kurz von ihr ab und hielt sich mit beiden Händen die blutende Nase. Die Chance nutzen sie. Sie rannte die Treppe hoch. Ins nächste Zimmer. Und kroch unter den Schreibtisch.

„Süße, wo bist du?“

Sie hörte, wie ihr Ex alle Zimmer durchsuchte. Sie musste hier raus. Sie ging zur Tür, horchte, ob er auf dem Flur stand. Dann holte sie tief Luft, machte die Tür auf und rannte, so schnell sie konnte nach unten. Von rechts kamen Geräusche. Also doch nicht Richtung Haustür. Lieber durchs Esszimmer zur Terrassentür. Sie hatte es fast geschafft, da packte er sie von hinten an der Schulter. Sie griff das erstbeste, dass sie erwischte. Den Toaster.

„Schatz…“, sagte er noch, dann traf ihn der Toaster mit voller Wucht am Kopf.

Er taumelte. Drehte sich, wollte fliehen.  Aber schnell nahm sie das Kabel und würgte ihn von hinten. Er war schon zu benommen vom Schlag, um sich zu wehren. Sie merkte, wie er immer schwächer wurde und langsam zu Boden sackte. Lachend betrat ihr Ex das Zimmer. Aber wenn er da war, wer war dann das hier? Marie drehte den Körper um und blickte in die leeren Augen von Josh.

 

Version 2