Von Monika Heil

„Ini, kommst du? Es ist schon halb zehn durch.“

„Sofort. Will nur noch schnell den Müll rausbringen.“

„Entweder wir arbeiten ab halb zehn zusammen oder wir lassen es. Immer dasselbe mit dir.“ Hajos Stimme schwillt um einige Phon an.

„Ist ja schon gut. Ich komme ja.“ Freundlich klingt anders.

„Also, wo waren wir gestern stehengeblieben?“, fragt sie kurz darauf.

„Bei der Szene, in der Richard seine Frau killt, was du nicht akzeptiert hast.“, murrt er.

„Überlege doch mal. In Kapitel 15 ist sie total sauer auf ihn. Also hat  s i e  doch allen Grund, ihn umzubringen und nicht umgekehrt.“

„Das sehe ich anders. Er ist total genervt von ihrem ständigen Gemecker und greift spontan zum Toaster, um ihn ihr auf den Kopf zu hauen, damit endlich mal Ruhe ist.“

„Nie und nimmer. Ach, Hajo, so kommen wir nicht weiter. Zeig mal, was du über die Kinder der beiden geschrieben hast. Kommt die Tochter nach Hause? Findet sie den toten Vater und …“

„Die tote Mutter! Ini, hier setze ich mich ausnahmsweise mal durch.“

„Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen!“

„Ist ja gut! Also nein, noch hat die Tochter nicht angerufen. Sie geht zu Bett und er sitzt stundenlang am laptop, schaut sich Pornos an, … “

„Nie und nimmer. Von mir aus recherchiert er, wie er unauffällig seine Frau umbringen kann.“

„Also doch. Er bringt sie um. Das ist gut. Dafür lasse ich die Pornos weg. Und was macht sie, allein oben im Schlafzimmer?“

„Sie telefoniert die ganze Nacht mit Ferdinand und gemeinsam denken sie nach, wie sie ihren Alten am besten aus dem Weg räumen, um dann ein neues Leben miteinander zu beginnen.“

„Und das bekommt Richard nicht mit?“

„Nee, der ist ja so sehr mit seinen Pornos beschäftigt.“

Jetzt müssen beide grinsen.

„Ist noch Kaffee da?“

„Kommt sofort.“

 

Ina, die ihr Mann in Anlehnung an ein weit berühmteres Autorenpaar nur Ini nennt, steht auf, geht die zwei Schritte zum Kaffeeautomat und plötzlich schießt ihr ein perfider Gedanke durchs Hirn. Hajo versucht, die beiden Passagen, die sie gestern getrennt geschrieben haben, zu einem Kapitel zusammenzufügen. Konzentriert geht er die Texte durch. Ihre Gedanken laufen auf Hochtouren. Normalerweise schreibt sie diese mit flinken Fingern in ihren PC. Jetzt machen ihre Hände den Praxistest. Mit einem fast unhörbaren Klick trennt Ina das Kabel vom Toaster, greift die Enden, als halte sie ein Lasso. Mit kurzem Schwung wirft sie ihm die Schnur über den Kopf und zieht mit aller Kraft zu.

„Ini, was soll das?“, röchelt Hajo, ringt nach Luft und muss husten. Mit beiden Händen fasst er die dünne Schnur und zieht sie von seinem Hals weg. Inas Kraft reicht nicht aus, dies zu verhindern.

„Spinnst du?“ Hajo springt vom Stuhl und schleudert ihn gegen seine Frau, die sofort zu Boden geht. Mit einem Schritt steht er vor der Anrichte, reißt den Toaster an sich und schmettert ihn mit ganzer Kraft auf ihren Kopf. Immer und immer wieder. Röchelnd krümmt sie sich zusammen und wird bewusstlos. Schwer atmend steht  ihr Ehemann über ihr. Sein Puls rast.

„Um Gotteswillen! Das habe ich nicht gewollt! Ini, Ini, steh auf. Bitte, bitte, sag was.“

Er streicht über den Kopf seiner Frau. Blut klebt an seinen Händen. Hajo springt auf, schnappt sich sein Handy vom Küchentisch, das im selben Augenblick lebendig wird und den Anruf seiner Tochter signalisiert.

„Evi, Schätzchen, gut, dass du anrufst. Es ist etwas Schreckliches passiert. Deine Mutter ist überfallen worden. Ich komme gerade heim und finde sie bewusstlos auf dem Boden. Wo bist du? Kannst du ganz schnell kommen? Ich rufe inzwischen den Rettungsdienst und die Polizei.“ Er spürt, wie sein Herzschlag aus dem Rhythmus kommt, atmet tief durch, einmal, zweimal. Er muss sich setzen.

„Papa, um Gotteswillen, bleib ganz ruhig. Ich bin am Bahnhof. – Taxi!!! – In einer Viertelstunde bin ich da.“

Noch ehe er ein weiteres Wort sagen kann, hat sie die Verbindung getrennt.

 

Was habe ich da eben gesagt?, fragt er sich. Ein leichtes Grinsen überzieht sein Gesicht. Einmal Kriminalschriftsteller, immer Kriminalschriftsteller, lacht er.

Was tun? Ihm bleibt eine Viertelstunde. Er steht auf, zieht Straßenschuhe an, stellt seine Aktentasche – wie unbeabsichtigt – im Flur einfach in den Weg, räumt seinen Laptop vom Tisch. Die Kaffeetasse kann stehen bleiben, überlegt er, geht durch die Terrassentür hinaus in den Garten, holt einen Stein aus der Beetumrandung, schlägt die Türscheibe ein und kehrt in die Küche zurück. Ein weiterer Blick über die Szenerie – alles unverdächtig. Polizei und Rettungsdienst können kommen. Und Eva auch.

 

Halt, der Toaster! Er verbindet ihn mit dem Kabel, das er in die Steckdose steckt. Ein kurzes Zischen, die Deckenlampe erlischt und erst jetzt fällt ihm ein, dass die Steckdose defekt war und er den Auftrag hatte, sie zu reparieren. Plötzliches Herzrasen überfällt ihn erneut. Keinen zweiten Herzinfarkt ist sein letzter Gedanke. Dann gehen auch für ihn alle Lichter aus.

***

Eva Reinmüller, die Tochter des Schriftstellerpaares, fährt gegen 10 Uhr zwanzig vor dem Haus ihrer Eltern vor. Polizei und Rettungswagen waren schneller. Die Haustür steht offen.

„Ein verletztes Opfer, ein Toter. Die Verletzte wird in das städtische Krankenhaus verbracht. Der Verstorbene zur Obduktion in die Pathologie“, hört sie einen der Beamten in sein Funkgerät sprechen. „Die Spurensicherung ist angefordert.“

V1