Von Martina Zimmermann

Wie mich dieser Mensch anekelte, das kann sich keiner vorstellen. Ich saß am Küchentisch. Mein Mann, Klaus, fläzte sich gegenüber. Er lag mehr oder weniger auf dem Tisch. Ungepflegt und übel riechend, schaute er aus dem Fenster auf die Straße. Er pflegte sich gewöhnlich über alles aufzuregen, sogar die Fliege an der Wand, schien ihn zu bedrohen. Er zog einmal wieder sein Gesicht nach unten, das verhieß nichts Gutes. Was würde jetzt wieder kommen?“, fragte ich mich angewidert. Er schaute weiter aus dem Fenster, ohne mich eines Blickes zu würdigen und dann ging die Litanei auch schon los. „Diese alte Kuh, die hat doch überhaupt keinen Anstand“, erklärte er und schaute dabei weiter auf die Straße, auf der niemand zu sehen war. Ich fragte mich gerade, wen er wohl meinte, als er seinen Monolog fortsetzte.

 „Die hat es einfach nicht nötig ihren Dreck weg zu machen. Das Unkraut wächst bei uns in den Garten und diese feine Dame, ist zu faul um ihren Hintern runter zu bücken. Was bildet die sich ein.“ Er hob dabei seine Hand in die Höhe um seiner Empörung Nachdruck zu verleihnen.

„Ich musste mal wieder hinter die Hecke um ihren Dreck zu entsorgen. Was sich manche Menschen einbilden, dass ist mir ein Rätsel“, erklärte er noch und glaubte daran, ich würde ihm beipflichten.

Er schaute mich an und wartete das ich etwas dazu sagen würde. Mir fiel allerdings nichts passendes ein. Im Laufe seiner Ausführungen war mir eingefallen, wen er meinte. Es handelte sich um unsere liebe Nachbarin. Sie pflegte ihren totkranken Mann. Er hatte Krebs im Endstatium und sie war so mitgenommen und sah so schlecht aus. Diese Frau, sie hieß Annegret, war eine sehr liebe Frau. Der Garten war immer sehr gepflegt. Gerade die Anlagen waren immer tip top gewesen, aber jetzt musste sie Tag und Nacht für ihren Mann da sein. Sie kam einfach nicht mehr dazu.

„Annegret hat andere Probleme, als im Garten das Efeu abzuschneiden“, erklärte ich. „Du weißt doch selber, wie krank Harald ist. Der arme Mann tut mir so leid und Annegret hat doch auch kein Leben mehr. Der Efeu ist doch nicht einmal zu sehen, du kriechst dazu hinter die Hecke, ansonsten wüsste niemand, wie weit der Efeu gerankt ist. Ich verstehe dich nicht, hast du keinen Funken Mitgefühl?“

Er schaute mich nur teilnahmslos an. Klaus hatte seine Emphatie verloren. Im Laufe der Zeit wurde er immer verbitterter. Was war aus dem sympathischen, netten, gutausehenden, zuvorkommenden Mann geworden, den ich einmal geheiratet hatte? Ich habe ihn sehr geliebt, doch in den letzten Jahren schlug mein Gefühl um. Ich empfand ein genauso starkes Gefühl für ihn wie am Anfang unserer Beziehung, nur dass es jetzt der pure Hass war und nicht die Liebe. Ich überlegte mir des Öfteren, wie ich aus dieser Miserie entkommen konnte, doch bis jetzt hatte ich keine brauchbare Lösung. Im Großen und Ganzen gestaltete ich meinen Tag ohne ihn und versuchte, so gut es ging, ihn zu ignorieren. Meistens flüchtete ich mich in meine eigene Welt. Meine Fantasie, die grenzenlos war. Ich träumte mich an verschiedene Plätze und stellte mir vor, ich würde gerade dort sein. Bei mir funktionierte es gut. Mir ging es gleich viel besser, wenn ich mir vorstellte, ich läge in der Sonne, an einem wunderschönen Strand und weit und breit, keine Spur von Klaus. Was waren das für wunderbare Vorstellungen. Ich war dann völlig weg und wenn Klaus, wieder einmal seine fürchterlichen Monologe, über unsere Nachbarn oder sonstwen anfing,  schaltete ich mich aus.

Klaus dachte immer, ich würde ihm zustimmen. Anscheinend war mein Gesichtsausdruck, während ich mich wegträumte, sehr entspannt und ich schien auch ein kleines Lächeln auf den Lippen zu haben, was ihm Glauben machte, ich wäre ganz seiner Meinung. Das spielte mir in die Karten. Sollte er doch denken, was er wollte.

Gerade ging es erneut los. Jetzt war der Nachbar von nebenan an der Reihe. Die Famile hatte vor einiger Zeit ihre einzige Tochter durch einen schrecklichen Unfall verloren. Beide Eltern litten unsagbar und waren grau geworden und schienen um Jahre gealtert zu sein. Sie gingen gebeugt und man konnte ihnen ihr Leid ansehen. Wie schrecklich, dachte ich jedesmal wenn ich sie sah. Anders war es bei meinem Mann. Er fand es unverschämt, wenn der Gehweg nicht gefegt war, oder die Mülltonne, die ihnen gehörte, nicht richtig gerade stand. Er redete und redete und immer schlecht. Ich konnte es nicht mehr ertragten. Was könnte ich nur tun?, fragte ich mich. Diesen Druck, den würde ich nicht mehr lange standhalten könen. Irgendwann würde es mir nicht mehr reichen, mich weg zu träumen. Wie sollte ich auf Dauer dieses Martyrium überstehen? Eigentlich war es für mich nur noch ein Überleben. Ich hatte kein Leben mehr.  Eingesperrt und beklemmend mit dem Drang mach krankhaften Tagträumen. Das konnte nicht alles gewsenen sein.

Ich überlegte und meine Gedanken schweiften wieder ab und brachten mich in eine andere Welt.

Klaus saß am Küchentisch, er kommentierte an diesem Tag wieder so fürchterlich. Alles schien ihn aufzuregen. Dinge, die ihn auch nichts angingen. Er schien regelrecht in Wut zu geraten. Es waren wieder die Nachbarn, die sich nicht so anstellen sollten, auch wenn sie kein Kind mehr hätten, so würde die Welt ja nicht untergehen. Er schaute mich mit Bestimmtheit an und wartete auf meinen Zuspruch, doch mir fehlten die Worte. Wie konnte er so geworden sein? Er schien gefässelt in seiner Wut. An seinem Hals traten die Sehnen hervor, so verkrampft und verbissen, saß er dort.

Wie kann ein Mensch sich so verändern? Ich konnte es mir nicht erklären und ich wollte diesen fürchterlichen Menschen beseitigen. Plötzlich bemerkte ich hinter ihm den Toaster. Der stand dort und starrte mich förmlich an, als wenn er zu mir sprach:

„Nimm meine Schnur und erwürge dieses Ekel, dann bist du ihn ein für alle Male los.“ Ich fühlte mich förmlich ermutigt, dem Ruf des Toasters nachzukommen. Langsam stand ich auf und bewegte mich auf den Toaster zu. Klaus ahnte nichts. Er war in seinem Monolog mitlerweile bei den nächsten Nachbarn angekommen und regte sich gerade über ihr Auto auf. Als er mit boshafter Stimme sich über die Abgase dieses Fahrzeuges ausließ, nahm ich blitzschell den Toaster. Ich hielt die weiße Schnur straff zwischen meinen Händen und dann nahm ich allen Mut zusammen und flink packte ich die Schnur über seinen Kopf und platzierte sie genau an seinem Hals. Ich drückte zu, so fest ich konnte. Klaus, war gerade bei der Automarke, die ihm jetzt im wahrsten Sinne des Wortes im Hals stecken blieb. Ich zog weiter zu und dachte bei mir, jetzt kannst du dich über mich aufregen. Mach doch, dachte ich, du hast allen Grund dazu. Ich zog und zog und war gedanklich weit weg. So vernahm ich auch nicht mehr die Geräusche, die Klaus machte, während er nach Luft rang.

 Ich lag an meinem Strand und genoss die Sonne. Wie schön war die Welt, ohne Klaus. Ein Lächeln im Gesicht, die Sonne, warm auf meiner Haut und einen Drink in der Hand. Sehnsüchtig seufzte ich, hoffentlich hält dieses herrliche Gefühl noch an. Ich träumte von der Liebe, wie es sich wohl anfühlt, wieder Schmetterlinge im Bauch zu verspüren. Ich beetete, das dieses herrliche Gefühl bald schon über mich kommen möge. Doch dann, drang eine dunkle, mir vertraute Stimme in mein Ohr. Meine Gedanken verflogen und plötzlich, spürrte ich statt Sonne, nur noch eisige Kälte.

„Wo bist du denn wieder“?, ertönte eine laute Stimme, dicht an meinem Ohr. Ich erschrak, Klaus stand direkt neben mir. Die bittere Realität, hatte mich wieder.  Dieses Mal, hatte ich mich zu weit weggeträumt. Mein Lächeln war stärker als sonst und er hatte bemerkt, dass ich ihm gedanklich nicht gefolgt war.

Schade, es war ein so schöner Traum, so schön, wie schon lange nicht mehr.