Von Nicole Leidolph

19:10 Uhr

 

Maik kommt in die Küche und lässt sich ächzend auf einen Stuhl fallen. Seine Hände landen mit einem klatschenden Geräusch auf dem Esstisch. „Was gibt’s zu essen?“

Emilia verdreht heimlich die Augen. Er hat nicht einmal gegrüßt. So ist er eben. Sie wird ihn nicht mehr ändern. Ohne sich von der Spüle abzuwenden, sagt sie: „Wir haben nur Toast.“

„Wieso warst du nicht einkaufen?“

„Ich arbeite, genau wie du.“

„Halbtags. Was machst du eigentlich den restlichen Tag über?“

Einen kurzen Moment lang atmet sie durch und versucht erfolglos, den Klumpen in ihrem Magen zu ignorieren. Sie will sich nicht streiten. „Ich räume auf. Ich putze. Ich zahle Rechnungen.“

Er seufzt tief und fährt sich durch die Haare. Die Geheimratsecken kommen dadurch einen Moment lang ausgesprochen gut zur Geltung. „Ich habe jetzt keine Nerven für dein Palaver. Dann mach mir halt einen Toast. Ich brauche eine Grundlage, bevor ich zu Theo fahre.“

Emilia beißt die Zähne fest aufeinander, während der Klumpen droht, größer zu werden. Es hat keinen Sinn, etwas zu sagen. Maik kennt ihre Meinung über Theo. Er weiß, dass Theo sie Itaker-Schlampe nennt, weil er so tiefbraun wie das Innere einer Grube ist, dass er ein Frauen-Hasser ist, dass er säuft und kokst. Und Maik säuft auch immer, wenn er bei ihm ist, und vielleicht kokst er auch. Und danach stinkt er so, dass Emilia vorsorglich die Schlafzimmertür abschließt. Dann kommt es zu keinem „Vorfall“ und Maik muss sich nicht am nächsten Tag weinend entschuldigen. Ein Bild, das sie beide verabscheuen. 

Stumm geht sie zum Kühlschrank, entnimmt Butter, Schinken, Leberwurst und Gouda. Die Mortadella hebt sie für sich selbst auf. Ebenso stumm greift sie nach einem Messer und schiebt zwei Scheiben Toast in den Toaster.

„Aber pass auf, dass er nicht wieder verbrennt“, sagt Maik. „Manchmal frage ich mich, wieso ich dich geheiratet habe, wenn du nicht mal Toast machen kannst.“

Er behauptet immer, sie könne nicht kochen, dabei ist es die deutsche Hausmannskost, mit der sie irgendwie auf dem Kriegsfuß steht. Und Maggi. In die Küche ihrer Mutter kommen keine Geschmacksverstärker. Emilia blickt auf den Toaster und denkt sehnsüchtig an Lasagne. Maik mag keine Lasagne. Was mag er überhaupt? Eintopf. Kohl. Mettwurst. Bratwurst. Überhaupt Wurst in jeglicher Form. Sie ist mit einem Klischee verheiratet. Den Ansatz zum Bierbauch hat er ja auch schon und plötzlich besitzt er Tennissocken. Emilia wirft ihm einen Blick über die Schulter hinweg zu. Er sieht es nicht. Er hat mal wieder sein Handy in der Hand. Von hier aus erkennt sie, dass seine Kopfhaut mittlerweile durch das helle Haar schimmert. Er bekommt bestimmt eine Halbglatze wie sein Vater. In ihrer Familie sind alle Männer mit dichtem Haarwuchs gesegnet. Sie verzieht das Gesicht. Wieso hat sie ihn überhaupt geheiratet? Sie wünschte, sie könnte ihn verlassen. Heimlich hat sie schon über Scheidung nachgedacht, aber sowas macht man nicht. Nicht in ihrer erzkatholischen, konservativen Familie. 

 

19:25 Uhr

 

Ein durchdringender Geruch steigt plötzlich auf. Der Toast! Erschrocken drückt sie die Auswurftaste. 

„Na? Verbrannt?“

Sie weiß genau, dass er jetzt süffisant lächelt. Als habe er nur darauf gewartet.

„Nein, alles gut“, sagt sie und kratzt leise das Verbrannte ab. „Da sind bestimmt nur Krümel drin.“

„Ich denke, du putzt.“

Emilia umklammert das Messer einen Moment lang so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortreten. „Ich erledige das sofort“, sagt sie und nimmt den Toaster. 

Sie zieht den Stecker und dreht sich um. Im Vorbeigehen erkennt sie, was sich Maik gerade auf dem Handy anschaut. WhatsApp. Das Foto einer nackten Frau. Sie ist so dumm, ihr Gesicht zu zeigen. Seine Arbeitskollegin Sylvia. Die, von der er behauptet, sie sei fett und hässlich. Emilia bleibt stehen. Maik bemerkt es nicht. Er scrollt weiter. Das nächste Bild zeigt wieder Sylvia, dieses Mal aber zusammen mit einem Mann, der von hinten zu sehen ist. Emilia erkennt ihn am chinesischen Tattoo über der rechten Pobacke, diesem peinlichen Relikt seiner Jugend. Er geht fremd. Dieser faule Mistkerl geht tatsächlich fremd. Der Klumpen in Emilias Bauch platzt. Sie fühlt sich, als würde sie von einer roten Welle ausgefüllt werden, jeder Winkel von ihr. Es geht bis in die Fingerspitzen. Mit einem dumpfen Scheppern trifft der Toaster auf Maiks Hinterkopf. Krümel fliegen. Er bricht sofort zusammen, das Handy fällt ihm aus der Hand und landet auf dem Boden. Ein dünnes Rinnsal Blut läuft in den Nacken. Für einen Moment baumelt das Kabel vom Toaster träge darüber hin und her, dann gibt er einen fremdartigen Ton von sich. Es klingt wie ein gequältes Tier. Emilias Verstand erwacht und ein Film läuft vor ihren Augen ab. Er wird sie überwältigen und dann bringt er sie um. Das darf nicht passieren. Sie weiß, was sie zu tun hat, sie weiß, wie es geht. Sie hat es schon mal gesehen. Sie packt das Kabel, schlingt es vorne um seinen Hals und zieht es mit einem kräftigen Ruck über Kreuz nach hinten. Das Kabel schneidet in ihre Hände. Es ist anstrengender, als sie dachte. Irgendwann hört er auf, dieses widerliche, gurgelnde Geräusch zu machen, und zuckt nicht mehr. Seine Hände ruhen schlaff auf dem Boden, während sein Oberkörper zur Seite sackt.

Emilia richtet sich schwer atmend auf. Sie schwitzt. Es brennt in ihrem Hals. Sie schmeckt ganz weit hinten Galle und hat Angst, sich übergeben zu müssen. Etwas trinken. Im großen Bogen geht sie um Maik herum zur Spüle und dreht den Hahn auf. Einen Moment lang lässt sie das kalte Wasser über ihre Handgelenke laufen, dann nimmt sie einige Schlucke aus der hohlen Hand. Es hilft tatsächlich, warum auch immer. Jetzt muss sie ihr Problem lösen. Sie atmet durch und macht sich auf die Suche nach ihrem Handy.

 

20:01 Uhr

 

„Danke, dass ihr so schnell gekommen seid, Papa.“

„Aber natürlich, mein Liebling.“

Das obligatorische Küsschen links und rechts für ihren Vater, nach ihm für Onkel Luigi, dann für Cousin Rico. Sie führt die Prozession in die Küche und deutet auf Maiks Platz. „Ihr kennt ihn ja.“

Die Männer bleiben stehen. Onkel Luigi nimmt für den Moment sogar die Hände aus den Hosentaschen. Alle drei nicken bedächtig.

Emilia wischt sich die Handflächen an der Jeans ab. „Wollt ihr einen Kaffee? Oder Wein?“

„Kaffee, danke, mein Schatz.“ Papa lächelt so warmherzig, dass ihr fast die Tränen kommen.

Onkel Luigi setzt sich neben Maik und mustert ihn prüfend. „Was wiegt er?“

„So um die 90 Kilo, schätze ich.“ Emilia schaltet die Kaffeemaschine ein. „Er ist in den letzten Jahren fett geworden.“

„Sieht man.“

„Schaffen wir.“ Rico klopft ihr beruhigend auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen, Cousinchen.“

„Du bist Familie.“ Papa legt den Arm um ihre andere Schulter. „Wieso hast du es nicht viel früher getan?“

„Oder du hättest uns Bescheid sagen können.“ Onkel Luigi klopft Maik auf den Rücken, der daraufhin noch ein Stück weiter nach rechts sackt.

Papa nickt. „Du hättest einen Italiener heiraten sollen.“

„Ja, das habt ihr oft genug gesagt.“ Emilia nimmt die Kaffeekanne und stellt sie zusammen mit drei Tassen auf den Tisch. „Aber wir waren ja mal glücklich.“

Die Männer nicken wieder synchron. Sie verbringen zu viel Zeit miteinander.

„Jetzt ist es getan.“ Papa drückt ihre Schultern so fest zusammen, dass es fast wehtut, und küsst sie auf die Schläfe. „Du bist frei.“

„Ja.“ Emilia sieht auf Maik und setzt sich auf ihren Platz, direkt ihm gegenüber. „Das stimmt.“

„Und du bist noch nicht so alt, erst 33.“

Sie lehnt sich zurück. Es fühlt sich ungewohnt an. So hat sie hier noch nie gesessen, so selbstbewusst. Normalerweise sacken ihre Schultern an diesem Tisch immer nach vorne.

„Und vielleicht steigst du jetzt ins Geschäft ein.“ Onkel Luigi nimmt ihre Hand. „Du gehörst zur Familie.“

„Ich weiß es noch nicht.“

„Sie weiß es noch nicht“, ruft Papa und stößt einen Freudenschrei aus. „Das ist kein Nein, Lui, hörst du? Kein Nein!“

Onkel Luigi lacht laut. So laut hat hier noch niemand gelacht.

„Was macht ihr mit ihm?“, fragt Emilia und deutet mit dem Kinn auf Maik.

„Bringen ihn zu einem Freund.“ Papas Stimme bekommt diesen beruhigenden Klang, der zeigt, dass alles Weitere nicht ihre Sorge sein soll. Sie fühlt sich automatisch wieder wie früher, wenn er ihr gesagt hat, dass er mit Onkel Luigi und Onkel Gio noch etwas zu erledigen hat. Es ist ein heimeliges Gefühl und erzeugt ein warmes Licht in ihrer Brust.

„Mama lässt ausrichten, dass sie dir Lasagne macht“, sagt er.

„Und es gibt natürlich den guten Espresso“, sagt Onkel Luigi und zeigt auf seine Kaffeetasse. „Nicht das hier.“

„Du kommst doch mit?“

Einen Moment lang wird Emilia still. Darüber hat sie sich gar keine Gedanken gemacht. Sie denkt an Mama, an das Essen, an das Gefühl, zuhause zu sein, an die Geborgenheit. „Aber ich muss morgen ein paar Sachen holen.“ Sie sieht sich um. „Was macht ihr mit der Wohnung?“

Rico zuckt mit den Schultern. „Einbruch.“

Emilia nickt. „Alles klar.“ Sie wird sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Sie hat es hier immerhin mit Profis zu tun.

Papa legt ihr die Hand auf die Schulter. „Wollen wir?“

 

01:30 Uhr

 

Emilia liegt in ihrem alten Kinderzimmer, in dem seit ihrem Auszug nichts verändert worden ist. Sie fühlt sich ein wenig, als wäre sie in einem Museum. Über kurz oder lang wird sie sich eine Wohnung suchen, aber erstmal ist es schön, hier zu sein. Mama und Oma sind vor Freude in Tränen ausgebrochen, ihre Tanten und Onkel waren da, ihre Cousins und Cousinen, die ganze Familie. Papa hat sämtliche in Italien lebende Freunde und Bekannte angerufen. Es kommt ihr vor, als wüsste bereits halb Sizilien, dass sie wieder zuhause ist. Ihr schwirrt der Kopf, sie ist glücklich, zum ersten Mal seit sehr langer Zeit. Was für ein Abend. Ein kleines Lächeln huscht über ihre Lippen. Es ist verrückt. Eine Scheidung wäre indiskutabel, aber dass sie ihren Mann umbringt, ist für alle keine große Sache. Papa wirkt so merkwürdig unangebracht stolz. Sie hat den Toaster natürlich nicht mitgenommen, doch wenn sie es getan hätte, hätte er einen Ehrenplatz neben ihren Ballettauszeichnungen im Wohnzimmer ihrer Eltern bekommen.

 

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