Von Martin Dehrendorf

Der Gestank. Das war das Schlimmste. Sie machen sich ja keine Vorstellung. Und dann mein schöner Küchenfußboden. Die sauberen, blanken Fliesen, zweimal pro Tag feucht gewischt mit heißer Seifenlauge, das Wischtuch immer frisch gewaschen. Und dann tut er mir das an. Die Männer. So sind sie. Aber dass gerade mein Mann so etwas Widerwärtiges, so etwas Ekelhaftes und Unbeherrschtes tun kann, das hätte ich nie, aber auch wirklich nie für möglich gehalten. Einmal hätte er sich doch wenigstens zusammenreißen können, nur dieses eine Mal.

Ja, Herrgott, ich habe es verstanden. Das haben sie mir jetzt schon dreimal gesagt. Wie oft denn noch. Ja, ich sage es noch einmal, ich habe verstanden dass er tot ist. Das hat er nun davon. Glauben Sie mir, das wird er sich merken. Das soll ihm eine Lehre sein. Was sollte ich schließlich machen. Das alles hat er sich selbst zuzuschreiben, er ist selbst schuld, er ganz allein.

Aber dass er mir dann so etwas antut. Der ganze Küchenfußboden war voll, meine Schuhe, meine Strümpfe. Diese widerwärtige, diese ekelhafte braune Brühe, die da auf einmal aus seiner Hose lief. Oh Gott, ich glaube, mir wird … oh nein, ohh…

Ja, danke für die Schüssel. Vielleicht noch ein Glas Wasser und etwas frische Luft. Und tun Sie das nur schnell weg. Oh, das Fenster ist schon offen, ja, vielen Dank, liebes Kind.

Sagen Sie, eines verstehe ich nicht, was für ein Haus ist denn das eigentlich hier? Was sagen sie, was für eine Klinik? Ach, das kann ja kein vernünftiger Mensch aussprechen. Herrgott, was es heute nicht alles gibt. Wenn sie mich fragen, dann ist das hier ganz einfach ein Irrenhaus. Haben sie gesehen, was für Leute hier auf dem Flur herumlaufen? Man fragt sich doch wirklich, in was für eine Gesellschaft man da geraten ist.

Ich müsste dann auch nach Hause, aufräumen und saubermachen. Können Sie sich vorstellen, wie es jetzt dort aussieht? Das kann ich doch nicht einfach so lassen. Was glauben Sie, wie lange das dauern wird, bis ich das wieder in Ordnung gebracht habe. Tagelang darf ich jetzt putzen und schrubben, mit grüner Seife und heißer Lauge,  bis das wieder sauber ist. Dass er mir das angetan hat. Ich sage immer, die Männer. So sind sie ganz einfach. Nichts als Arbeit und Ärger hat man mit ihnen. Ja, ein Taschentuch, danke.

Wie bitte? Habe ich das nicht eben schon einmal gesagt? Es war doch ganz leicht. Ich brauchte diese Strippe nur um seinen Hals zu wickeln und das andere Ende einmal um die Stuhllehne. Dann den Stuhl nur ein wenig kippen, bis er runterrutscht und dann wieder aufrichten. Und dann hing er ganz einfach daneben. Oh, eine Weile hat er schon gezappelt, das kann ich ihnen sagen. Eine ganze Weile musste ich diesen Stuhl festhalten. So sind die Männer, immer müssen sie ihren Willen durchzusetzen. Und dann der Gestank, die braune Brühe, um Gottes willen, man macht sich ja keine … Ja, ich höre ja schon auf.

Gewehrt? Ja mein liebes Kind, wie hätte er sich denn wehren sollen. Das war doch die ganze Misere, dass er diesen Schlaganfall hatte. Deswegen haben sie ihn doch vorzeitig pensioniert. Sonst wäre es doch gar nicht so weit gekommen. Mein liebes Kind, Sie sind noch eine sehr junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen. Sie wissen gar nicht, was ihnen noch alles bevorsteht. Wer weiß, wie Sie das verkraften werden.

Ich sage Ihnen, Männer haben immer irgendwas, mein Mann hatte auch immer irgendwas, immer hatte er irgendwas. Und dann auch noch dieser Schlaganfall. Er konnte doch dann seine Arme und Beine gar nicht mehr richtig bewegen. Ständig lagen überall seine Krücken herum. Ohne die kam er doch kaum vorwärts. Und wer durfte die dann ständig hinter ihn herräumen? Eben.

Ja ich bitte Sie, etwas anderes als diese Strippe hatte ich doch gar nicht zur Hand. Der Toaster stand nun einmal da. Was hätte ich denn sonst nehmen sollen? Meine Schnürsenkel vielleicht? Was Sie aber auch für Fragen stellen. Er ist wirklich selbst an allem schuld, er ganz allein.

Warum hat er auch diesen Toaster gekauft. Eines Tages kam er auf einmal damit an. Seitdem lagen überall in der Küche diese Krümel herum. Es ist unmöglich, dieses Ding vernünftig sauber zu halten. Sie machen sich keine Vorstellung, wieviel Arbeit ich schon damit hatte. Ständig mit dem Staubsauger in diese beiden Schlitze, und trotzdem fielen immer noch Krümel heraus.

Immer die Männer mit ihrer Technik, etwas anderes haben sie nicht im Kopf. Technik und Dummheiten. Immer wieder müssen sie ein neues Spielzeug haben. Eigentlich sind sie alle nur große Kinder. Glauben Sie mir, drei Kinder habe ich großgezogen, aber das ist nichts im Vergleich zu einem Mann.

So lange diese Krümelschleuder auf der Arbeitsfläche stand, konnte ich noch einigermaßen damit umgehen. Trotzdem war es eine horrende Zumutung. Und dann komme ich doch eines Tages in die Küche, und da saß er da am Frühstückstisch und hatte diesen Toaster direkt auf den Tisch gestellt. Gleich neben seinen Teller! Können Sie sich das vorstellen? Diese ekelhaften Krümel lagen buchstäblich überall herum. Überall! Auf dem Tisch, auf der Arbeitsfläche, auf dem Fußboden, besonders um seinen Stuhl herum. Können Sie sich vorstellen, wieviel Arbeit man hat, um das wieder in Ordnung zu bringen? Was? Ja? Nein! Niemand, niemand kann sich das vorstellen. Und dann auch noch überall diese ekelhafte braune … ja, ist ja schon gut.

Wo war ich denn stehen geblieben, warum unterbrechen Sie mich denn auch immer. Ich habe ihn natürlich sofort zur Rede gestellt. Was ihm denn einfiele habe ich ihn gefragt, und wissen Sie was er da zu mir sagt? Er wäre ihm zu mühsam, jedes Mal aufzustehen mit seinen Krücken. Zu mühsam! Wieviel Mühe ich habe, nach diesem Frühstück hinter ihm herzuräumen, alles sauber zu machen und alles wieder an Ort und Stelle zu bringen, danach fragt er nicht. Zu mühsam! Ich werde natürlich überhaupt nicht gefragt, überhaupt nicht. Ich kann nur die ganze Arbeit machen, den ganzen Tag von morgens bis abends, putzen, kochen, waschen, bügeln, den ganzen Tag tagaus, tagein und niemand, niemand fragt mich ob mir das vielleicht etwa zu mühsam wäre. Zu mühsam!

Was? Wollen Sie ihn etwa verteidigen? Jetzt hören Sie, nein Sie hören mir jetzt einmal zu, das muss ich mir von Ihnen nicht bieten lassen, von ihnen ganz bestimmt nicht. Sie sind noch viel zu jung, Sie können überhaupt keine Ahnung haben. Ein Kind sind Sie, ein Gänschen, das mir hier erzählen will, was ich tun und lassen soll. Das ist die Höhe, die Höhe ist das, empörend, Frechheit! Sie, nehmen Sie sich in Acht, sonst lernen Sie mich kennen, Sie freches kleines Ding! Sie, ich …

Was soll das denn, was wollen die beiden Männer hier? Was tun Sie, lassen sie mich, lassen Sie mich los! Was ist das für eine Jacke? Was soll das, warum kann ich mich nicht bewegen? Was soll denn dieses Ding hier, ich brauche doch keinen Rollstuhl! Wo fahren Sie mich hin? WO FAHREN SIE MICH HIN …!?

Die Tür, wo ist die denn, hier war doch eben noch eine Tür? Überall weiße Polster. Und ganz weich. Weiß und weich. Sauber und ordentlich. Hier will ich bleiben. Hier ist endlich alles gut. Überall Sauberkeit. Sauberkeit und Ordnung. Endlich.

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