Von Ingo Pietsch

Laura ging in den Flur, als sie das Kratzen des Schlüssels am Schloss der Haustür nicht mehr aushielt.

Nach unzähligen Versuchen und einer gefühlten Ewigkeit, versuchte Siggi schon nach Hause zu kommen.

Laura öffnete die Tür und Siggi starrte sie aus gebeugter Haltung an.

„Oh, der automatische Türöffner“, lallte er.

Wieder hatte er eine Nacht durchgemacht. Der Erfolg war ihm zu Kopf gestiegen.

„Na lous, kumm roi“, sagte Laura mit ihrem hessischen Akzent.

Siggi stolperte hinein und zog umständlich und geistesabwesend seinen Mantel aus.

Er hängte ihn auf die Garderobe, von der er prompt herunterfiel.

Siggi bückte sich und kotzte seinen kompletten Mageninhalt auf das Laminat.

„Das tut mir leid“, meinte er und pointierte die Lüge mit einem Rülpser.

„Ausziehe unn ins bedd“, kommandierte Laura und zeigte Richtung Schlafzimmer.

„Jawoll, Herr Hauptmann“, Siggi salutierte und rutschte auf seinem Erbrochenen aus.

Laura atmete tief durch. Sie war jetzt seit über 20 Jahren seine Haushälterin und arbeitete eigentlich gerne für ihn. Sie hatten sich Mittellos auf der Straße kennen gelernt und gegenseitig unterstützt. Aber seit Siggi vor ein paar Jahren den großen Durchbruch geschafft hatte, war vieles anders geworden.

Sie half ihm auf und schleppte ihn zum Badezimmer. Dort platzierte sie auf dem Toilettensitz.

Nach und nach zog Laura ihm die dreckige Kleidung aus. Als sie seinen Gürtel öffnete, schlug er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht und rief betrunken: „Fass mich nicht an, du Schlampe!“

Sie waren nur Freunde und ihr würde so etwas nicht einmal im Traum einfallen.

Gedemütigt stieß sie in die Badewanne, wo er die halbe Nacht verbrachte.

Laura machte unter Tränen den Flur sauber, packte ihre Sachen und sah noch einmal nach Siggi.

 

Siggi saß am nächsten Morgen am Frühstückstisch und studierte auf seinem Pad die neuesten Chartplatzierungen der Hitparde – Alben, Airplay, Downloads.

Er konnte sich weder an den gestrigen Abend erinnern, noch wie er in sein Bett gelangt war.

Wahrscheinlich hatte Laura etwas damit zu tun. Die treue Seele.

Wortlos war sie um herum gewandelt und hatte ihm sein Frühstück zubereitet.

Ein Lächeln umspielte seinen Mund, als er sah, dass sein Name immer noch überall auf den vorderen Plätzen stand.

Doch das verging ihm gleich wieder, als er mit einem Ruck nach hinten gerissen wurde und er keine Luft mehr bekam.

Seine Beine waren unter der schweren Tischplatte eingeklemmt, sodass er nicht vollends umkippte.

Siggis Hals schmerzte und er sah kleine Sterne an der Decke tanzen.

Er versuchte sich aus der Schlinge zu befreien. Es war vollkommen egal, womit er erstickt wurde, lange hatte er jedenfalls nicht mehr zu leben.

Er schlug wild um sich, erwischte aber niemanden und konnte sich auch nicht am Tisch festhalten.

„Laura, ich ersticke!“, keuchte Siggi.

Laura lachte schrill auf und ließ deswegen für einen Moment ihr Mordwerkzeug ein wenig lockerer.

Siggi schaffte es, seine Finger zwischen Schlinge und Hals zu bekommen.

Schwer atmete er ein.

„Isch koann nedd mehr. Ständisch unnerdrickt zu werrn. Ausgelacht.“

Sie zog fester. „Isch hoabb genunk vunn dir.“

Siggis Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Zusätzlich spürte er seine Finger kaum noch.

„OK, OK“, röchelte er. „Ich stelle alles richtig und zeige mich erkenntlich. Ich schwöre es dir. Es tut mir leid.“

Er hatte sich in all den Jahren ständig über Laura lustig gemacht, allein schon wegen ihres Dialektes. Oft genug war er während seiner kreativen Phasen außer sich gewesen und hatte die halbe Einrichtung zertrümmert, die Laura dann aufräumen durfte. Nicht nur einmal hatte Laura ihm schon gesagt, dass sie es einfach nicht mehr aushielt, wenn er sich nicht änderte, doch er hatte es als hohle Phrase abgetan, schließlich bezahlte er sie ja dafür. Trotzdem war sie bei ihm geblieben.

Der Druck am Hals ließ nach, Siggi kippte nach vorne und knallte mit dem Oberkörper auf den Tisch.

Neben ihm polterte es.

Er hatte überlebt, der Toaster nicht.

 

Einen Monat später.

„Und dann sagte sie zu mir:

Isch koann nedd

Isch will nedd

Du bischd mer zu nah.“

Das Lied endete und ging in den Jingle des Radiosenders über: „N-D-R-1-Niedersachen, die Musik meines Lebens.“

„Hallo, liebe Zuhörer. Hier ist Martin Jürgenmann. Gerade eben lief „Nie mehr“ von Siggi, den ich heute hier begrüßen darf: Herzlisch willkumme, Siggi!“

„Hallo Martin.“

„Viele werden sich jetzt fragen: Das Lied gab es doch schon einmal. Warum plötzlich eine Version in der hessischen Mundart?“

„Ich bin ja bekannt dafür, meine Lieder alle selber zu schreiben und das ist auch tatsächlich so. Aber die Inspiration zu diesem Song, hatte ich von einer lieben Bekannten. Das muss einfach erwähnt und richtig gestellt werden. Deswegen habe ich den Hit in ihrer Muttersprache quasi noch mal rausgebracht.“

„Und der Erfolg gibt dir Recht. Die Hessische Version ist um einiges erfolgreicher, als das

Original.“

„Ja, damit hat echt keiner gerechnet.“

„Deine Bekannte scheint dir ja sehr wichtig zu sein.“

„Oh, ja. Sie ist schon seit Jahren an meiner Seite, was ich sehr zu schätzen weiß.“

„Steckt mehr dahinter?“

„Nein, wir arbeiten nur beruflich zusammen, aber mehr ist da nicht. Ich bin immer noch Single.“

„Das wird unsere Hörerinnen und Hörer sicherlich freuen. Hast du überhaupt ein Liebesleben?“

„In meiner Branche ist es unheimlich schwierig, privates und berufliches zu trennen. Ich habe schon mehr als einmal eine Partnerin auf Grund des Rampenlichts verloren.“

„Siggi, wie sind deine Pläne für die Zukunft?“

„Ich arbeite an einem neuen Album. Ist natürlich noch alles streng geheim.“

„Gibt es wieder Songs in Mundart?“

„Lasst euch überraschen.“

„Eine Frage habe ich noch: Du trägst neuerdings ein Halstuch. Setzt du damit einen Trend?“

„Jeder hat doch sein Markenzeichen. Also warum nicht?“

„Liebe Hörerrinnen und Hörer, wir bedanken uns bei Siggi und freuen uns auf seinen neuen Song mit dem Titel: „Immer wieder.“ Tschau Siggi.“

„Tschau Martin.“

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