Von Kornelia Wulf

7 Uhr 27

Es knistert, als Tabea die weiße Seite wendet und ein Piksen auf ihrer Wange spürt. Den Blick auf die platzenden Bläschen gerichtet, die aus der Pfanne spritzen. Fast hört sie ihn stöhnen, während er sich zusammenzieht, runzlige Wellen schlägt und dabei eine Farbe annimmt, die an die gebräunten  Speckröllchen eines Sonnenbank-Yunkies erinnert. Bevor sie drei Eier verquirlt und die Masse über den Bacon gießt. Ja, immer nur hinein, denkt Tabea, als sie die Kalkklümpchen förmlich wachsen sieht. Die sich auftürmen zu einer fettigen Mauer, bis der Blutstrom in Alfons Adern restlos versiegt. Geschickt fängt sie die Scheiben auf, die goldbraun aus dem Toaster springen. Zieht dann den Stecker, damit sein Fuß sich nicht wieder im Kabel verheddert. Und kein Blut aus der krachenden Nase spritzt, und sie den Terrazzo wieder aufwischen muss. Roquefort und Lachs auf weißem Weimarer dekoriert – mit Tomatenhäppchen adrett verziert – stellt sie – wegen der perfekten Farbharmonie – neben die rote Rose, während sich um ihre Brust ein Eisenreif legt, als sie die Dornen sieht. Wie sie sich krümmen im engen Kristall. Beiger Taft streift an seiner Schulter entlang – bereits vor dem Frühstück hat sie die Bluse gebügelt – als sie den Saft zwischen Honig und Serviette platziert, über die kahle Kopfhaut streichelt, die sich im sanften Licht der Muranoglaslampe spiegelt. Und wieder stellt sie sich Risse vor. Feingezackt knackt die Schale vor ihrem inneren Auge – klopf! klopf! auf dem ovalen Schädeldach – und es glibbert, rinntnicht das Gelbe vom Ei, denkt sie stumm kichernd – bis es sich, einem Spinnennetz gleich, im Ohrhaar verfängt. Und wie an jedem Morgen spürt sie die schwieligen Kuppen. Die schweißfeucht über den Pfad ihrer Schenkel wandern, wie durstige Pilger im Wüstensand keuchend, auf dem Weg ins gelobte Land. Bis sie ihr Ziel erreichen, etwa eine Handbreit unter den Leisten, und die Falten aus ihrem Strumpfband streichen. Noch einen Schuss Milch gießt sie über das Müsli, das sie dann auf die gesunde Tischhälfte stellt. Ein zitroniger Duft erdrückt die Luft, als der Kitchentimer kräht und Alfons seine Zeitung senkt.

„Denk an den Earl Grey, mein Bambilein. Zweieinhalb Minuten. Keine Sekunde länger.“ Und während er Knitterfalten aus dem Tagblatt streicht und Tabea – wie an jedem Morgen – die ausgelutschte Phrase hört

„Der richtige Moment ist das, was im Leben wirklich zählt“,

scheint ihr Blick im Teestrahl zu schwimmen – hellbraun ergießt er sich in der hauchfeinen Tasse – bis das Klingeln des Timers penetrant anschwillt …

***

… in Zeitlupe hebt sie die Stirn von der Hupe. Und als das Gellen in ihrem Ohr verstummt, ordnen sich sittsam die Nadelzweige. Lösen sich aus dem grünen Band, das noch eben um ihren Kopf herumwirbelte. Nehmen ihn wieder ein. Ihren Platz im Tannenhain. Ein trockenes Schluchzen reibt in ihrer Kehle. Fast schwarz brachen sie sich im Scheinwerferlicht, unsagbar traurig traf sie sein Blick – und der Begriff „waidwund“ erhielt plötzlich eine plastische Bedeutung – als sie – noch leicht schwankend – die Fahrertür öffnete und neben dem Reh auf die Knie sank. Angeekelt starrt sie auf das Geschmier, auf diese klumpige Masse aus Fleisch und Fell, die sich auf dem blauen Lack verteilt. Wie schade, denkt sie, erst gestern poliert. Und als ihr Finger über die Fläche fährt, kleben braune Härchen an ihm fest.

Warum hatte sie bloß diesen Rotwein getrunken – nur ein kleines Glas – obwohl sie doch weiß, was er mit ihrem Hirn anstellt. Als sie Ellen zum Flughafen fuhr. Noch einmal saßen sie im Café Himmelsschreiber beisammen. Versuchten mit Flammkuchen die Tränen zu trocknen, die salzig auf ihre Lippen tropften. „Toronto ist doch nicht aus der Welt“, hörte sie Ellens Stimme. Atmete Patchuliduft ein – Wange an Wange – und dachte dabei an in Honig getauchte Birkenzweige. „Nur elf Stunden Flug. Die sitzen wir auf einer Backe ab.“ Alles nur heiße Luft, dachte Tabea. Und die trägt sie nun fort auf Flugzeugschwingen, während sie ihrer Seelenfreundin mit einem schwarzen Tuch nachwinkte.

Warum hatte sie nicht nachgedacht. Vor drei Wochen, an diesem Freitagnachmittag. Vielleicht sollte man ihn in den dreizehnten umtaufen. Zu Rainer war sie gerannt – ohne Sinn und Verstand – und flehte ihren Chef um Urlaub an. Ihre Nerven lägen blank. Sie brauche zehn Wochen, besser ein Vierteljahr. Selbstverständlich unbezahlt. Nach zähem Ringen um jeden Tag, bei dem es zu Seelenblessuren kam, hat er sie gehen lassen. Und jetzt hängt sie hier fest. In diesem Zweihunderteinwohnernest. Am Gesäß der Welt. Das gibt ihr den Rest. Und ihre Faust schlägt in das schon leicht angetrocknete Geschmier.

Ein paar Hautfetzen von den Lippen zupfend, presst Tabea die Lippen zusammen. Warum bin ich nur so verkrampft, dass ich die Dinge nie beim Namen nennen kann? Das hatte auch Fred gesagt, als er vor ihrer Haustür stand und ihr den Wohnungsschlüssel zurück in die Handfläche legte. An dem Tag, bevor sie mit Rainer rang. „Ich will dich spüren“, die Lider gesenkt versuchte er ihren Blick zu meiden. Doch dann schaute er sie voll an, „aber du, du kapselst dich ein. Wenn ich dich berühre, ziehst du dein Porzellanpuppenkleid an, verstaut hinter Glas im Eichenbüfett, das man nur anschauen und nicht anfassen darf.“

Ihre Finger durchforsten die Tasche der Jeans. Mit einem Tempo versucht sie das Geschmier ab zu reiben, das wie Pech an ihr klebt – und mittlerweile nach altem Eisen riecht – als Tabea etwas auf ihrer Schulter spürt, wild hochschreckt, bevor sie ein rundes Gesicht erblickt und schwielige Kuppen auf ihrer Wange fühlt. „Bleich und klamm. Und kalter Schweiß“, nickt der Mann, während er die Brille auf dem Haarkranz zurechtrückt, „wahrscheinlich ein Schock.“ Der Anzugstoff knautscht ein wenig, als er sein Sakko über Tabeas Schultern legt. Kaschmir und Wolle, denkt sie, und aufatmend fühlt, wie sich das Zittern aus ihrem Körper schleicht. „Das passiert öfter hier“, sagt er, „Hopp macht das Rehlein – ohne Sinn und Verstand – und schon weidet es im elysischen Gras. Kommen Sie“, willenlos torkelt sie in seinem Arm, „ich wohne nicht weit von hier. Ein heißer Tee. Und dann kümmern wir uns um Polizei, Versicherung …“, bis sie in den Polstern des Wagens versinkt.

***

17 Uhr 27

Eine Blutspur rinnt in die Kerben des Holzbretts und neben den zarten Fasern des Rehsteaks rückt sie die Dosen gerade. Die stehen stramm – Pfeffer, Nelken und Zimt – wie die Gewürzbrigade. Sie holt noch ein weiteres Glas aus dem Schrank. Mit getrocknetem Lauch. Den mag er auch. Punkt Halb wird der Schlüssel im Schloss sich drehen, dann werden sie durch Beete und Stauden gehen. Eine Stunde. Auf die Minute genau. „Frische Luft braucht die Seele. Immer zur gleichen Zeit. Denn der richtige Moment ist das, was im Leben wirklich zählt.“ Und dann wird er es aus der Tasche ziehen. Dieses Zeug, mit dem er die Rosen besprüht. Das so widerlich stinkt. Tranig wie die Wildfettsalbe, die er abends in ihre Knöchelhaut reibt.

***

Wie kann die Welt so dunkel sein. Schonungslos kreist der Gedankenzirkel, erzeugt eine drängende Übelkeit, die von tief unten bis ganz nach oben steigt und – von Panik aufgeraut – Tabea zum Würgen reizt. „Atme ganz flach. Dass du mir bloß nicht den Wagen versaust“, warnt er, als er den Kartoffelsack über den Scheitel stülpt – und ein paar Jutefasern auf ihrer Zunge reiben – dem ein Geruch entströmt, der in ihr Angst keimen lässt. Die Gesäßmuskeln schmerzhaft eingeklemmt, hockt sie auf dem Autositz. „Echtes Büffelleder“, lärmt er. Den habe er ausgetauscht gegen den veganen Quatsch. Obwohl der besser abwaschbar wäre.

Dann. Der Wagen stoppt. Und während er den Sack im Kofferraum verstaut, peinlich genau auf Mitte gefaltet, starrt sie auf das blutige Federkleid. Die Flügel gebrochen triefen rote Tropfen aus dem zarten Kolibrileib. Durchstochen von den Spitzen des Eisentors. Hoch wie eine Gefängnismauer. Es stößt einen wehen Klagelaut aus. Als es sich für immer schließt hinter ihr.

Drei Wochen hat er sie an der langen Leine laufen lassen. „Kleine Rehlein muss man vor sich selber schützen“, raunte er. Und nur, wenn sie die Weite des Spielraums vergaß – die vom Wohnzimmer bis zur Küche reichte – und, dass die Fessel am Fuß aus Eisen bestand, grub sie sich tief in die Knöchelhaut ein.

***

20 Uhr 57

Sorgfältig tupft Alfons die Mundwinkel rein, bevor er ein letztes Mal nach der Zeitung greift. Gleich wird er sie mittig zusammenfalten. Millimetergenau. Kante auf Kante. Dann wird er seinen Arm Tabea reichen, sie ins Marmorbad führen, sie dort gründlich abseifen. Und wenn er sie dann auf den Linnen platziert, den Körper wie eine Luxuspuppe drapiert, erwischt es sie wieder kalt. Wenn das Desinfektionsspray sie trifft – bald, sehr bald -, an den ganz besonderen Stellen.

Ihr inneres Auge öffnet sich, als Alfons an der Krawatte zerrt, und Tabea …

 … ihn am Dübel der Muranoglasleuchte hängen sieht. Das Kabel vom Toaster – sorgfältig abgetrennt – fest um den faltigen Hals gezurrt. Der Knoten hinter dem linken Ohr drückt seinen Kopf zur Seite. Trocken bröseln die Lippen. Zerbissen. Weiß rieseln Fetzen. Auf die dunklen Kaschmirschultern. So ein Mist, denkt sie, eine Stunde lang werde ich es ausbürsten müssen. Und die Zunge quillt auf. Fällt aus dem rechten Mundwinkel heraus. Rötlichblau. Wie ein fetter Wurm mit Blähungen

Der beige Taft raschelt an seiner Schulter. Und während sie Stufe für Stufe die Treppe besteigen und etwas Speichel aus Alfons Mundwinkel fließt, glüht ein Gedankenlicht auf. Morgen wird sie die Tür des Kellers öffnen. Den hat ihr Alfons letztens gezeigt. Hat auf all diese Zangen und Schneiden gedeutet und laut verkündet, sie werde leiden, wenn sie auch nur daran zu denken wagt. Dass sie ihn verlässt. Dann hat er es in die Hand genommen. Dieses Ding mit den bunten Plastikgriffen und den gefährlich scharfen silbernen Spitzen.

Damit werde er beginnen.

Tabea lehnt ihren Kopf an die Schulter. Alfons hat ja so Recht.

„Der richtige Moment ist das, was im Leben wirklich zählt.“

 

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