Von Marieke Huber

Ich war Younes beim Pferderennen begegnet. Von dem Moment an, als ein gemeinsamer Bekannter uns vorstellte, hatte seine Aufmerksamkeit allein mir gegolten. Trotz der hohen Summe, die er gesetzt hatte, legte er eine sorglose Gelassenheit an den Tag, wie man sie bei Menschen findet, für die es nicht entscheidend ist, ob sie gewinnen oder verlieren. Er war kleiner als die Männer, für die ich mich sonst interessierte, aber er hatte ein markantes Kinn und seelenvolle, dunkle Augen, die mich sofort in ihren Bann zogen. Younes erzählte mir, von seinen anspruchsvollen, distanzierten Eltern und dem Gefühl von Freiheit, beim Reisen. Er stammte aus den vereinigten arabischen Emiraten, war jedoch in Europa aufgewachsen. Solange er auf Geschäftsreise war, lebte er in einem Hotel. Bereits nach zwei Wochen zog er bei mir ein. Bald hatte er begonnen mich seine „Löwin“ zu nennen.

„Deine Haare haben die Farbe von Sand in der Sonne, deine Bewegungen sind geschmeidig und du jagst in der Nacht.“ hatte er mir lächelnd erklärt, als ich mich über den Kosenamen wunderte. „Und wenn du nachts gearbeitet hast, rollst du dich bei Tag zusammen, wie eine Katze!“ Er nahm mich in den Arm und ich fühlte mich geborgen. Younes überraschte mich regelmäßig mit kleinen Geschenken, dem neuesten Buch meiner Krimiserie oder einem Kurztrip zum Wandern in den Schweizer Bergen. Er schien zu wissen, was ich mir wünschte. Häufig musste ich einen geplanten Ausflug oder ein Essen absagen. „Dem toten Löwen kann jeder Hase an der Mähne zupfen. Geh jagen, meine Löwin“ beruhigte Younes dann meine Gewissensbisse.

Ich war glücklich oder wäre es gewesen, hätte ich nicht die Stimme meines Vaters gehört „Der redet dir nach dem Mund, Mira. Da stimmt etwas nicht. Denkst du ein reicher, gutaussehender Mann will eine müde und vielbeschäftigte Geschäftsfrau?“ Obwohl mein Vater seit zwei Jahren Tod war, konnte ich den geringschätzigen Tonfall seiner Stimme klar und deutlich hören. Meine Mutter war eine „Goldgräberin“. Ich war mit dem Wissen aufgewachsen, dass die, die uns nahe stehen uns für unser Vermögen verraten können. Das hatte mein Vater mich nicht vergessen lassen. Den Standpunkt meiner Mutter kannte ich nicht, denn sie hatte nicht nur ihn, sondern auch mich verlassen. Auch ich hatte die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass Geld in einer Beziehung eine Rolle spielt. „Lässt du dich reinlegen, Mia – Schande über den Betrüger“, hatte mein Vater mich getröstet „Lässt du dich zweimal reinlegen, Schande über dich!“ Seit dem war ich wachsamer geworden.

Ich war 36 Jahre, Younes und ich wollten Kinder und er war in jeder Hinsicht der Mann, den ich mir gewünscht hatte. Von kleinkarierten Geschlechtsstereotypen wollte ich meine Beziehung nicht ruinieren lassen. Auch um die Stimme in mir verstummen zu lassen, nahm ich nach nur sechs Monaten Beziehung Younes Heiratsantrag an. Weiterhin überraschte Younes mich mit Aufmerksamkeiten. Im Frühjahr musste ich auf Grund einer Geschäftsreise unseren Italienurlaub absagen. Bei meiner Rückkehr führte er mich in den Garten und zeigte mir einen wunderschönen Olivenhain mit dessen Anpflanzung er einen Landschaftsarchitekten beauftragt hatte. Im Schatten der wunderschönen Bäume mit den knorrigen Stämmen, fühlte ich mich tatsächlich wie im Urlaub.

Younes arbeitete in dieser Zeit kaum. „Ich kann jederzeit die Geschäfte für meinen Onkel führen. Ihm gehören diverse Rehakliniken und Hotelketten in Europa“, erklärte er mir. „Bei deinen Arbeitszeiten, würden wir uns dann aber nicht mehr sehen.“ Die Rechnung für den Landschaftsarchitekten zahlte ich. Häufig musste ich an meine Mutter und die „Trennung“ meiner Eltern denken. „Du bist naiv!“ verhöhnte mich die Stimme meines Vaters. „Was habe ich dir beigebracht? Sei umsichtig, handele prinzipientreu, durchdacht und diskret“. Was wusste ich über Younes? Eines Abends rief ich den Bekannten an, der uns vorgestellt hatte.

„Mira, ich weiß nichts über deinen Mann. Wir haben uns auf der Yacht eines Freundes kennen gelernt. Ich glaube, dass er bei dem Rennen eine große Wette für diesen Freund platziert hatte.“, beantwortete dieser meine Frage. Ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, dröhnte die leicht gehässige Stimme meines Vaters in mir.

Unser gemeinsames Jahr erschien in einem neuen Licht. Ich kannte keinen seiner Freunde. Zu unserer spontanen Hochzeit waren meine Freunde erschienen. Von seiner Seite waren nur die Eltern und der Onkel angereist. Obwohl sie fließend englisch sprachen, hatten sie sich untereinander auf Arabisch verständigt und wir hatten kaum mehr als die üblichen, höflichen Floskeln ausgetauscht. Sie hatten mich mit goldenen Armbändern und anderem Schmuck überhäuft. „Den musst du prüfen lassen!“ sagte meine innere Stimme. Als habe er mein Misstrauen erraten, berichtete mir Younes beim Frühstück am nächsten Morgen von einem neuen Auftrag für seinen Onkel. „Jetzt werde ich auf die Jagd gehen, meine Löwin!“ sagte er. In meinen Ohren klang dies wie eine Drohung.

Immer häufiger drängte Younes darauf eine Familie zu gründen. „Meine Löwin, du bist geschmeidig und stark, aber die Natur hat es nicht vorgesehen lange mit dem Kinderkriegen zu warten!“ Ich war innerlich zerrissen. An manchen Tagen sah ich mich am Ziel meiner Träume. Mein Mann war liebevoll auf mein Wohl bedacht, wir hatten finanziell ausgesorgt und ich würde Mutter werden. Es war die Stimme meines Vaters die mich nicht zur Ruhe kommen ließ, meine Ängste befeuerte. „Wenn du erstmal Mutter bist, meinst du nicht dein Löwe wird dein Revier übernehmen, es sich aneignen?“ Mein Mann tat nichts meine Zweifel zu zerstreuen. „Mira, meine Schöne“, sagte er und sah mir tief in die Augen. „Ich bin da altmodisch. Wenn du erstmal Mutter bist wirst du zu Hause bleiben wollen. Unser Kind wird dich brauchen! Was spricht dagegen, wenn ich die Firma ein paar Jahre leite?“. Es war unser erster hitziger Streit. Ich sprach davon, ein Vorbild für das Kind zu sein, gemeinsam zu erziehen, von Quality – Time und Lebenszufriedenheit. Er sprach von gelungener Bindung, Prioritäten und Egoismus. „Welche Mutter plant denn schon vor der Geburt ihr Kind zu verlassen?“ hielt er mir wütend vor.

Ich brach die Diskussion ab, zog mich zurück. In dieser Nacht blieb ich wach. „Meine Mutter“, dachte ich. „Meine Mutter hatte schon vor der Geburt geplant mich zu verlassen.“ In meinem Kopf drehte sich alles. „Es ist die selbe Situation wie damals, Mira!“ die Stimme meines Vaters klang mitfühlend, aber er zählte unnachgiebig die Fakten auf, die nicht platzierte Wette, der falsche Schmuck, der Wunsch unser Unternehmen zu leiten.

Als ich am nächsten Tag unsere Küche betrat, saß mein Mann an unserem Küchentisch. Mit rot unterlaufenden Augen sah er mich an. „Ich bin zu weit gegangen. Mira, können wir reden nachdem du deinen Kaffee getrunken hast?“ fragte er, in dem Versuch mich zu beschwichtigen. Ich nickte stumm und trat hinter ihn an die Espressomaschine. „Er will dich zu seiner Marionette machen, Mira.“ Die Stimme meines Vaters war rücksichtvoll. „Du hast keine Wahl, meine Süße.“ Vorsichtig darauf bedacht kein Geräusch zu verursachen zog ich den Stecker des Toasters aus der Wand. Es war ein massives Modell aus Edelstahl. Mit dem Toaster in der Hand trat ich hinter ihn. Mein Mann saß dort, den Kopf gesenkt. Mit aller Kraft schlug ich Younes den massiven Toaster auf den Kopf und legte ihm anschließend mit einer fließenden Bewegung das Kabel um den Hals. „Das ist mein Mädchen“, hörte ich Vaters Stimme. „Ich weiß, das ist hart für dich. Du schaffst das!“ Ohne die Stimme meines Vaters wäre es mir nicht gelungen durchzuhalten bis das Leben aus dem Körper meines Mannes wich, es erforderte Ausdauer und Kraft. Der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, war längst hintenüber gefallen. Erst, als wir in stummer Umarmung auf dem Boden saßen und mein Mann sich nicht mehr regte, verstummte Vaters Stimme in mir.

„Du Dummkopf“, sagte ich mit echtem Bedauern zu meinem Mann. „Warum musstest du die Erinnerung an meine Mutter wecken?“ Ich dachte daran, wie ich meinen Vater über der Leiche meiner Mutter überrascht hatte. „In unserer Familie lässt man sich nicht reinlegen, Mira!“ hatte er mir erklärt. Es hatte lange gedauert, aber ich hatte verstanden, dass meine Mutter selbst schuld gewesen war, eine durchtriebene Goldgräberin, die uns verlassen wollte. Bedauernd ließ ich Younes auf dem Boden liegen und ging mit der Schaufel hinaus in den Olivenhain. Umsichtig, wie ich es gewesen war als ich Vaters Revier übernommen hatte, machte ich mich ans Werk.

 

V1