Von Melanie Drümper

„Bea~, ich finde meine Uhr nicht. Weisst du nicht, wo sie ist?“ 

Die Stimme meines Mannes hallte durch meinen Kopf und sorgte dafür, dass ich kurz mit den Augen rollte. Nichts konnte er alleine. Alles wälzte er auf mich ab.

„Hast du schon in deiner Manteltasche geschaut?“ 

Ich versuchte meine Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen, damit er nicht merkte, dass er mich schon wieder nervte. 

Und das noch vor dem Frühstück. „Nein, da ist sie nicht. Kannst du nicht kommen und bei der Suche helfen?“ 

Seufzend stellte ich den Toaster auf den kleinen Tisch neben der Küchentür und lief in Richtung Schlafzimmer. 

Inzwischen waren wir fast fünfundzwanzig Jahre verheiratet und ich hatte auch noch immer Gefühle für ihn, aber im Moment brachte er mich jeden Tag an den Rand des Wahnsinns. Regelrecht auf die Palme. 

Bevor ich das Schlafzimmer betrat, legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. 

„Schatz, komm doch erst einmal in Ruhe frühstücken und dann suchen wir gemeinsam.“ 

Allein der Anblick von Chaos, der mir entgegen schlug, sorgte dafür, das ich meine Wut erneut zügeln musste.

„Ich brauche diese Uhr. Unbedingt.“ Mit Nachdruck erklang seine Stimme und ich seufzte. 

„Das Frühstück ist fast fertig. Fang du doch schon mal an. Du musst nur noch das Toast in den Toaster stecken. Das sollte ja kein Problem sein, oder?“ 

Mit übertriebener Freundlichkeit sah ich meinen Mann an, deutete mit dem Kopf in die Küche. 

„Sag doch, dass du mich loswerden willst.“ Eingeschnappt nahm er die schwarze Jacke von Bett, trollte sich in die Küche. 

Genervt stieß ich die Luft aus meinen Lungen und begann mit dem Aufräumen.

Und gleichzeitig mit der Suche nach seiner Uhr. 

„Schatz? Bea? Ich finde das Toast nicht!“

Kaum, dass ich ein paar der Sachen vom Boden aufgehoben hatte, die er aus dem Schrank gerissen hatte, erklang erneut seine Stimme.

„Im Schrank neben dem Kühlschrank. Da, wo es immer steht.“, rief ich in Richtung Küche, mahnte mich selbst zur Ruhe.

„Da ist es nicht. Ich habe schon dreimal geguckt.“ 

Seine Stimme nervte mich gerade so sehr und ich holte tief Luft, bevor ich sie zwischen aufeinander gepressten Lippen wieder ausstieß. 

“Ich komme, Schatz!” Fast geflötet glitten mir die Worte über die Lippen und ich warf das Kleidungsstück, dass ich in der Hand hatte, einfach wieder zurück auf das Bett.
Noch auf dem Weg zurück in die Küche erklang erneut seine Stimme, die ich an diesem Morgen am liebsten einfach zum Schweigen bringen wollte.
“Hast du sie gefunden? Bist du dir sicher, dass das Toast wirklich im Schrank ist? Oder hast du vergessen, welches zu besorgen?”
Wie ein Wasserfall redete er direkt auf mich ein, kaum dass ich den Raum betreten hatte. Er sass auf einem Stuhl, direkt neben der Tür. Daneben stand noch immer der kleine Tisch mit dem Toaster.
Er sah mich nicht an, sondern in die Tageszeitung auf dem Tisch und doch redete er ohne Punkt und Komma weiter, stellte Fragen, die mich nur noch wütender machten.
Wie in Trance griff ich nach dem Toaster, hielt ihn erst mit einer Hand umklammert. Der Stecker war noch immer nicht in der Steckdose, sodass er nicht mal mitbekam, dass ich den Gegenstand neben ihm mitnahm.
Das Kabel wickelte sich wie von selbst an einer Stelle um meine Hand und noch bevor ich selbst registrierte, was ich hier tat, hatte ich es ihm von hinten um den Hals gelegt.
Wie von selbst zog ich meine Hände auseinander. Das Kabel wickelte sich um seinen Hals und sorgte dafür, dass er überrascht nach Luft schnappte.
Ich konnte nicht aufhören. Ich zog das Kabel so fest zusammen, bis ich ein Röcheln vernahm. Dass das Kabel damit längst in meine eigenen Handflächen schnitt, nahm ich gar nicht richtig war. 

Das Adrenalin in mir sorgte dafür, dass ich einfach nicht aufhören konnte, auch wenn ich es gewollt hätte.
Es fühlte sich wie Genugtuung an. Es fühlte sich an, als wäre eine Last von mir abfallen. Erst, als er nach vorne sackte und seine Stirn den Tisch berührte, ließ ich locker.
Schweigend blickte ich auf ihn herab und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
“Schweig still, mein Liebling.”, flüsterte ich leise und stellte den Toaster an die Seite, als wäre nichts gewesen.

 

Schweißgebadet schreckte ich hoch und sah mich im ersten Augenblick panisch um. War alles doch nur ein Traum gewesen?
Hatte ich nur geträumt, meinen Mann umgebracht zu haben, weil er mir so sehr auf die Nerven ging?
Reflexartig wandte ich meinen Blick zur linken Bettseite und atmete erleichtert auf. Er lag neben mir und er atmete. Sein Brustkorb hob und senkte sich und ich vernahm sogar ein leises Schnarchen.
Ich schob meine Beine über die Bettkante und erhob mich. Auf nackten Sohlen tappste verließ ich das Schlafzimmer und tappste in Richtung Küche.
Ein Glas Wasser würde mir gut tun, auch wenn das Verlangen nach einem Glas Wein auch direkt in meiner Brust hoch kroch. 

Ich schüttelte den Kopf und öffnete in der Küche den Kühlschrank. 

Die Flasche Wasser hatte ich schnell an die Kehle gesetzt. Gierig trank ich sie bis zur Hälfte leer und ließ mich währenddessen auf einen der Stühle sinken. 

Ich dachte über den Traum nach, darüber was mir mein Unterbewusstsein damit sagen wollte. 

Ich dachte daran, was der Grund für mein Handeln gewesen war und erhob mich abrupt wieder.
//Die Uhr.// Meine Schritte fanden ihren Weg ins Badezimmer. Oben auf der Ablage über dem Badezimmer lag das Schmuckstück, dass für meinen Traum verantwortlich gewesen war. Für einen kurzen Moment bildete ich mir ein, sie würde mich höhnisch anlachen. So, wie die Zeiger auf ihrem Zifferblatt gerade angeordnet waren.
Ich schüttelte den Kopf und griff langsam danach, drehte sie um. Die Gravur auf der Rückseite brachte mich automatisch zum Lächeln.
“Damit die Zeit mit dir nie vergeht. Ich liebe dich.” Den Satz hatte ich selbst eingravieren lassen. Kurz vor unserem Hochzeitstag.
Ich verstand, warum ihm diese Uhr so wichtig war und warum es nur diese sein durfte, die er am Handgelenk trug.
Mit der Uhr in der Hand lief ich wieder zurück ins Schlafzimmer, hinüber zu seiner Bettseite. Nachdem ich die Uhr kurz auf der Rückseite geküsst hatte, legte ich sie ihm auf den Nachttisch.
Schweigend blickte ich ein paar Augenblicke lang auf ihn herab, schlüpfte anschließend wieder auf meiner Seite unter die Decke.
Ich kuschelte mich an ihn heran und flüsterte ich ihm leises “Ich liebe dich.”, ins Ohr. Egal, ob er mich hörte oder nicht, ich musste es meinem Mann in diesem Moment einfach sagen.
Den heutigen Alptraum würde ich niemals wahr werden lassen.
Niemals würde uns der Tod auf diese Art und Weise voneinander trennen.
Niemals.