Von Martina Annecke

„Also Frau Hansen, dann erzählen sie mal“, bat der Kommissar, seinen Notizblock zückend. Martha Hansen, die vor ihm auf einem verblichenen, ehemals weinroten Sessel saß, schnäuzte noch einmal in ihr Taschentuch und blickte fragend zu Kommissar Klüver auf. 

„Aber Hanno, seit wann siezt du mich denn? Gestern Abend…“

„Gestern Abend war ich zum Kartenspielen hier. Und heute Mittag ja wohl eher dienstlich“, fiel er ihr streng ins Wort und dachte an seinen Skatbruder Heinz, der, lang ausgestreckt mit einem schwarzen Kabel um den Hals, nebenan auf dem Küchenfußboden lag.

Martha, die durch die Tür nur die Füße ihres Mannes in den alten Latschen auf den schwarz-weißen Fliesen liegen sah, schluchzte wieder auf. 

„Ich weiß gar nicht, was eigentlich passiert ist“, gab sie leise von sich. 

„War denn noch jemand im Haus?“, fragte Kommissar Klüver. Martha Hansen schüttelte den Kopf.

„Dann fangen wir doch einfach von vorne an. War es ein normaler Morgen oder hat es Streit gegeben?“, half er ihr auf die Sprünge.

„Ja.“

„Ja, was?“

„Wir hatten Streit, es war also ein normaler Morgen“, beantwortete Martha die Frage.

Der Kommissar schnaufte und machte seine Notizen. „Und weiter.“

„Dann ist es irgendwie passiert und Heinz war tot.“

„Wenn du erzählst, habe ich das Gefühl, ich wäre dabei gewesen“, grummelte Klüver. „Mensch Martha, jetzt mach es uns doch nicht so schwer!“, fuhr er sie ungeduldig an.

„Ach, jetzt bin ich doch wieder Martha?“, entgegnete Frau Hansen schnippisch. 

Hanno Klüver atmete tief ein und aus. Das Martha Hansen eine schwierige Frau war, wusste er. Das hatte ihm sein Kumpel Heinz in den letzten vierzig Jahren oft genug erzählt. Aber er selbst war wohl auch nicht der Göttergatte gewesen, wie man ihn im Allgemeinen gerne hätte. Klüver ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Wie oft hatte er an dem alten Stubentisch gesessen und die Nächte durchgezecht. Hatte sich jemals was verändert all den Jahren? Die beige vergilbte Tapete an der Wand und die uralten Schränke standen wohl schon hier, als er noch kurze Hosen trug. 

Da klopfte es am Türrahmen und Klüver wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Inspektor Becker seinen Kopf ins Wohnzimmer steckte. „Die Spusi ist fertig. Können wir die Leiche abtransportieren?“

„Nein“, antwortete Kommissar Klüver. „Ich bin mit der Vernehmung noch nicht fertig.“

Becker sah ihn fragend an. 

„Frau Hansen war zu einer klaren Aussage noch nicht fähig.“ Jetzt schauten beide auf die Frau, die wie ein Häufchen Elend auf dem Sessel hockte und auf den Teppich starrte. 

„Sollen wir sie vielleicht ins Präsidium mitnehmen?“, schlug Becker vor.

Da erwachte Martha Hansen wieder zum Leben.

„Aber ich habe doch nichts getan!“, rief sie aufgeregt und setzte sich auf.

„Dann können sie uns ja wohl endlich erzählen, was heute Morgen geschehen ist.“

Martha Hansen nickte. „Na gut, ich versuchs.“

Die beiden Polizisten holten sich zwei Stühle heran und setzten sich Frau Hansen gegenüber. Die richtete ihren Blick aus dem Fenster und begann mit monotoner Stimme zu erzählen:

„Es war, wie gesagt, ein normaler Morgen. Ich bin früh aufgestanden und habe den Frühstückstisch gedeckt. Heinz hat noch länger geschlafen, es ist gestern Abend ziemlich spät geworden.“ Ein Seitenblick streifte den Kommissar, dann schaute sie wieder aus dem Fenster. 

„Ich habe bestimmt eine Stunde hier am Tisch auf ihn gewartet.“

„Und das hat sie wütend gemacht?“, warf Becker eine Zwischenfrage ein.

„Nein, eigentlich nicht. Oder doch, vielleicht ein bisschen. Auf jeden Fall kam er dann die Treppe runter gepoltert. Da ahnte ich schon, dass es wieder ein schlechter Morgen wird. Bei dem ganzen Bier und Schnaps gestern.“ Wieder ein vorwurfsvoller Blick auf Klüver.

„Dann kam Heinz in die Küche, schaute auf den gedeckten Tisch und fragte, warum es denn keine Brötchen gäbe. Und ich sagte, dass es draußen regnete und ich nicht mit dem Rad zum Bäcker fahren wollte. Da wurde Heinz dann schon ein wenig sauer, weil er doch so gerne Brötchen morgens isst. Dann habe ich ihm gesagt, entweder er holt selbst Brötchen oder er muss Toast essen. Da hat er natürlich lieber Toast gewollt, bevor der das Haus verlässt, der faule…“ 

Martha verschloss die Lippen. Die anfangs emotionslose Stimme ließ jetzt Ärger durchklingen. Kommissar Klüver machte sich Notizen und Becker führte die Befragung weiter.

„Und dann kam es zum Streit“, hakte er nach.

„Nein, so war das nicht“, entgegnete Martha. „Also erst mal gabs Kaffee, so richtig Hunger hatte der Heinz ja noch nicht. Aber dann wollte er doch, dass ich ihm den Toast mach. Bloß irgendwie wollte der Toaster nicht so richtig.“

Becker hob fragend die Augenbrauen.

„Na, der ging halt nicht an. Da sagt der Heinz zu mir, ich soll mal nach dem Stecker gucken. Der is ja da unten“

Martha zeigte vage in die Küche. Die beiden Beamten machten sich lang und konnten die Steckdose mit dem Kabel drin unter dem Küchentisch sehen. 

„Das sieht ja auch schon bisschen älter aus“, bemerkte Becker als er sich wieder zurücksetzte.

„Ja“, jetzt erhellte sich Frau Hansens Gesicht. „Der Toaster, der is noch von meinen Eltern. Den ham wir zur Hochzeit bekommen. Vor einundvierzig Jahren.“ Sie seufzte lächelnd. Ihr Blick ging ins Leere. 

Aber schon wechselte ihre Stimmung wieder. „Eigentlich wollte ich schon länger einen neuen Toaster, so einen schicken, kleinen mit Lichtern, aber davon wollte Heinz nichts wissen. Der ist doch noch gut, sagte er immer. Na ja, bis heute jedenfalls.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Und was war nun mit dem Stecker? Sie sind unter den Tisch und…“

„Ne, so war das nicht. Natürlich, der Heinz wollte, dass ich nach dem Stecker gucke. Aber, da habe ich nein gesagt, weil mit Strom hab ich das nicht so. Also ist er selber unter den Tisch und hat gemerkt, dass der Stecker in der Dose war. Ärgerlich ist er geworden, weil er ja nun ganz unnütz unter den Tisch is und beschimpft hat er mich. Dumme Gans hat er gesagt, zu doof zum Toasten…“ Tränen rannen aus ihren Augen und sie zog ein weiteres Taschentuch aus der Tasche ihres Blümchenkleides.

„Und dann sind sie wütend geworden?“, hakte Becker wieder nach.

„Nein, nicht so richtig. Vielleicht ein bisschen. Auf jeden Fall so, dass ich dem Toaster einen Stoß gegeben hab. Und der ist dann runter vom Tisch, is ja auch ziemlich schwer.“

Klüver stand auf, ging in die Küche und betrachtete den Toten und die Tatwaffe genauer. „Der Toaster ist dem Heinz dann auf dem Kopf gefallen“, bemerkte er und betrachtete die Wunde, die stark geblutet hatte. Der Brotröster, ein uraltes, riesiges Modell, konnte aufgrund seines Gewichtes durchaus eine tödliche Waffe geworden sein.

„Ich denke schon“, bestätigte Martha seine Vermutung. „Es war nämlich auf einmal so ruhig unterm Tisch. Nach einer Weile hab ich dann drunter geguckt und da war alles voller Blut. Da war ich richtig erschrocken.“ Bei der Erinnerung daran schüttelte es sie. 

Becker, der jetzt ebenfalls die Küche betrat, hockte sich zu der Leiche. „Und bei dem Fall hat sich das Kabel so stark um seinen Hals gewickelt?“ Es klang zweifelnd. 

„Ne, da war das noch nicht so.“ Martha kam ebenfalls in die Küche. „Aber ich wollte den Toaster aufheben, und hab dann wohl zu doll an dem Kabel gezogen, weil das hing ja noch an der Steckdose und…, und dann bin ich in dem Blut ausgerutscht. Und dann erst hat sich das Kabel…, so fest…, um seinen Hals…“ Martha griff sich an die eigene Kehle.

Inspektor Becker erhob sich wieder und blickte Martha Hansen ungläubig an. Kommissar Klüver ergriff das Wort. 

„Ich fasse mal zusammen: Es gab Spannungen, wie fast jeden Morgen. Dann war der Toaster kaputt. Sie schieben den Toaster vom Tisch, aus Versehen. Dann erwürgen sie ihren Mann mit dem Kabel, aus Versehen. Das Ganze ist also eine unglückliche Verkettung der Umstände?“

Martha nickte eifrig. „Ja, genau. Es ist einfach so passiert.“ Es klang mehr als ein wenig erleichtert.

Becker wollte sich damit jedoch nicht zufriedengeben. „Frau Hansen, ist es nicht eher so, dass sie an diesem Morgen die Nase endgültig voll hatten von ihrem Mann und seinen Beleidigungen. Dass sie ihn erschlagen haben, vielleicht im Affekt? Und jetzt spielen sie uns hier die trauernde Witwe vor?“ 

„Nein, so war das nicht“, antwortete Martha jetzt energisch. „Ja, ich war schon ärgerlich, aber nicht so. Jedenfalls nicht heute. Manchmal hätte ich ja schon können, also ihm was über die Rübe ziehen, meine ich, aber nicht den Toaster von meinen Eltern…“, erklärte sie fast empört.

Kommissar Klüver verließ die Küche. Er musste raus, eine rauchen. Vor dem kleinen reetgedeckten Haus wartete schon der Gerichtsmediziner, um endlich den Leichnam mitzunehmen. Klüver gab sein Einverständnis und steckte sich eine Zigarette an. Er nahm einen tiefen Zug und blickte in die trüben Wolken. Der Deich war ganz in der Nähe, wie gern würde er jetzt dort oben im Wind spazieren. Becker trat zu ihm.

„Glauben sie ihr das, Chef? Alles nur dumme Zufälle?“

„Sie wissen doch Becker, an Zufälle glaube ich nicht.“

„Also doch Mord.“

Klüver nahm einen weiteren Zug und stieß langsam den Rauch wieder aus. „Ich weiß nicht Becker, ich kenn die Martha ja nun schon so lange. Aber sowas.“ Ratlos schüttelte er den Kopf.

„Wenn es so gewesen ist, wie sie sagte“, überlegte Becker, „dann könnte er an der Kopfwunde gestorben sein, bevor sie am Kabel gezogen hatte. Dann wäre es vielleicht doch ein Unfall.“ 

„Ich denke, das wird die Gerichtsmedizin endgültig klären. Die Frage ist, wie gehen wir weiter vor.“

„Fluchtgefahr besteht wohl keine.“

Die Beamten warteten, bis die Leiche abtransportiert worden war, dann betraten sie noch einmal das Haus. Sie fanden Martha in der Küche, den Fußboden feudelnd und dabei ein fröhliches Liedchen summend. 

Verblüfft starrten die beiden Polizisten sie an. „Martha, was tust du denn hier?“, fragte Klüver. 

„Wischen natürlich. Ach Hanno, da der Heinz jetzt weg ist, bist du ja wohl nicht mehr dienstlich hier. Möchtest du das restliche Toastbrot mitnehmen? Es ist ganz frisch und ich weiß noch nicht, wann ich mir einen neuen Toaster holen werde.“

 

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