Von Kornelia Wulf
Ich stoße den Strohhalm auf und ab. Male einen Kreis in den üppigen Milchschaum, nippe am Glas. Ich liebe die Latte Macchiato aus dem neuen Automaten, den Torben für uns angeschafft hat. Sein Stahlkorpus glänzt in der Sonne. Manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubt, zieht Torben ein Tuch aus der Tasche. Vernichtet alle Spuren, die unbedachte Finger auf ihm hinterlassen haben. Ein Zischen holt mich aus meinen Gedanken ab. Sally lehnt sich an die elektronische Zauberkiste – multifunktional in wirklich jeder Hinsicht – befleckt ihren Espresso mit Sojamilchschaum. 2-Milk Solution, sagt Torben immer. Und wenn er das Dampfgeräusch hört, rollen seine Untertassenaugen. Sally schnauft, als sie sich fallen lässt. Auf den Hochhocker direkt neben mir. Sie stützt die Ellbogen auf dem Granittresen ab. In unserer Pausenecke mit Küchenzeile. Torben nennt sie Recreation-Bar. Die beste Idee, die ich jemals hatte, sagt er. Hier lockern wir das Hirn, lassen uns treiben auf dem kreativen Strom – O-Ton Torben! – dabei stets den Kopf flach halten unter Wasser. Irgendwann wird er vor seinen Worten auf die Knie fallen, denk´ ich manchmal. Er hat die Küche im Frühjahr einbauen lassen. Kurz bevor du hier angefangen hast, sagt Sally. Ihre Finger kreisen über Äpfel und Kiwis, die warten in der Schüssel auf dem Tresen. Bis sie in der gefährlichen Schale landen. „Auch schon egal“, stöhnt sie, während die Zähne sich in Schokolade vergraben. Eine Karamellspur, die sich tückisch am Kinn hinab schlängelt, enthüllt die zähe Sünde des Tages.
„Torben hat mich lang gemacht. Gerade eben.“ Abgekaute Nägel zerteilen das bereits erschlaffte Haar. „Nur ein winziger Patzer beim Re-Briefing. Ich solle die Gedanken mal wieder kräftig durchspülen, kläffte er. Kopernik&Meyer – du weißt schon, die Typen aus der Abteilung Sanitärkeramik – gehörten schließlich zu unseren wichtigsten Kunden. Fuck! Wen interessiert schon die ergonomische Form von Flex-Klobürsten? Heute Abend soll ich länger bleiben, die Sache mit ihm nochmals gründlich durcharbeiten.“ Und wieder landet Sallys Hand in der verbotenen Zone. Ein verschwebtes Ach, als sie nach dem Wiederholungsriegel schnappt. Ein Klackern von rechts, ich schaue zur Seite. Torben lässt seinen Bürostuhl kreisen, tritt durch die Tür. Er schreitet an Hochhocker und Tresen vorbei. Ganz nah. Ein warmer Hauch in meinem Nacken, er fühlt sich feucht und klebrig an. Torbens Kopf streckt sich vor, fast spür´ ich die Mundfältchen an meinem Ohr. Die Lippen geformt speichelnd, weich flüstert er
„Heute Abend wird es wieder mal später. Ein Arbeitsmeeting mit unserer Sally. Hey, bist du dabei? Oder stehst du nicht auf Dreier?“
Verräterische Hitze auf meiner Haut. Schon spür´ ich das Blut in den Adern anklopfen. Gleich wird das Rot zu den Wangen aufsteigen. Und mein Hals, er scheint zu schrumpfen. Ein schmerzhaftes Knacken – er rutscht zwischen die Schultern.
Ein stolperndes Lachen mischt sich in Torbens Geflüster. Mit gespreizter Hand schwenkt er den Arm, als wische er den Witz wie Dreck von der Scheibe
„Hey, Robert, nur eine Minute“ …
Unser Grafikdesigner sitzt am Schreibtisch gleich neben mir.
„… Kopernik&Meyer …“
Und noch einmal klatscht sein Blick in mein Gesicht. Kriecht schneckengleich hinab bis zur Schulter, saugt sich dann fest an meiner Brust. Und ich widerstehe dem Drang, ihn abzureiben, die Haut in feine Stücke zu reißen. Nur frisches Blut vermag es ihn abzuwaschen.
Meine Lider zucken und flattern. Woher kommen nur diese Gedanken, die schon seit Tagen – oder schon Wochen? – über mich herfallen. Sallys Hand. Auf meinem Arm. Unendlich zart, die Fläche so warm „Ja, ich weiß“, Körpersprache flüstert mir zu. Mit der Linken schiebt Sally die Latte herüber. Und ich halte mich fest an dem Glas, sauge am Strohhalm, schlürfe den Schaum.
Ihr spitzes Kreischen schreckt mich auf. An mir rauscht ein buntes Knäuel vorbei. Schokoriegelfolie landet auf Roberts Ohr. „Sorry, Robbie.“ Sally deutet auf den Papierkorb unter seinem Schreibtisch. „Fast getroffen.“ Und während ich vom Sitz des Hochhockers rutsche, suche ich nach Berührungsspuren – Sallys Hand, so warm, so zart – alles nur Bluff oder Milchschaumtraum, der jeden Moment in sich zusammenfallen kann? Rasch stelle ich das Latte Macchiato Glas ab, auf dem Granit der Küchenzeile, als von meiner Bluse ein Knopf abplatzt. Hilflos zerre ich an den Baumwollleisten. Drücke die Hand auf Haut und Fleisch, in den Falten rinnt der Schweiß. Sie ist zu mir herüber geschwappt, die Fettwelle, die sich so viele schnappt. Die zunächst nur Lipid Tröpfchen auf dich sprüht – du spürst sie nicht, hat kein Gewicht – bis sie dich in die Breite zieht. Sallys Blick tastet sich an. Ja, sie nickt, das kenne sie auch und lüftet ihr T-Shirt über dem Bauch. Und alles, was über den Bund der Jogpants quillt, nimmt sie fest in den Zangengriff. Während sie über Diäten faselt – okay, das nenne man jetzt Ernährungsumstellung – schwärmt sie von einem Wahnsinnskracher, von dem sie in der myself gelesen habe … Low Carb im Wechsel mit Intervall … immer im Einklang mit den Mondphasen … ob wir das nicht gemeinsam machen …
Ihr Wortschwall strömt an mir vorbei. Ich denk´ an den Stapel auf meinem Schreibtisch – Termingeschäfte, noch so viel Arbeit -, lasse den Blick durch die Weiten des Büroraums gleiten. Torben, wieder an seinem Platz, abgetrennt in der Chefbereichsnische, starrt mich durch die Glastür an. Und ich ziehe an den Baumwollleisten. Sein Blick ist bestimmt in den Spalt geschlüpft, der zwischen Brüsten und Bauchnabel klafft, haftet dort fest auf meiner Haut. Bitte kein Sekundenkleber, fleht es in mir ohne Laut. Ich versuche den Kopf zur Decke zu strecken – aufrecht gehen, nichts ficht mich an –, bis er mich überfällt, dieser Schmerz, Wirbel für Wirbel, stechend, heiß. Als gleite eine Nadel durch die knöchernen Löcher und fädele meinen Rücken auf. Ich möchte mich einfach fallenlassen, auf allen Vieren über den Boden krabbeln, als ich Sallys Handfläche spüre – warm, zart – und ihr Blick scheint zu fragen, soll ich dich tragen? Unmerklich schüttele ich den Kopf.
„Ich muss dringend zum Osteopathen. Meldest du mich bei Torben ab?“
***
Ich stehe zwischen TV und Küchenzeile. Vor dem großen Ganzkörperspiegel. Er hängt an der Wand meiner Einraumwohnung – multifunktional in wirklich jeder Hinsicht – stets nur drei Schritte vom Essen zum Chillen. Langsam rolle ich Wirbel für Wirbel auf, dehne in zarten Dosen den Hals, richte die krumme Linie auf. Den Kopf fast bis zur Decke gestreckt lächle ich mir zu.
„Aber, hallo!“
Und streichle sanft meine massigen Kurven. Noch glaube ich sie auf der Haut zu spüren. Die Finger, in den Tiefen des Fleisches versunken, bis zum Anschlag, letztes Glied.
„Ja, dieser Mythos dickes Fell,“ murmelte Nandi, die Osteopathenfee, „als könne man es verstecken unter einer Decke, dicht gewirkt aus Haar und Fett und die Sprache des Körpers zum Schweigen bringen.“ Ihre magischen Finger wanderten weiter, gruben sich ein in das Dickicht der Faszien, lockerten die Muskeln aus Pflasterstein.
„In deinem Fall wohl eher ein Panzer.“
Ich sinke hinab auf meine Schlafcouch, nur drei Schritte entfernt vom Spiegel. Denke zurück an die Ottilie, meinen Seelenzwilling. Bestimmt aus demselben Ei geschlüpft, hab´ ich mir stets als Kind gewünscht. Die auf einem saftigen Kleeblatt kauend, Stunde um Stunde den Worten lauschte. Sie sicher verwahrte, stets verschwiegen, unter ihrer harten Schale. Die krummen Beinchen lang gestreckt nahm sie mich in ihren Panzer auf, wenn die Welt mich zum Weinen brachte.
Ein dunkler Schatten in meinem Blick, unklar umrissen, schemenhaft, wabert er in der gläsernen Fläche des Spiegels.
Ist sie wirklich zurückgekommen? Sitzt sie jetzt hier, ganz nah bei mir?
Oder alles nur Bluff und Milchschaumtraum?
Ich muss doch durchhalten, rufe ich stumm. Juniortexterin bei Torben&Friends, absolut premium. Und das direkt nach dem Studium. Das ist wie ein Sechser im Branchenlotto. Solch eine Chance gibt es nicht zweimal. Zu einem klebrigen Netz auf meiner Haut, breiteten sich seine Blicke aus. So what, dachte ich. Da muss man sich halt gründlicher waschen. Schon glaubte ich, mir sei eine Schutzhaut gewachsen, hart und dick, wie ein Panzer. Bis Torben und ich uns zum Meeting trafen. Alle Kollegen bereits im Feierabend. Er hat mich an den Automaten gepresst. Eiskalt der Stahl in meinem Nacken, schon hörte ich es verräterisch knacken. Seine Finger, überall, besonders dort, wo ich es nicht mag. Das Latte Macchiato Glas in meiner Hand glitt von der schwitzigen Fläche ab. Alles zersprang. Er zog das Tuch aus seiner Tasche, polierte die Fläche, lupenrein. Wischte von meiner Lippe weißen Schaum.
„Oh, wow, 3-Milk Solution“, raunte er.
Ein durchdringendes Gebimmel schreckt mich auf. Ich eile durch den Flur zur Wohnungstür. Sally steht vor mir.
Mein prüfender Blick erforscht ihr Gesicht. Ich schaue auf die Armbanduhr. Erst 17 Uhr 50.
„Das Working-Date – schon vorbei? Hat er dich wirklich aus seinen Fängen gelassen? “
„Pah! Es hat sich aus gemeetingt. Wir müssen eine klare Grenze ziehen. Erinnerst du dich an Mandy … Nein? … Doch! … Letzte Woche haben wir sie im Kino getroffen. Echt der Knüller! Die arbeitet in der Frauenberatungsstelle …“
Ich spüre ihre Hand, zart und warm. Gemeinsam schlendern wir in die Wohnung, Arm in Arm. An den Küchentresen gelehnt, schnappt sich die Sally einen Apfel, der in der Schüssel auf sie zu warten scheint.
„Oder“, ihre Zähne vergraben sich in die blasse Schale, „wir präparieren für ihn die verführerische Seite.“
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