Von Sabine Zercher

Endlich hatte ich es geschafft und eine größere Wohnung gefunden, im Erdgeschoss mit einem kleinen Garten, der ziemlich verwildert aussah. Die Vormieter hatten wohl kaum etwas darin gemacht oder ihn als „Biotop“ seinem Schicksal überlassen; ich würde mich später darum kümmern. Erst einmal würde ich die wichtigsten Umzugskartons auspacken, dann müsste ich wieder anfangen zu arbeiten.

Ich zog nicht gerne um, und es war purer Platzmangel gewesen, da ich auch meinen Arbeitsplatz überwiegend zuhause hatte.

 

Es läutete an der Wohnungstür, zwei Freundinnen kamen, um mir beim Auspacken zu helfen. Als wir gerade eine Pause machten, klingelte es wieder. Herr Pumpel von gegenüber, wie ich an den Klingelschildern gesehen hatte, stand mit seiner kleinen Tochter vor der Tür. Auch er bot mir seine Hilfe beim Einzug an, vor allem hatte aber seine Tochter Pia ein kleines Problem. Babette, ihre Schildkröte, war verschwunden und sie wollte gerne in meinem Garten nach ihr suchen. 

Dann lud Herr Pumpel mich für abends zu ihnen zum Essen ein; seine Frau und er würden ohnehin etwas kochen. Die Einladung nahm ich gerne an, Pia suchte im Garten nach ihrer Schildkröte, und wir nahmen uns noch ein paar Umzugskartons vor.

 

Babette war leider unauffindbar und Pia untröstlich, aber bald ließ sie sich glücklicherweise ablenken. Der Abend bei Pumpels war nett, und ich versprach dem kleinen Mädchen, nach der Schildkröte Ausschau zu halten. Sie sei etwas ganz Besonderes, hatte Pia betont (Pia Pumpel: Was für ein Name – das arme Kind –, dachte ich, doch dies nur nebenbei). Sehr weit würde Babette nicht gekommen sein, überlegte ich außerdem, schließlich war sie eine Schildkröte und kein hoppelndes Kaninchen. Hatte sie sich in der Wildnis meines Gartens einfach nur versteckt, weil ihr der Lärm bei meinem Einzug zu viel geworden war? Hatte sie Gefallen an ihrer neuen Umgebung gefunden und beschlossen, dort zu bleiben? Zu fressen fand sie im Garten sicher mehr als genug.

 

Dann begann wieder der Alltag. Ich hatte mich allen Hausbewohnern vorgestellt, Familie Pumpel als Dankeschön ebenfalls eingeladen, arbeitete viel am PC und machte mir daher erst einige Zeit später Gedanken über den Garten und darüber, wen ich um Hilfe bitten könnte. Vielleicht kannte der Vermieter jemanden. Als ich ihn anrief, freute er sich, dass ich dem Gestrüpp zu Leibe rücken wollte, und meinte, er würde sich umhören. Bald darauf rief mich ein älterer Herr an, um sich den Garten einmal anzusehen.

 

Mir selbst gefiel der verwilderte Garten eigentlich immer besser, er hingegen kam ins Schwärmen, was er aus diesem ja leider nur kleinen und bedauerlicherweise sehr verwilderten Stück Erde machen würde. Etwas Schönes… Edles… Sauberes… Ordentliches…. Ich sagte, ich würde es mir überlegen, wir verabschiedeten uns, und ich ließ es vorerst dabei bewenden.

 

Weil es draußen wärmer wurde, standen die Fenster und die Tür zum Garten häufig offen. Eigentlich traute ich mich das nur, wenn ich selbst im Zimmer war; es könnte ja eingebrochen werden. Ich hielt mich aber nicht immer daran, und eines Tages hörte ich es im Wohnzimmer rumpeln, als ich gerade hinaus gegangen war und die Tür wegen des Durchzugs geschlossen hatte. Jetzt war es tatsächlich passiert! Jemand war in meiner Wohnung! Mir blieb das Herz stehen, ich war schweißgebadet und fror. Seltsam war nur, dass ich nun fast nichts mehr hörte außer einem leisen Scharren. Stand der Einbrecher reglos da und wartete, bis ich die Tür aufmachte und er mir eins überziehen konnte? Machte er sich am Schrank zu schaffen? Hatte er eine Pistole? War er längst geflüchtet, und ich bildete mir das Geräusch nur ein? Woher kam dieses Scharren? Sollte ich die Polizei rufen? Wo war mein Handy!? Was sollte ich sagen?? Dass vermutlich in meine Wohnung eingebrochen worden war, weil ich leichtsinnigerweise alle Fenster offen gelassen hatte und aus dem Zimmer gegangen war? Und dann?

 

Ich rief laut, als würde ich telefonieren und hätte eine schlechte Verbindung: „Alles klar, Schatz, ich weiß Bescheid. Den Hammer habe ich gefunden, und Onkel Peter kommt ja auch gleich und hilft mir bestimmt“, ging dabei mutig Richtung Wohnzimmer, riss die Tür auf und sah: erst einmal nichts Verdächtiges. Aber da war wieder dieses Scharren, und als ich mich weiter suchend umsah, fiel mein Blick auf eine kleine Schildkröte. „Ja, Babette, was machst du denn hier?“, fragte ich und kam mir albern vor, weil sie mich ja kaum verstehen würde. „Du bist doch Babette?“, fragte ich trotzdem.

 

Eigentlich bin ich eine nüchtern und vernünftig denkende, gut organisierte Person mittleren Alters, möchte ich hier einflechten. Aber bei diesem unerwarteten Besuch Babettes, die zudem keine Einbrecherin war (zum Glück hatte ich die Polizei doch nicht alarmiert), war das eigenartigerweise anders.

Streng genommen hätte ich sofort Familie Pumpel Bescheid geben müssen, dass Babette wieder aufgetaucht war, und was tat ich? Ich vernarrte mich sofort in das Tier. Baute ihr ein kleines Haus in meiner Wohnung, teilte Salat und Obst mit ihr, las im Internet über die Haltung von Schildkröten nach und wie sie den Winter überstehen. Ich kaufte eine Wärmelampe und fragte mich, ob ich noch ganz bei Sinnen war. Dass sie gern eine weitere Schildkröte zur Gesellschaft hätte, las ich auch, aber das ging mir zu weit. Ich sprach regelmäßig mit ihr, und manchmal kam es mir so vor, als ob sie mir aufmerksam zuhörte. Dann kam der Herbst, und Babette grub sich in ihrem Haus, das ich in den kühlen Keller getragen hatte, als keiner es sah, zu einem mehrmonatigen Winterschlaf ein. Ich schaute ab und zu nach, hörte und sah aber nichts von ihr, trug das Schildkrötenhaus im Frühjahr wieder ins Wohnzimmer, schaltete die Wärmelampe ein und wartete ab.

 

Ob ihr es glaubt oder nicht: Nach einigen Tagen hörte ich es morgens im Wohnzimmer rascheln und rumpeln, und als ich neugierig zu Babettes Schildkrötenhaus ging, sah sie mich mit ihren kleinen, blanken Augen an und sagte – unüberhörbar und ganz sicher nur für mich bestimmt – „Hallo“. 

 

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