Von Daniela Seitz

„Das ist Alice,

Alice im Wunderland

Alice, mit ihrer Fantasie!“

 

Es ist der 25. April. Ich bin vier Jahre alt und spiele mit meinen Schwestern im Wohnzimmer. Da steht sie vor mir.

„Hallo“, sagt die Schildkröte.

„Das ist mein Kollege“, stellt mein Vater die Schildkröte vor.

Sehe etwa nur ich eine Schildkröte? Meine Schwestern reagieren normal. Ich passe mich an.

***

Sie kommt immer wieder. Freundet sich mit mir und meinen Schwestern an. Erzählt uns Geschichten und erfindet sogar extra ein Zauberland für mich. Ich vergesse ihr wunderliches Wesen.

Mit uns Kindern sucht sie den Kontakt, ist kreativ und aufmerksam. Ich habe sie echt liebgewonnen. Gerade weil sie eine Schildkröte ist.

Ich vertraue ihr an, was ich wahrnehme.

„Nun, Darla, vielleicht siehst du mich einfach wie kein anderer mich sehen kann. Ich habe…ich habe…habe einiges später gelernt als andere.“

Ich mag sie immer mehr und nehme sie bei der Hand.

„Das macht doch nichts. Ich finde Schildkröten toll.“

Sie drückt meine Hand. Mehr ist nicht nötig. Wir spüren unsere Verbundenheit.

***

„You, Docs Baby?“

Ich vertraue meiner Schildkröte seit neun Jahren. Obwohl ich nicht verstehe, was sie meint, folge ich ihr auf den Dachboden. Sie will die Tür schließen und plötzlich habe ich ein schlechtes Gefühl im Bauch.

„Lass uns wieder runter gehen“

Ich gehe an ihr vorbei und bin schon durch die Tür. Da hält er mich an meinem Handgelenk zurück.

Mein Blick wandert zu seiner Hand.

Und in seine Augen.

Wieder zu seiner Hand.

Und zurück.

Er sieht nicht mich. Irgendwas beschäftigt ihn.

Ich folge seinem Blick.

Er starrt auf meine Hand.

Um genau zu sein, auf meine Finger.

Ich verstehe das nicht.

Mein Versuch, meinen Arm zu befreien, scheitert.

Er verstärkt den Druck seiner Hand.

Es tut nicht weh.

Und doch weiß ich, dass er allmächtig ist.

Sein Schweigen dauert zu lang.

Ich werde hysterisch.

Aber nur in meinem Kopf.

Mein Gehirn überschlägt sich.

Mein Körper ist erstarrt.

Eine plötzliche Bewegung.

Seine Hand an meiner Brust.

Innerlich kratze, beiße und wehre ich mich.

Aber mein Körper gehorcht mir nicht.

Schreie ersticken in mir.

Wer hätte gedacht, dass die Ewigkeit so abscheulich und still ist.

Ohne dass es einen Grund zu geben scheint, lässt er mich los. Er ist wieder normal. Nein, zum ersten Mal sehe ich, was meine Schwestern und Eltern von Anfang an erlebt haben müssen. Den Mann in der Schildkröte.

„Wollen wir mit dem Ruderboot rausfahren?“, fragt er und geht vor.

Ich folge ihm. Aber nur weil ich weiß, dass wir mit meinen Schwestern zu einer Bootstour verabredet sind.

***

Er hat einen Samen in mir gepflanzt.

Mir ist nicht klar, dass ich den Rest meines Lebens Angst vor Männern haben werde.

Ich belüge mich selbst.

Darüber reden kommt mir überhaupt nicht in den Sinn.

Wer würde mir glauben?

Ich glaube mir selber nicht.

Das kann er nicht getan haben.

Meine Eltern würden daran zerbrechen.

Ich darf es nicht erlebt haben.

Meine Familie erwartet, dass ich funktioniere.

Ich setze ein Lächeln auf.

Schminke mich, wie meine Schwestern es tun.

Eine Maske!

Meine Seele schützt mich.

Und ich erinnere mich nur daran, wieviel Spaß wir an dem Tag hatten, als wir zu viert mit dem Ruderboot rausfuhren und er uns das Zauberland in Schriftform präsentierte.

 

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Anmerkung: 

– Am 25. April eines jeden Jahres kommt es zu vermehrten Übergriffen auf Kinder. Dieser Tag wird in der Pädophilenbewegung gefeiert, weil Lewis Carrol an diesem Datum seine vier-jährige Muse Alice Liddel kennenlernte. Entsprechende Neigungen von Lewis Carrol sind nicht bewiesen.

– den meisten Pädophilen/Girlslovern geht es nicht um Penetration, sondern um die Herstellung einer erotischen Situation, an die sie sich erinnern können

– Kinder müssen durchschnittlich sieben Erwachsenen erzählen was ihnen passiert ist, bevor sie einen einzigen finden, der ihnen Glauben schenkt.

– Missbrauchsopfer finden einen Weg das Gute (sie, die Schildkröte) vom Schlechten (er, der Mann) abzutrennen um den Widerspruch, der durch zwei Gesichter eines Menschen ausgelöst wird, einordnen zu können.