von Renate Oberrisser 

 

„Hallo. Ich bin Kleo. Ich freue mich, dich kennen zu lernen. Wer bist den du?“ Wohlgesonnen begrüßt Kleo das haarige Etwas, welches mit verkniffenem Gesicht in das Terrarium starrt.

 

„Ich bin Herr Sheila. Und das es von Anfang an klar ist. Hier, in meinem Wohnzimmer, bin ich der Boss!“, faucht es der kleinen Schildkröte entgegen. „Ich will nicht unnötig gestört werden. Hast du mich verstanden!“ Die Fellnase fährt drohend die Krallen aus und begibt sich majestätisch auf einen erhöhten Platz.

 

Tock, tock. Tock, tock.

 

Herr Sheila streckt sich misslaunig. „Was ist denn?“

 

Tock, tock. Tock, tock. Kleo stößt mit dem Kopf gegen die Scheibe. „Hallo Herr Sheila! Schau doch mal! Da draußen! Was ist den da los!“

 

„Wer will bloß wissen, was da draußen los ist. Hier drinnen spielt sich doch alles Bedeutsame ab. Alles worüber du Bescheid wissen musst. Was interessiert uns, was dort draußen in diesem unbedeutenden Kaff los ist.“

 

Kleo schüttelt den Kopf und zieht ihn zurück unter das schützende Schild. ‚Bloß nicht unachtsam werden. Man weiß ja nie, was geschieht, wenn sich Herr Sheila brüskiert fühlt.‘

 

Tock, tock. Tock, tock.

 

„Hallo Herr Sheila.“ Die Neugierde ist stärker als die Vorsicht.

 

Herr Sheila springt auf das Terrarium und lässt die Pfote pfeilschnell durch die Luft sausen.

 

„Autsch.“ Kleo purzelt von einem Eck ins andere, während scharfe Krallen eine knarzende Spur auf dem Rückenpanzer hinterlassen.

 

„Nichts von Bedeutung tut sich da draußen. Bloß ein paar verirrte Vögel, welche in ihrem Hühnerhaus herumschreien. Sollen doch zufrieden sein, in ihrem sicheren Kobel. Ich beschwere mich ja auch nicht. Ich hab es voll schön hier drinnen. Rundum-Service inbegriffen.“

 

„Du kannst hier tun und lassen was dir beliebt. Warum solltest du dich auch beschweren?“, entgegnet Kleo, rappelt sich auf und streckt den Kopf weiter vor, um vielleicht doch etwas zu erspähen.

 

„Bei mir ist das auch notwendig. Ich muss mich strecken und meine Krallen schärfen. Ich muss mich anpirschen und herum springen. Darum gehört mir auch dieses tolle Klettergerüst. Du dagegen brauchst ewig für ein kleines Stück. Für dich genügt dein kleiner Bereich vollauf. Und die da draußen, die sollen sich nicht so aufspielen. Undankbares Pack.“

 

„Vielleicht fürchten sie sich ja vor etwas?“, grübelt Kleo.

 

„Papperlapapp. Fürchten. Wovor den?“

 

„Ich weiß es nicht, ich komme hier ja nicht raus. Aber wenn ich raus könnte, würde ich nachsehen was los ist.“

 

„Du würdest da raus gehen wollen?“ Herr Sheila sträubt die Schnurrhaare. „Nur um zu wissen, warum diese Vögel so einen Krach machen? Das ist völlig unnötig. Wozu gibt es den diesen Wunderkasten an der Wand. Der zeigt und erklärt dir alles, was du wissen musst.“

 

„Und, was sagt er darüber, was vor unserem Fenster los ist?“

 

„Nichts sagt der Wunderkasten darüber. Wen interessiert es schon, was in diesem Kaff los ist oder warum ein paar verirrte Vögel Krach machen. Unzufrieden und undankbar sind sie, weiter nichts.“

 

„Woher willst du das wissen, wenn dein Wunderkasten nichts darüber bringt?“

 

„Weil mein Wunderkasten nur über bedeutsame und wissenswerte Dinge berichtet. Zum Beispiel das Klettergerüst XXL Version III.II.I. Das neueste Modell für die moderne Katze.“

 

„Und du glaubst, dass das bedeutsam und wissenswert ist. Mich würde schon mehr interessieren, was da draußen vor unserem Fenster los ist.“ Kleos Blick verweilt bei dem Quadrat in der Mauer, durch das es blau schimmert. Mehr ist für die kleine Schildkröte nicht zu sehen, zu hören ist jedoch vielfältiges Geschrei.

 

Tock, tock. Tock, tock.

 

„Hallo Herr Sheila.“

 

„Ach lass mich bloß in Ruhe.“

 

Tock, tock. Tock, tock.

 

„Hallo Herr Sheila. Schau doch, das Fenster.“

 

Herr Sheila springt auf das Terrarium. Beißt Kleo wütend ins kleine Stummelschwänzchen, welches frech unter dem Panzer hervorlugt. Schüttelt heftig mit dem Kopf hin und her und schleudert Kleo zum offenen Fenster hinaus.

 

„Ich fliege, wie ein Vogel …“ Kleo versucht eine elegante Landung hinzulegen. Purzelt jedoch in einen großen Haufen aus irgendetwas Weichem. Aufgeregtes Flattern und Geschrei setzt ein.

 

„Hallo. Ich bin Kleo. Ich freue mich, euch kennen zu lernen. Wer seid den ihr?“ Neugierig blickt Kleo in unzählige schwarze Augen.

 

„Ich bin Mimi.“

„Ich bin Maxi.“

„Ich bin Sumsi.“ 

„Ich bin Henrietta.“

„Wir sind Hühner und was bist du? Bist du ein UFO?“, gackert unzählig Federvieh kreuz und quer durcheinander.

 

„Hahaha. Ich bin doch kein UFO. Hab ich bei meiner Landung so ausgesehen? Ich bin eine Schildkröte.“ Kleo schüttelt sich vor Lachen. „Was ich schon lange wissen will, warum macht ihr oft so ein Geschrei?“

 

„Wir spielen ‚Wer fürchtet sich vorm roten Fuchs‘ … und wenn er kommt, dann laufen alle schreiend davon und der Fuchs läuft auf der anderen Seite vom Zaun auf und ab und ärgert sich, weil er uns nicht fangen kann. Du kannst gerne das nächste Mal mitspielen.“

 

Verstohlen beobachtet Herr Sheila vom erhöhten Beobachtungsposten aus das muntere Gegacker.  „Endlich ist hier drinnen wieder Ruhe eingekehrt! Wer will schon wissen, was bei den verirrten Vögeln da draußen los ist.“

 

 

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