Von Siegfried Reitzig

 

„Habt ihr Lucy gesehen?“, erkundigte sich Paul mit fragendem Blick in die Runde, als er vom Hof hereinkam.

„Nee, ich glaub, die ist mit Pete nach London gefahren. Sie wollten noch das Essen für die Feier nächste Woche bestellen“, erwiderte John.

„Das ist super“, entgegnete Paul erfreut und fuhr fort:
„Ich wollte nämlich mit euch besprechen, was wir Lucy und Pete zu ihrem Hochzeitstag schenken. Eine Diamantene Hochzeit ist schon ein sehr besonderer Ehrentag und zu dieser Feier können wir natürlich nicht mit leeren Händen kommen.
Was haltet ihr von einem gemeinsamen Geschenk?“

George und Ringo signalisierten durch ein vages Nicken, dass ihr Einverständnis nicht ausgeschlossen schien – nur John blickte finster vor sich hin, fand den Vorschlag nicht gut und legte auch gleich los:

„Ich bin auf jeden Fall gegen etwas Gemeinsames! Wir würden uns doch sowieso nicht einigen!
Außerdem habe ich schon einiges vorbereitet und bin nicht bereit, davon wieder abzuweichen.“

John hielt eine Kaffeedose hoch und schüttelte sie zärtlich, so dass ein leises Klackern ertönte und alle wussten, dass jedenfalls kein Pulver darin war.

„Hier sind genau 60 Diamanten drin – immer einer für jedes Ehejahr der beiden. Diese edlen Steine sind genauso unzerstörbar wie die Liebe von Lucy und Pete zueinander und stehen für ihr gemeinsames Leben voller Licht und Glanz, das ihnen einen besonderen Schliff verliehen hat!“

Die anderen drei waren beeindruckt von Johns Geschenk.

Nach einer kurzen Pause ergriff schließlich George das Wort:

„Tolle Idee, aber nun sag mal, Kollege – woher hast du denn bloß 60 Diamanten? Du bist doch dauernd klamm und so gut haben wir in letzter Zeit mit unseren Auftritten doch gar nicht verdient, dass du mehr als eine Dose mit Kaffee anschaffen könntest.

John grinste seinen Freunden unverschämt ins Gesicht und verkündete:

„Geklaut – was dachtet ihr denn!?“

Zunächst kam keine Antwort, Paul hatte sich als erster von Johns Offenbarung erholt und unterbrach das minutenlange betretene Schweigen mit heftigen Worten:

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Diamantenraub ist nun wirklich kein Kavaliersdelikt und wenn sie dir dieses Ding nachweisen, wanderst du in den Knast, und dass wir dann unsere Auftritte vergessen können, ist dir hoffentlich klar!“

Auch Ringo funkelte seinen Bandkollegen böse an:

„Du bist und bleibst ein chaotischer Idiot.“

John ließ diese Anfeindungen an sich abperlen und rückte mit der Wahrheit heraus:

„Nee Jungs, die Steinchen sind natürlich nicht echt, die hab ich gestern für kleines Geld bei Mooshy La La in der Penny Lane gekauft.
Und als Ausgleich für die falschen Diamanten kriegt Lucy noch diesen echten Riesenjoint.

Ich bin absolut sicher, dass unsere alte Freundin den zu würdigen weiß!
Ihr könnt euch also wieder beruhigen – es ist alles in Ordnung!“

Die Beatles waren sehr erleichtert, dass der Streit heute nicht wie so oft eskalierte und wie sich herausstellte, hatte jeder von ihnen sich schon etwas für Lucy und Pete überlegt und die Diskussion über ein gemeinsames Geschenk gar nicht geführt werden musste.

George als Liebhaber von edlen Autos hatte für das Ehrenpaar das Modell eines Austin-Taxis besorgt und es liebevoll in eine Ausgabe des Liverpool Echo von 1907 eingewickelt. In diesem Jahr hatten Lucy und Pete den Bund der Ehe geschlossen und dieses Zeitungstaxi sollte die beiden an 60 Jahre Fahrt durch die vielen Hochs und Tiefs ihres gemeinsamen Lebens erinnern.

Das Geschenk von Ringo sollte ein Kaleidoskop sein, durch das die beiden abwechselnd die herrlichsten Phantasieblumen erblicken und dadurch in den Zustand tiefer Entspannung und friedvoller Ruhe gelangen könnten.

Paul endlich hatte sich auf seine Begabung als Maler ausdrucksvoller Bilder besonnen, die er neben seinen Fähigkeiten als begnadeter Musiker pflegte und ein kleines Kunstwerk erschaffen, das eine Szene aus der Geschichte von Mary Poppins darstellte.
Er wusste, dass sowohl Lucy als auch Pete die Szene liebten, wenn der Straßenkünstler Dick mit Mary Poppins und den Kindern Jane und Michael auf Karussell-Pferden in eine gemalte englische Landschaft reiten und prompt mitten in eine Fuchsjagd geraten.

Weil das Telefon klingelte, unterbrachen die vier ihre gegenseitige Vorstellung und Begutachtung der zugedachten Geschenke und Paul eilte an den Apparat, um das Gespräch im Nebenraum entgegenzunehmen.
Als er nach einigen Minuten zurückkehrte, wussten John, George und Ringo sofort, dass etwas Schreckliches geschehen war.

Paul war weiß, wie eine Wand und sprach mit zittriger Stimme zu ihnen:

„Lucy ist tot. Pete hat angerufen. Lucy ist in London an einem Herzanfall gestorben.
Unsere beste Freundin ist tot – wir werden sie nie wiedersehen …“

Paul weinte nun bitterlich und auch seine drei Freunde kämpften mit den Tränen.

„Einfach beim Einkaufen umgefallen … oh nein, oh nein!“

***

Zwei Wochen später, es war der Tag der Diamanthochzeit, erhielten die Familie und die Freunde der verstorbenen Lucy Finnegan die Gelegenheit, persönlich Abschied zu nehmen.
Pete hatte dafür gesorgt, dass die Urne in einem pietätvoll eingerichteten Trauerraum den Besuchern auf einem roten Samtkissen präsentiert wurde.
Immer bis zu fünf Personen durften zugleich den Raum betreten und natürlich waren auch die vier Beatles erschienen, um sich gemeinsam von ihrer langjährigen Freundin zu verabschieden.
John hatte die Idee gehabt, dass sie ihre Geschenke für die Diamanthochzeit mitgebracht hatten, um sie am Fuße der Urnensäule als symbolische Mitgabe an die Verstorbene aufzubauen.
Paul, John, George und Ringo sprachen noch ein leises Abschiedsgebet und blickten dabei voller Trauer auf das Bild mit Mary Poppins, das Zeitungstaxi und das Kaleidoskop zu ihren Füßen.

Die vier verließen den Ort der Trauer, atmeten erst einmal tief durch und Paul fand als erster seine Sprache wieder:

„Lasst uns ins Studio fahren und ein Abschiedslied für Lucy schreiben, als Andenken an diese großartige Frau, die nun nicht mehr bei uns ist und die wir nie vergessen werden.“

Die anderen drei signalisierten durch stummes Nicken ihre Zustimmung und George erkundigte sich beiläufig:

„Sag mal, John, wo war denn dein Geschenk abgeblieben? Hast du die Kaffeedose etwa vergessen?“

„Natürlich nicht“, entgegnete John. „Aber als ich bemerkt habe, dass man Lucys Urne aufschrauben kann, hab ich die Diamanten einfach reingeschüttet …“

„Und den Riesenjoint gleich hinterher?“, fiel Ringo dazu ein.

John lachte verschmitzt:

„Nee, nee, den hab ich in der Tasche – der wird uns beim Komponieren noch gute Dienste leisten!“

 

Lucy In The Sky With Diamonds

Stell dir vor, du sitzt in einem Boot auf einem Fluß
mit Mandarinenbäumen und Marmeladenhimmeln.
Jemand ruft nach dir, du antwortest ziemlich langsam,
einem Mädchen mit Kaleidoskopaugen.

Cellophanblumen so gelb und grün,
türmen sich über deinem Kopf.
Schau nach dem Mädchen mit der Sonne in den Augen,
und sie ist fort.

Lucy im Himmel mit Diamanten.

Folge ihr runter zur Brücke bei einem Brunnen,
wo Schaukelpferdmenschen Marshmallowkuchen essen.
Jeder lacht dich an , als du an den Blumen vorbeitreibst,
die so unglaublich hoch wachsen.

Zeitungstaxis erscheinen am Ufer,
warten nur darauf , dich mitzunehmen.
Steig hinten ein mit dem Kopf in den Wolken,
und du bist fort.

Lucy im Himmel mit Diamanten.

Stell dir vor, du sitzt in einem Zug in einem Bahnhof
mit Plastilindienstmännern mit Spiegelkrawatten.
Plötzlich ist da jemand am Drehkreuz,
das Mädchen mit den Kaleidoskopaugen.

Lucy im Himmel mit Diamanten.

 

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