von Bernd Kleber
Da spielen sie, meine drei…. So schön. Wenn ich überlege, wie spät ich Mutter wurde. Ich war schon beim Fachmann, aus Angst, unfruchtbar zu sein und dann mit Neununddreißig drei Kinder im Abstand von zwei Jahren.
Nun stehe ich hier und lächle und sehe zu, wie die drei spielen…
„Ich bin die Prinzessin und habe das Sagen!“
„Ach Menno, immer du…“
„Ja … aber freut euch doch, Kammerzofe und Gräfin sind zwei tolle Figuren, seid froh, dass ihr nicht Dienstmagd oder Hexe sein müsst.“
„Wieso bestimmst du das immer?“
„Weil ich das am besten einteilen kann und nun gib mir das Laken, ich muss eine lange Robe schneidern… und ihr müsst helfen.“
Ich beobachte das Treiben mit Wonne und unterdrücke laut zu lachen.
Die Nadel mit Faden, aus meinem Nähkasten stibitzt, fliegt förmlich in großen Steppstichen durch den Stoff. Ich überlege, ob ich das unterbinden sollte? Aber so teuer ist ein Laken auch wieder nicht. Schnell wird daraus ein wirklicher aufgebauschter Rock und sitzt wie angegossen. Die Prinzessin hat ihn in die Hose geklemmt und wirft ihn in einer weiten Bewegung hinter sich, bevor sie in würdevollen Schritten den Flur entlang läuft und ruft:
„Esmeralda und Lucia, ihr müsst hinten die Schleppe anheben, damit der teure Stoff nicht den ganzen Dreck aufwischt.“
„Mann, wo ist es denn hier dreckig???“
„Mann?“, faucht die Prinzessin, „Ich bin die Prinzessin Luise-Elisabeth und muss mit `Euer Durchlaucht` angesprochen werden, wohl kaum mit MANN!!“
Ich muss lachen!
Die Prinzessin hält ihren Hofstaat ganz schön auf Trab. Die Kammerzofe verrichtet alle Anweisungen, so gut es geht … die Gräfin scheint mir etwas aufmüpfig, was ich aber sehr gutheiße.
Nun zieht die Prinzessin rote Hochhackige an und rutscht weit nach vorn durch den offenen Schuh. Ich atme tief durch. Gleich werde ich das abwenden müssen, denn die kleinen aristokratischen Füßchen treten mir sonst den Steg meiner teuren Schuhe durch, das kann ich mir nicht leisten.
„Gib meine Schuhe her… eine schöne Prinzessin kann auch barfuß gehen….“, sage ich.
Und schaue in ein verzerrtes Gesicht. Weit aufgerissene Augen und ein leicht geöffneter Mund verraten pures Entsetzen über so viel Unwissen höfischer Gepflogenheiten meinerseits. Ich verschwinde schnell wieder in der Küche und linse von dort um die Ecke. Zu amüsant, meinen Kindern heimlich zuzusehen. Die Prinzessin tröstet jetzt die Kammerzofe, die keine Lust hatte, ihr die Haare zu kämmen. Sie spricht mit süßer weicher Stimme, leise und warm.
„Ach komm, du hast Glück, dass ich nicht solche Locken wie du habe. Meine kurzen glatten Haare kämmen sich doch ganz leicht. Und es ist eine Ehre, der Prinzessin die Haare zu kämmen. Später lese ich euch auch ein neues Märchen vor… zur Belohnung.“
Die Prinzessin, die Märchen förmlich verschlingt, wie meine anderen beiden Kinder Gummibären, liest gern ihren kleinen Schwestern vor. Und die mögen das auch. Ich denke manchmal: Ein riesiges Schauspielpotenzial steckt in dem kleinen Wesen. Erstgeboren und nun auch schon 8 Jahre alt.
„Kommt, wir spielen Kneippkur.“
„Wie bitte? Kneippkuuuuuuurrrrrrrrrr“, die Gräfin zieht das Wort Kur sehr lang, so empört ist sie.
„Ich hör´ wohl nicht richtig. Du sitzt auf dem Balkon und wir schleppen die ganze Zeit Wassereimer ran, um die über dich zu kippen? Nö, nie wieder. Dann kannst´e alleen spielen. Das ist uns zu anstrengend, stimmt´s Bea… ?“ Sie stupst ihre Schwester an.
„Kneiffnur spiele ich nicht mit“, sagt die…. Und verschränkt eng ihre Arme vor dem Körper.
„Ist ja schon gut, ihr Spielverderber, dann lese ich euch jetzt vor.“
Alle drei sitzen nun in einer Runde. Die Prinzessin hat ihre Robe fein säuberlich in einem großen Rund um sich drapiert, ihre beiden Gefolgsdamen lauschen andächtig. Die Kammerzofe klappert verdächtig stark mit den Augen und hin und wieder kippt der Kopf ruckartig nach vorn.
Märchen des Orients sind zu hören. Ich bin begeistert, wie toll die Königstochter lesen kann. Unglaublich! Ich weiß, es gibt Eltern, die hinter jedem Talent eine Hochbegabung vermuten, da halte ich mich zurück, aber manchmal …
Wenn ich zurückdenke, wie schwer die Geburt war. Ich hatte nur noch gehört, wie der Arzt rief, jetzt aber schnell, entweder das Kind oder die Mutter…. Und? Wir haben es beide geschafft. Ich hatte dann zwei Jahre später solche Angst.
Als die Lütte dann draußen war, fragte ich ganz ungläubig: „Was? Das war alles?“ Und das Lachen der Hebamme klingt mir noch heute in den Ohren. Die Kleinste habe ich dann wirklich geübt bekommen…. War dann nur ein Klacks.
Jetzt, wenn ich so auf die Prinzessin sehe, so klug und musisch begabt, wie sie ist, bin ich sehr stolz. Ich werde sie aufmerksam behüten und immer Rat und Tat liefern, wenn ich gebraucht werde. Ich ahne, dass es schwer wird für dieses Kind. Denn ob nun schauspielerisches Talent oder Laune der Natur, es ist mein Erstgeborener, der da die Prinzessin so gekonnt gibt. Mein Felix. Und jetzt durchfährt mich eine Riesenwelle warmer Liebe und Zuneigung.