Von Sabine Esser

Acht Wochen ist es her, dass Herbert gestorben ist. Seitdem liegt sein alter Jagdhund vor der Haustür oder vor der Gartenpforte und wartet. Nichtmal den Postboten mag er verbellen. Von Zeit zu Zeit wendet er seinen großen, zotteligen Kopf Monika zu und scheint zu fragen, wann sein Herrchen endlich kommt. Dann legt er ihn resigniert auf die Vorderpfoten zurück, schnauft und wartet weiter. Jeden Tag sieht sie diese resignierten, fast blinden, bläulich schimmernden Augen. Streicheln hilft nicht.

 

Kommt sie vom Einkaufen zurück, gibt es keine ‚große Begrüßung‘ mit Anspringen und Herumhüpfen, höchstens ein schwaches Wedeln: „Ach, du bist es nur.“

 

Die Tür zum Garten steht jetzt ständig offen, Raubzüge zu ‚Nachbars Hühnern‘ sind nicht mehr zu befürchten. Lustlos schlurft der große Hund nach draußen, hebt sein Bein, und, wenn das Wetter gut ist, wartet er an der Gartenpforte. Stundenlang. Wenn es draußen allzu nass ist, verzieht er sich an die Haustür und wartet dort.

 

Abends legt er sich auf Herberts grünledernen Sessel, lässt den Kopf auf die breite Lehne sinken und wartet weiter. Streichelt sie ihn zur ‚guten Nacht‘, deutet er ein höfliches Wedeln an. ER ist immer zurückgekommen. Aber noch nie musste er so viele Tage und Nächte warten.

 

Genau das hatte Monika befürchtet. Sie konnte sich während Herberts langwieriger Erkrankung auf das Alleinsein einstellen. Aber der Zausel? Wie soll sie ihm erklären, dass ER nie wieder kommen wird.

 

Immerhin frisst der Hund, wenn auch freudlos. Völlig egal, ob Trocken- oder Feuchtfutter oder Selbstgekochtes. Langsam, Happen für Happen schluckt er, wendet zwischendrin immer wieder den Kopf zur Tür, lauscht und wartet.

 

Monika wartet auch, nimmt Rücksicht, sie kennt ihn, seit er als winziger Welpe ins Haus kam. Er hat sie nie geliebt. Nur IHN.

 

Aus dem Freundes- und Jägerkreis bekommt sie mehr oder weniger brauchbare Ratschläge. Niemand versteht die Intensität dieser Trauer. Sie hat ihren Mann verloren, der Zausel seinen Gott, den Sinn seines Lebens.

 

„Wenn du einverstanden bist, das ist vermutlich das Beste für ihn, dann komm‘ ich vorbei und erschieße ihn. Ich grab‘ sogar das Loch – wenn du willst. Er ist ja auch schon ein alter Opa.“

Die Versuchung ist groß, riesengroß. Monika lehnt ab. Es wäre das Vernünftigste, aber sie kann nicht zustimmen. Es geht einfach nicht. Wie kann man Liebe und Trauer bemessen?

 

„Dann sieh‘ zu, wie du mit ihm fertig wirst. Ich steh‘ zu meinem Angebot.“

 

Der Zausel wartet derweil an der Gartenpforte.

 

„Das geht so nicht“, schreit Monika ihn kurze Zeit später an. „Ich muss mit dir zum Impfen, wie soll ich das machen? Ich kann dich doch nicht halten! Los, üben! Ich weiß, du kannst das alles. Du willst nur nicht! Weil ich das bin und nicht ER!“

 

Ohne Probleme lässt sich der große Hund lustlos im Garten anleinen, geht bei Fuß, macht „down“ und „sitz“, bringt sogar das Apportel ordnungsgemäß. Und legt sich an die Gartenpforte oder die Haustür und wartet.

 

Früher war es schwierig, ihn zu kämmen oder gar zu waschen. Sogar das lässt er sich von Monika gefallen. Sie ist, was sie immer war, ein Nichts für ihn.

 

Sie wagt nicht, außerhalb des Gartens mit ihm zu trainieren. Ganz sicher wird er ihr die Leine aus der Hand reißen und die vielen, vielen Kilometer bis zum Revier laufen, ungeschützt und fast blind auf der starkbefahrenen Straße, um dann jeden Hochsitz nach IHM abzusuchen.

 

„Er ist so unglücklich. Ich sollte vielleicht doch den Jäger anrufen“. Sie kratzt, auf den Knien liegend, resigniert die Terrassenfugen vom Unkraut frei, als plötzlich eine warme Schlabberzunge ganz vorsichtig ihren Unterarm beleckt. Vor lauter hilflosem Arbeiten hatte sie nicht bemerkt, dass der Zausel schon seit ein paar Tagen nicht an der Gartenpforte wartete, sondern unter den tiefhängenden Zweigen der großen Wildpflaume lag und sie beobachtete.

 

Sie lächelt ihn an, er wedelt, erst zögerlich, dann mit dem ganzen Popo und möchte ihr zu gern auch das ganze Gesicht ablecken. Dann hat sie den großen Hund im Arm und weint in sein Zottelfell, während er ihre Ohren abschleckt.

 

„Wir zwei beiden Alten“, knuddelt sie ihn vorm Schlafengehen noch mal kräftig. Der Zausel schnauft zufrieden und rollt sich in Herberts Sessel zusammen.

 

Version 3