Von Bernd Kleber
Für Almut† und Christiane
Mein Zimmer der Kosmos, mein Sofa die Erde, der Fernseher die Sonne… urtierhafte Faulheit.*
Ich liege und atme flach. An der Decke sehe ich Wolken, die sich verformen. Einen rauchenden Bartträger, eine Vollbusige, ein wildes Pferd. Wenn ich die Lider ganz schnell wie Stroboskoplicht auf und zu flackere, bewegen sich die Bilder. Ich lächele. Vom Leben ausruhen.
Meine Hände vibrieren, wenn ich sie anhebe, ein Flattern. Flattern wie wilde Fledermäuse. Ich habe Harndrang. Der Zweite. Der Erste ging ab. Hose und Couch sind kaltnass verbunden. Steh auf! Steh auf…
Die Frau in der Wohnung über mir trampelt auf ihren Dielen hin und her, hin und her. Das Gegenteil an Zimmerenergie. Hier bewegt sich nichts. Außer meine Lider und das Beben der Hände. Der Schrank knackt. Es ist kalt geworden. Ich muss. Der kalte Schweiß an meinem Rücken ist eine Symbiose mit der Couchoberfläche eingegangen. Ein Vakuum hält meinen Rücken fest am Untergrund. Könnte ich mich jetzt erheben, würde es laut schmatzen, wie Tentakel eines Tintenfisches, wenn man diese von der Aquariumscheibe zieht.
Alles um mich herum wird schwarz, die Wolkenfiguren an der Decke lachen mich aus.
Wieder blinzle ich ins Nichts. Wie viel Zeit ist vergangen? Ich muss aufstehen. Das zweite Mal Harndrang besteht noch. Meine Hände sind ruhig. Aber eine andere Panik kriecht in mir hoch. Habe ich, habe ich noch, habe ich noch etwas… wenn ja: Wo?
Eine ungeahnte Kraft durchströmt mich, ich kann mich aufrichten, um mich herum saurer Geruch.
Ich kann ein Bein auf den klebrigen Boden stellen. Oder kleben die Füße? Das zweite folgt durch eine schwungvolle Hüftdrehung. Mit meinen Armen stemme ich mich zitternd ab … und stehe! Yeah! Ich stehe auf eigenen Beinen in diesem, meinem All. Schritt für Schritt gehe ich in den Flur. Jedes Mal macht die Ferse ein stampfendes Geräusch und die Sohle platscht. Ich muss eilig zur Toilette im Bad kommen.
Ich sitze. Die Entleerung kommt einer orgastischen Erleichterung gleich. Ich höre mich stöhnen. Von meiner Stirn klatschen Schweißtropfen auf meine Schenkel.
Der Raum ist kalt. Sehr kalt. Ich habe kein Licht angemacht. Nur vom Korridor schleicht es sich fahl und neugierig hier hinein.
Am Spiegel flackert ein farbiger Schein. Wo kommt das her? Liegt dort mein Handy, signalisiert Stromhunger? Ein Blinken. Blink, blink, blink…. Ich schüttele den letzten Tropfen ab und stehe auf…. Tupfe mit Toilettenpapier, das Signalfeuer nicht aus den Augen lassend. Hinter mir lasse ich das Papier fallen und ziehe ab. Es rauscht. Ich wage nicht, vorwärtszugehen. Das Blinken finde ich so spannend und möchte keine profane Erklärung dafür. Das pulsierende Licht hat eine warme goldene Farbe und es kommt aus dem Spiegel. Ich gehe zwei sehr leise Schritte vorwärts, atme nicht. Es blinkt direkt aus dem Spiegel. Also nicht aus einem Spalt des Schrankes, nein, direkt aus der reflektierenden Glasscheibe. Krass! Auf der Scheibe bildet sich eine kleine Linie, 2 cm lang, ebenfalls hell glänzend. Aus diesem Strich blinkt es. Deutlich! Und der Strich, der aussieht wie ein Schnitt in die Haut beim Bohnenschnippeln, wird länger und breiter. Wie eine unhaltbare Wunde, bei der das Blut und die Eingeweide nach außen drängen, öffnet sich der Spalt und wird breiter und sehr schnell länger. 4 cm. 6 cm. Und schon 2 cm breit. Das Licht, inzwischen wie ein Strahl, folgt einem Winkel von oben nach unten. Ein Scannen! Ich hole tief Luft…. Blut pocht in meinen Ohren wie der Bass auf einem Technokonzert.
Und dann knirscht ein scharfer, durchdringender, fieser Ton in der Stille, wie wenn man eine Fliese nach dem Anritzen bricht. Kurz, aber so scharf, dass es im Ohr schmerzt. Das Spiegelglas hat jetzt einen Riss. Ein starker ungehemmter Spot dringt in mein Bad, als wolle es muffigem Geruch und kalkigen Ablagerungen lasertechnisch den Garaus machen.
Ich kann nicht glauben, was ich sehe und überlege panisch, wen ich anrufen könne. Es gibt niemanden, keine Person, keine Freunde, keine Familie. Armselig! Aber nicht zu ändern.
Jetzt! Ich bin allein, einsam, hole tief Luft.
Und dann… höre ich etwas. Ich bin sicher. Es ist ein fremdes ungewöhnliches Geräusch. In der Wohnung über mir ist Ruhe, der Spülkasten hier ist vollgelaufen, die Nacht schwarz… das Surren kommt aus dem Spiegel.
Ich gehe dichter heran. Da fliegt ein kleiner Punkt aus dem Riss vor mein Gesicht. In einer geraden Bahn zieht das Feuerkorn an mir vorbei und schwebt im Bad. Ein goldener Funke. Ich gehe dichter heran, weil er dort unbeweglich steht. Nein! Nein! Doch! Es ist, ich lasse den Gedanken nicht zu …
… ein Raumschiff. Ich darf nicht dagegen kommen. Ich traue mich nicht, zu atmen. Ich darf es nicht anpusten. Einatmen!
Ich schiebe meinen Kopf an dem kleinen Raumschiff vorbei, 2 mm groß, wie eine Fruchtfliege, silbern glänzend, viele kleine glitzernde Punkte schmücken es. Und es dreht sich im Raum des Bades. Ganz langsam bin ich mit der Nase vorbei und drehe meinen Kopf dem Spiegel zu. Das linke Auge schließe ich und sehe mit dem rechten in den Durchbruch. Mir wird schwindelig.
Unendliche Weiten, der Kosmos und im Nacken die Enterprise.
Ich muss grinsen. Nein, nicht die Enterprise, das Raumschiff sieht anders aus. Ich sehe lange in den kleinen Schlitz und kann mich nicht sattsehen. Dunkler Raum, gefüllt mit Sternen, Galaxien in blutorangenfarben, goldtönend und tiefem Blau… es ist traumhaft. Alles dreht und bewegt sich, kleine Asteroiden sausen durch diesen Raum und eine Raumstation dreht sich dort um seine eigene Achse. Das Mutterschiff. `MUTTI! `, denke ich… aber die ist tot. Das Glück, traurig zu sein.* Saturnkind!*
Hinter mir surrt es. Ich drehe mich um. Das Raumschiff kommt auf mich zu. Meinen ersten Reflex, es mückenabwehrtechnisch wegzuschlagen, kann ich unterdrücken.
Das war ein Fehler!
Es fliegt in meine Nase. Es surrt und kitzelt. Ich kann nicht mehr sehen, meine Augen drehen sich in die Augenhöhlen und ich bemerke, wie mir meine Knie weich werden, bevor ich nach hinten kippe und krachend auf dem Boden aufschlage… Unendliche Weiten…
*Zitate aus „Die Lassie Singers“-Songs
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