Von Heike Weidlich
„Geil, wie du aussiehst, – wie ein Affe.“ Jonas klopfte sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
„Halt bloß die Klappe Mann, du hast mit Zahnspange auch nicht besser ausgesehen“, empörte sich Tim.
„Ihr wart beide reichlich wunderliche Gestalten“ grinste Anni und drückte auf den Presenter, woraufhin das nächste Bild auf dem Flachbildschirm erschien.
„Aber du, – auch nicht grade Pretty Woman.“ Jonas und Tim klatschten ab, Anni klickte schnell weiter.
„Ein paar Vitamine gefällig?“, Mutti reichte die Obstschale herum. Während Papa sich darüber hermachte, kommentierten sich die anderen durch ihre Kinder- und Jugendzeit. Dieser waren sie zwar mittlerweile längst entwachsen, in Momenten wie diesen war davon jedoch nichts zu spüren.
„Das war so schön, als ich die erste Geige im Konzerthaus spielen durfte.“ Anni hatte beinahe Tränen in den Augen. „Was hab ich aber auch geübt. Wie eine Besessene. Mein Geigenlehrer hat immer gesagt, er hätte noch nie so eine gute Schülerin wie mich gehabt.“
„Ja, das war ein wunderschöner Abend.“
„Aber weißt du noch, als du mit Klarinette angefangen hattest? Schrecklich, dieses Gequitsche.“ Papa verdrehte die Augen.
„Na ja, Katrin hat Klarinette gespielt, deshalb wollte ich das unbedingt auch können, obwohl’s mir eigentlich nie Spaß gemacht hat. Irgendwann hatte ich überhaupt keine Lust mehr dazu, – hat sich einfach grässlich angehört. Ich war fest davon überzeugt, völlig unmusikalisch zu sein. Aber dann hat Mutti mich zum Violinenkonzert von Bach mitgenommen, und da hab ich gewusst was ich will.“
„Jetzt klick mal weiter.“ Verschiedene Episoden des Familienlebens erschienen auf der Mattscheibe.
„Ah, mein erster Pokal. Mittlerweile passen sie kaum mehr in meinen Pokalschrank. Aber der Erste, der ist schon was Besonderes und hat noch heute einen Ehrenplatz. Ist eben schon klasse, wenn man der Beste ist.“ Selbstzufrieden lehnte sich Jonas zurück und nahm einen weiteren Schluck Bier.
„Was man von deiner Ära als Leichtathlet nicht unbedingt behaupten kann.“
„Ach, erinnere mich bloß nicht daran. Keine Ahnung, warum ich das überhaupt so lang gemacht hab. Beim Hochsprung bekam ich den Dreh irgendwie nicht richtig raus. Weitsprung erinnerte bei mir an einen „Grottenhopf“ wie unser Trainer zu sagen pflegte, und Laufen fand ich eigentlich immer nur langweilig, vom Werfen ganz zu schweigen.
Ich glaub, ich fand’s einfach nur cool sagen zu können, dass ich im Leichtathletikteam bin. Aber zum Schluss hätt ich den Sport beinah ganz aufgegeben und mich dem Schachspielen gewidmet.“
„Aber dann hast du ja den Tennisschläger und den Schnupperkurs von Mama zu Weihnachten bekommen.“
„Genau, und dann, was soll ich sagen: A star was born.“
Während erneut diverse Bilder vom Familienleben der zurückliegenden Jahre auf dem Bildschirm erschienen, holte Mutti eine große Schachtel mit Plätzchen aus der Küche. „Seht mal, was Tim mitgebracht hat. Seine neuesten Kreationen.“
Alle stürzten sich auf den Karton. „Boa, voll lecker.“
„Genial.“
„Einfach nur köstlich.“
„Und du wolltest BWL studieren. Was wäre das für eine Verschwendung gewesen.“
„Ich dachte einfach, das sei eine sichere Bank. Ich bin gut in Mathe und Wirtschaft, – erschien mir einfach logisch, in diese Richtung zu gehen.“
„Zum Glück hast du’s nicht gemacht! Aber warum eigentlich nicht?“
„Na ja, nach dem Abi hatte ich monatelang frei und viel Zeit um nachzudenken. Irgendwie war ich mir doch nicht so ganz sicher mit allem. Und als Mutti zufällig in der Zeitung das Angebot für einen Praktikumsplatz als Bäcker und Konditor gesehen hat, hab ich mir gedacht das ist allemal besser als rumzusitzen und mich selbst verrückt zu machen. Ich hab dann schnell gemerkt, dass das genau mein Ding ist. Und wenn man sich in wirtschaftlichen Dingen auskennt und Rechnen kann, ist das auch als Bäckermeister von Vorteil.“
Die Bilder waren durch, und da alle, ob der in Erinnerung gerufenen Erfolge, überaus gut gelaunt waren, entspann sich eine lebhafte, lustige Unterhaltung.
Mutti trug die leere Schachtel in die Küche und lächelte. Manches Talent wirkte eben im Hintergrund.