Von Anne Zeisig
Geburtsrückbildungsgymnastik und kindliche Geburtstraumabewältigung!
Sarah-Jane, die Kindsmutter, also meine Frau, hatte die Schwangerschaft voll und gerne ausgekostet, da war von Emanzipation keine Rede, wenn ich ihr das schwerfällige Bücken abgenommen habe und ihr das ein oder andere Sofakissen zur Polsterung des Ischias-Nervs hinter ihren Rücken quetschte, während sie ihre Beine zur Entlastung hochgelagert hatte.
Kurz: Ich war fürsorglich und mitfühlend, auch wenn sie ihre Sneaker nicht mehr selber zubinden konnte und versicherte ihr täglich, dass sie trotz Bauch die attraktivste Frau der Welt sei, was sie mir nicht glaubte, aber das war ihr Problem – und sie hatte ja recht – mit ‘Baby-Bombe’ ist Frau nicht anziehend.
Ich jedoch konnte mit diesem vorübergehenden Zustand ganz gut leben.
War, ehrlich gesagt, auch nicht traurig, weil ich beruflich bedingt nicht an den vorgeburtlichen Schwangerschaftskursen teilnehmen konnte. Ich bin – war? – in der Entwicklung tätig, hatte viel um die Ohren.
Alles okay bis dahin also. Mein Rollenklischeé war stimmig.
(Zwar wuchs auch mein Bauch wegen der gesunden Gravidita-Ernährung zum Schwangerschaftsende enorm an, auch ich kam beim Treppensteigen aus der Puste und konnte mir die Schuhe nur noch mit Mühe zubinden, aber Muttermilch schoss trotzdem nicht in meine Brustdrüsen hinein)
Plopp!
Kaum hatte Phil-Josuah das Trauma hinter sich, per Gewalt durch einen engen dunklen Geburtskanal geschoben, gedrückt zu werden, um das Licht und seine Eltern zu erblicken, da musste ich mir täglich anhören, dass Väter sich nie, NIE! Um die Kinder kümmern, stetige Jammerei, dass sie als Mutter nun ‘Weg vom Fenster’ sei, beruflich, emotional, finanziell und ‘sonst auch’. Ich hingegen müsse ja keinen beruflichen Einschnitt hinnehmen, den Dammschnitt während der Geburt ja auch nicht.
(Herr Doktor! Machen Sie bei mir bitte AUCH so einen Schnitt, damit der Gleichberechtigung Genüge getan worden ist. Hallo? Wo soll das hinführen?)
„Dann gehe ICH halt in Elternzeit!“, habe ich selbstbewusst verkündet, obwohl ich mir mit der ‘EMMA’ von Alice Schwarzer lieber den Hintern abgeputzt hätte.
Besonders jetzt, wo ich auf der Gymnastikmatte liege und ‘in den Bauch hinein atmen soll’, dabei gleichzeitig aber auch soundsoviel Sekunden denselbigen einziehen muss, zwecks Stärkung der erschlafften Bauchmuskulatur.
Ich besitze sowas nicht! Ich habe keine Muskeln unter meinem wohlgeformten Genussbäuchlein versteckt.
Vielleicht ist aber auch mein männliches Unterbewusstsein dafür verantwortlich, dass ich Elternzeit genommen habe. Womöglich war ich neidisch auf den Bauch meiner Frau und ihr Geburtserlebnis.
Die Wege der sensiblen Männer-Psyche sind schließlich unergründlich.
Bin also der einzige Kerl in diesem Folterkurs.
Plötzlich legt mir eine blutjunge Praktikantin, die mit einem Wahnsinnswaschbrettbauch versehen ist, meinen schreienden Sohn auf den Schwabbelbauch. Der Kleine ist krebsrot angelaufen und schwimmt im eigenen Schweiß. Ich strecke meine Arme hilflos hoch und frage, was ich denn nun mit dem Kind anfangen soll beim Bauch-Weg-Turnen?
„Wirste sehen! Halte lieber deinen Kleinen fest, bevor er von deinem Riesenbauch hinunterrollt. Du musst ihm das Gefühl der Geborgenheit vermitteln, dass er gehalten wird in dieser feindseligen grellen Welt.“
Ich nicke und möchte ihr am liebsten hinterherschreien, dass sie hier die einzig Feindselige ist, und dass es diskriminierend sei, auf meinen Bauch herumzuhacken!
Aber ihre Kollegin, diese Vorturnerin, säuselt uns zu, wir sollen sanft über den Rücken streichen und ein monotones leises Summen von uns geben.
„Smmmm. Smmmm. Mhhhhhhh.“
„Wie soll ich mir über meinen Rücken streicheln, wenn ich meinen Sohn festhalten muss?“, frage ich.
Klar, keine der weiblichen Elternteile traut sich, so eine Frage zu stellen. Da muss hier erstmals ein Mann teilnehmen und auf Missstände hinweisen.
Und just haben sich mindestens tausend weibliche Augenpaare mit verbiesterten Mienen auf mich gerichtet.
„Hmmmmmmm“, summt der weibliche Sport-Oberfeldwebel, „du sollst den Rücken deines Kindes streicheln.“ Sie hechelt ein und aus. „Nicht deinen.“
Liegt da etwa ein Spötteln in ihrem Blick?
Schließlich ist es keine Kunst, mit so einem kleinen Wurm ein paar Übungen zu machen. Also wende ich Phil-Josuah, wische sanft über seinen Rücken und reihe mich in den Summ-Chor akustisch ein, da steigt mir plötzlich ein bestialischer Geruch in die Nase.
Habe ich etwa, in Anbetracht der Muskelentspannung, einen Pupser losgelassen? Ich hebe meinen Kopf leicht an, blicke in das zerknautschte Gesicht meines permanent schreienden Sohnes und dann in die Augen meiner Gymnastiknachbarin, deren Baby friedlich zusammengerollt auf einem flachen Bauch schlummert.
„Wir hatten eine total natürlich entspannte Geburt im häuslichen Rahmen und deshalb ist Sophie-
Tarama ein Trauma erspart geblieben, als sie das Licht der Welt erblickte, weil mein Mann bei der letzten Presswehe die LEDs herunter gedimmt hat. We-ni-ger Li-hicht-scho-hock“, erklärt sie gedehnt, „als in einer grellklirrenden Klinikatmosphäre. Ist ja schon schlimm genug, durch einen dunklen Tunnel genötigt zu werden.“
„Wäre da ein Kaiserschnitt keine Option gewesen?“, frage ich mitfühlend und ernte brutalste Ablehnung.
„Möchtest duuuu etwa herausgeschnitten und herausgezerrt werden? Und im OP ist das Licht noch heller als im Kreißsaal!“
„Wir heben unser Becken nun an und atmen tief ein und aus. Lasst eure Gedanken schweifen. Über fruchtbare Felder und grüne Hügel …“
Die Riesenbrüste meiner Nachbarin heben und senken sich recht erotisch, wenn sie ihr Becken auf und ab bewegt.
“… lassen das Becken wieder sinken, drücken das Steißbein tief in die Matte hinein. Jaaaaa. Das tut guuuuuut. Und nicht vergessen, das Kind zu streicheln.“
Bei dieser Übung rollt Phil-Josuah jedes Mal bis unter mein Kinn, wenn ich mein Becken anhebe. Und wieder zurück auf den Bauch, wenn ich es senke.
Das scheint ihm zu gefallen, denn er hört augenblicklich mit der Schreierei auf und grinst mich zufrieden an.
Hach! Mein Sohn! Mein Stolz!
Keine Ahnung, warum Mütter so gestresst sind! Nur der Gestank hat sich noch nicht verflogen.
Jetzt schreit die Kleine nebenan, weil sie sich zwischen dem Atombusen ihrer Mutter den Kopf eingequetscht hat.
Und es ertönt eine Sirene!
Aha!
„Aha!“, rufe ich für alle hörbar, „mein Sohn hat die Windeln voll! Da gehe ich doch gleich mal in den Wickelraum und wechsele sie!“ Und ich muss wirklich sehr laut rufen, wegen dem durchdringenden Warnton.
„Was ist das?“, keift die Gymnastikikone konsterniert und hopst elastisch von ihrer Matte hoch.
„Ein Windelsensor!“, schreie ich. „Das ist so ein kleiner elektronischer Feuchtigkeitsmesser, den heftest du innen an der Windel fest und wenn was drin ist, schlägt der Alarm!“
Schwerfällig erhebe ich mich, schnalle mir den Baby-Tragegurt um und verstaue meinen Sohn darin.
„Sowas ist übrigens auch für Senioren geeignet! In Pflegeheimen zum Beispiel! Da weiß das Personal dann immer …“
„Dass bei deinem Sohn die Windel voll ist, habe ich bereits vor einer halben Stunde gerochen!“, unterbricht mich die benachbarte Primaballerina lautstark, befreit das Köpfchen ihrer Tochter aus ihrem Busen, ordnet diese Riesenmöpse und hält ihrer Tochter die Ohren zu.
„Riechen kann jeder!“, referiere ich eifrig im Hinausgehen, „aber die Kunst besteht doch darin, ein Hilfsmittel zu erfinden, welches das Leben erleichtert! Schließlich will niemand, ob Jung oder Alt, zu lange in der eigenen Scheiße verharren!“
VERSION 2