Von Michael Hartwig
Der Personalchef saß fett und selbstzufrieden in seinem Sessel. Nur noch eine freie Stelle war zu besetzen und er hatte schon den ganzen Tag über vielversprechende Bewerber gesehen. Bevor er eine endgültige Entscheidung treffen würde, wollte er noch mit dem letzten Kandidaten sprechen.
Er drückte auf einen roten Knopf.
“Der nächste soll reinkommen.”
Kaum hatte er seine Sekretärin angewiesen, öffnete sich auch schon die Tür und das Mosaiksteinchen betrat schüchtern das karge und schmucklose Büro.
“Kommen sie näher und nehmen sie Platz!”, fordere der fette Personalchef das kleine Mosaiksteinchen auf.
Dieses tat wie ihm geheißen, kam näher und setzte sich dann auf den großen Holzstuhl gegenüber dem Personalchef, der hinter seinem gigantischen Schreibtisch eindrucksvoll thronte.
“Sie bewerben sich also auf die ausgeschriebene Stelle?”
“Ja”, antwortete das Mosaiksteinchen mit hoher, piepsiger Stimme.
“Reverenzen?”
“Habe ich ihnen schon zugeschickt” antwortete es vorsichtig.
“So, so. Dann schauen wir mal”. Der Personalchef blätterte durch die vor ihm liegende Akte.
“Sie waren also das dritte Steinchen rechts oben in dem Nilmosaik von Palestrina?”
“Ja!”, antwortete das Mosaiksteinchen und fühlte sich schon etwas weniger eingeschüchtert als noch zu Beginn.
„Nun ja“, sagte der Personalchef und blätterte weiter in der Akte.
„Was haben wir hier denn? Sie waren auch das erste Steinchen links unten in einer Mosaik von Antoni Gaudi im Park Güell in Barcelona?”
“Stimmt auch!” Das Mosaiksteinchen richtete sich auf dem Holzstuhl auf und sah nun schon richtig stolz aus.
“So, so“, sagte der Personalchef nur und blätterte weiter in der Akte.
Dann schob er die Unterlagen beiseite und musterte aufmerksam das kleine
Mosaiksteinchen. “Können Sie eine Schraube in die Wand drehen?”
“Nein, das kann ich nicht.”
“Können Sie Holz durchsägen?”
“Nein, das kann ich auch nicht…“ Das Mosaiksteinchen sank wieder unsicher in den Stuhl
zurück und klang nun doch wieder genauso eingeschüchtert wie zu beginn.
“Können Sie dann vielleicht einen Nagel in die Wand schlagen?“, fragte der
Personalchef und hob einschüchternd die Stimme an.
“Nein, auch das kann ich leider nicht.” antwortete das Mosaiksteinchen traurig.
“Ja, was können Sie denn überhaupt?” Der Personalchef war nun unüberhörbar
ärgerlich.
“Ich bin Orange”, erwiderte das Mosaiksteinchen tapfer.
“Orange?”
“Ja, ein schönes, leuchtendes Orange!” Das kleine Steinchen wurde wieder etwas
selbstbewusster.
“Hören Sie mal, wir sind eine Geldfabrik. Wir haben keinen Bedarf für Orange!
Können Sie denn nichts Sinnvolles“?
“Etwas Sinnvolles? Aber natürlich!”, antwortete das Mosaiksteinchen voller
Freude. “Ich kann Schönheit und Freude schaffen!”
“Schönheit und Freude?”, rief der Personalchef verächtlich. “Wozu soll das denn
gut sein? Wenn ich in Not bin, brauche ich Geld, um mir Brot kaufen zu können! Da kann mir Schönheit und Freude nicht helfen! Tut mir leid, für Sie gibt es keinen Platz in diesem Unternehmen!”
Das Mosaiksteinchen stand traurig auf. Es schaute dem Personalchef in die Augen, dann drehte es sich um und ging langsam zur Tür.
Dann, es hatte die Tür schon fast erreicht, dreht es sich plötzlich wieder um.
“Mag sein, dass Sie recht haben“, sagte es mit fester Stimme in Richtung des Schreibtisches, hinter dem der Personalchef noch immer thronte.
„Ja und?“, fragte er und gab sich noch nicht einmal Mühe, seine Geringschätzung für das kleine Mosiksteinchen zu verbergen.
„Mag sein, dass Sie sich in der Not mit Schönheit und Freude nichts kaufen können“, hob das keine Steinchen an, „aber wenn Sie sich nun mit ihrem Geld das Brot gekauft und es gegessen haben, wird die Not zurückkommen, denn die Not lässt sich durch Geld nicht vertreiben. Das Brot wird ihren Magen füllen, lässt ihren Geist aber verzweifelt und leer. Schönheit und Freude aber helfen, die Not zu ertragen!“
Dann richtete sich das Mosaiksteinchen stolz auf und ging freudig durch die Tür