Von Hanne Laudan

„Brauchst du wirklich keine Hilfe?“ Oma ist besorgt.

Mein Gott, ich will doch nur einkaufen.  „Ach Quatsch“, sag ich, „so schlimm ist es nicht.“

„Bruderherz, kannst du mir noch Shampoo mitbringen?“ Lena steckt den Kopf durch die Tür des Badezimmers. „Du weißt schon, das von L’Oriot. Mit Q 105“

Das kann ich mir merken, der Rest steht auf dem Zettel.  Also Jacke, Korb und los.

„Ach ja, der Lift ist kaputt, musst heut Treppe steigen.“ Hinter Lenas bedauerndem Lächeln ist deutlich eine Spur Schadenfreude zu erkennen. Ich verzichte auf eine Antwort.

Die Treppe ist endlos lang. Wieso wohnt Oma so weit oben? Aber ich will mich nicht beschweren, immerhin dürfen wir ein paar Tage bei  ihr wohnen. Deutlich preiswerter als im Hotel.

Bis zum Supermarkt mit Bäcker ist es nur eine Station mit der Bahn, und am frühen Morgen sind die Straßen hier noch leer.

„Hey, passen Sie doch auf!“  Ein roter Helm, ein Stoß. Vorbei. Das war knapp.

Keine Ahnung, wo der Radfahrer jetzt herkam. Der muss mit Lichtgeschwindigkeit gefahren sein. Ich reibe meinen linken Arm.  Soviel habe ich doch gestern gar nicht getrunken. Ja gut, ich bin ein bisschen unsicher auf den Beinen. Das muss an den Schuhen liegen.

Die Ampel an der nächsten Kreuzung ist noch grün. Drüben steht schon die Bahn, das sollte zu schaffen sein. Irgendwer steigt gerade noch ein. Ich muss mich beeilen. Bin heute doch  ein bisschen aus der Puste.

Das Klingeln der Türen wird vom Hupkonzert übertönt, irgendwer ruft: „Ey, Alter, musst du eher loslaufen!“ Die Bahn fährt ab, ich stehe mit zitternden Knien auf dem Steig. Mir kommen zum ersten Mal Zweifel, ob es wirklich schlau ist, in diesem Zustand einkaufen zu fahren. Ein Spaziergang im Park hätte es auch getan. Aber versprochen ist versprochen, und Oma wartet auf frische Brötchen und die Zutaten fürs Essen. Die nächste Bahn kommt in zehn Minuten.  

Der Supermarkt ist genauso verwinkelt und eng wie Omas krakelige Schrift. Wer soll das lesen? Bloß gut, dass ich weiß,  was sie kochen will, da kann ich mir den Rest zusammenreimen. Meine Augen waren auch schon mal besser.

Der Einkaufszettel ist allerdings mein kleinstes Problem. Ich habe enorme Schwierigkeiten, mit dem Wagen in den engen Gängen vorwärtszukommen. Ständig steht mir jemand im Weg.  Mir läuft die Zeit davon, ich stelle mir vor, wie bei Oma der Kaffee auf dem Tisch vor sich hin dampft und immer kälter wird.

„UUps, Entschuldigung, das wollte ich nicht.“  Die Frau, die ich mit dem Wagen gerammt habe, dreht sich erbost um.

„Früher hätte es das nicht gegeben, dass jemand  so herumläuft.“ Na danke, so schlimm sehe ich doch gar nicht aus. Selbst die Brille unterscheidet sich kaum von einem Kassengestell.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist der schwierige Parcours durch Warenstapel und Ständer fast geschafft. Fehlt nur noch das Shampoo.

Die Marke habe ich schnell gefunden. Ich kenne das Logo von L’Oriot mit einer geflochtenen Haarschnecke auf gelbem Grund. Aber welches ist das richtige. Irgendwelche Zahlen stehen überall drauf. Q 105 kann ich nicht finden. Egal, wie ich die Flaschen auch drehe und wende und ins Licht halte – keine Chance.

Die Verkäuferin, die ich einen Gang weiter aufgestöbert habe, eilt mir voraus. Am Regal mit den Haarschnecken blickt sie sich kurz um. Dann deutet sie nach unten.

„Das mit Q 105 steht da links“, ruft sie mir zu und ist schon wieder verschwunden.

Ich beuge mich nach vorn, bekomme eine der Flaschen zu fassen. Hoffe, dass sie mir die richtige gezeigt hat. Geschafft. Mit Schwung landet das Haarwaschmittel  im Wagen. Ein bisschen viel Schwung allerdings.

Der Aufsteller mit den hohlen Weihnachtskörpern ist dabei nicht in meinem Blickfeld. Dafür aber innerhalb meiner Reichweite, genau genommen im Einflussbereich meines Ellenbogens. Ehe ich noch die einsetzenden Geräusche richtig zuordnen kann, liegt eine Kiste mit rotsilbernen Schokomännern vor meinen Füßen, einige ganz tapfere Exemplare rollen über die Fliesen. Na klasse.

Vorsichtig scanne ich den Gang. Sehe, wie die Verkäuferin alarmiert um die Ecke biegt. Flucht  fällt also aus. Ich bücke mich schwerfällig, verstehe jetzt Oma, die über den Laden immer schimpft.

Mit zitternden Händen hebe ich den Karton nach oben. Dabei fallen auch die letzten Figuren in der Schachtel um. Unter den kritischen Augen der Verkäuferin stelle ich die Ordnung wieder her. Hebe zum Schluss auch die losen Figuren auf und ordne sie ein. Zur Sicherheit will ich den Karton noch ein Stückchen vom Rand weg schieben. Entwickle dabei ungeahnte Kräfte mit der Folge, dass ein weiterer Karton auf der anderen Seite zu Boden geht. Rote Kugeln rollen durch die Regalreihe. Dafür ernte ich das  Lob einer älteren Dame: “ Sind wir heute wieder ungeschickt.“ Zwei Jungs kichern und rennen davon. Ich beginne zu schwitzen, nicht nur wegen der dicken Jacke.

Bis auf zwei Kugeln sind schließlich alle wieder verstaut.

„Den kaputten Baumschmuck müssen Sie aber bezahlen.“ Ergeben lade ich die Überreste in dem Wagen. Endlich bin ich an der Kasse. Ich höre die Leute hinter mir tuscheln.

Immerhin habe ich es ohne Unfall geschafft, alle Waren auf das Band zu legen und lasse mir freiwillig von der Kassiererin das Geld aus dem Portemonnaie zählen. Hetze am Bäcker vorbei. Ich will nur noch raus aus diesem Laden.

Lena kommt mir im Treppenhaus entgegen.

„Wieso dauert das so lange? Und wo sind die Brötchen?“

„Gibt keine Brötchen. Wir haben Knäckebrot.“  

„Ach herrje.“ Lena gibt sich fürsorglich und verständnisvoll. Nimmt mir den Korb ab, hält mir die Tür auf. Omas Blick kann ich nur schwer deuten. Irgendwo zwischen Mitleid und Freude.

Ich zieh mich um, mir reicht es für heute.

Zehn Minuten später und einigermaßen erfrischt stehe ich mit Lena vor dem Stapel schwarzer Zubehörteile.

„Wieso heißt das Ding eigentlich GERT?“

„GERiatrischer Testanzug“, höre ich Oma aus der Küche.

 

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