Von Miklos Muhi

»Guten Tag Herr Maurer. Ich bringe Ihnen Arbeit.«

 

Der Lieferdienst des Amtsgerichts kam, wie jeden Donnerstag um halb zwei am Nachmittag mit den neuesten Unterlagen aus der Lechstraße. Holger Maurer, der Archivar, nahm sie in Empfang, um damit die endlosen Regale zu füllen.

 

»Hallo Herr Weser. Wie geht es?«

»Die üblichen Wehwehchen des Alters, wie immer. Und Sie?«

»Kann nicht klagen. Man bringt mir die Arbeit hierher. Ich muss dann nur die Papiere hin- und herschieben.«

 

Beide lachten höflich, während Holger die Empfangspapiere unterschrieb. Als Herr Weser sich wieder auf den Dienstweg machte, lud Holger die Akten auf den alten Handwagen und schob ihn in sein Büro.

 

Er musste mindestens das Deckblatt jedes Ordners lesen, um sie richtig einzuordnen. Manchmal las er sie vom Anfang bis Ende.

 

Wieder wurde jemand mit einer Hanfplantage (es ging nicht um Industriehanf, wohlgemerkt) erwischt, diesmal in Lengenfeld. Der Beschuldingte erschoss den Hund des Nachbarn und behauptete gegenüber der Polizei, dass er das mit einem Luftgewehr getan hatte. Die Wunde sah aber eher nach einer Feuerwaffe aus. In Zeiten gewalttätiger und bewaffneter Spinner (Weichbürger) und rechtsextreme Denunziantenvereine (Armleuchter fummeln im Dickicht), ging man das Ganze etwas vorsichtiger an und überprüfte, ob der Schütze legal Feuerwaffen halten dürfte. Das war nicht der Fall, also kam eine Sondereinheit ausgestattet unter anderen mit einem Durchsuchungsbeschluss. Neben den zahlreichen illegal gehaltenen Schusswaffen fand man 25 Hanfpflanzen der Sorte Sativa in verschiedenen Entwicklungsstadien. Holger machte sich Notizen und dachte daran, wie blöd Menschen sein konnten.

 

Mal stahl der Beschuldigte den Strom, mal fuhr er bekifft Auto, mal verkaufte er den Ertrag. Einer versuchte, den Hanf im Mais zu verstecken. Das ging gut, bis einerseits der Hanf ein halbes Meter über den Mais wuchs und gut zu sehen war, andererseits wurde in September der Mais schon gelb, aber der Hanf blieb noch grün, damit man ihn noch besser sehen konnte – vom penetranten Hanfgeruch mal ganz zu schweigen.

 

Fast alle bezogen Samen und Setzlinge aus Holland. Interessanterweise war das, obwohl ebenfalls illegal, der am wenigsten gefährlicher Teil. An den Grenzen konnte man nicht jeden kontrollieren und die Samen, ohne typischen Geruch und leicht zu verstecken, fand man so gut wie nie. All die Idioten, mit Haschisch und Cannabis in den Taschen beschäftigten die Frauchen und Herrchen der Drogenspürhunde vom Zoll in ausreichenden Maßen.

 

Aus den Akten, die aus Holland als Antwort auf die Amtshilfegesuche kamen, ergab sich, dass der Verkauf von Cannabis und Haschisch selbst in Holland illegal war. Illegal war aber nicht gleich strafbar, wenn man die »fünf Keins« beachtet: man macht ekeine Werbung, verkaufte keine harten Drogen, verkaufte nicht an Minderjährigen oder in größeren Mengen und man störte die Allegemeinheit nicht. Dann beging man zwar immer noch eine Straftat, aber die Behörden wurden nicht tätig.

 

Aus den deutschen Akten kristallisierten sich hingegen die »fünf Keins« des privaten Hanfanbaus aus. Diese Akten, die nicht nur in die Tiefen der menschlichen Blödheit, sondern auch in die Arbeit der Polizei einen Einblick gewährten, zeigten, wie man vorgehen musste.

 

Wenn man unter freiem Himmel pflanzte, dann war das für alle sichtbar und riechbar. Wenn man andere Schweinereien anstellte, die zu einer Hausdurchsuchung führtten, dann war man Fällig. Unverantwortlich dürfte man erst recht nicht sein: Man fuhr nicht in einem fahruntüchtigen Zustand, nicht nur zum Schutz seiner Plantage, sondern auch aus Mitgefühl für die anderen. Die meisten andere Menschen haben auch Nasen, also man raucht das Gras nicht. Man kann es auch essen. Es gab genug Kochbücher zum Thema Kochen mit Hanf und Hasch, die man in jeder Buchhandlung legal erwerben konnte, dank eines gewissen Dr. Grotenhermen.

 

Die Pressestelle der Polizei leistete genug Öffentlichkeitsarbeit in der Sache, um auch ohne Aktenansicht auf diese Punkte zu kommen. Viele taten das nicht und bezahlten den Preis dafür.

 

*

 

Nach einem Tag voller Papiere und Ordner zu Hause angekommen, schloss Holger die Tür sorgfältig hinter sich und ging ins Schlafzimmer, zu einem merkwürdig aussehenden, summenden Schrank. Als er die Schranktür öffnete, ein warmes erfüllte das Zimmer. Im Schrank, unter einer Lampe und einem Belüfter mit Aktivkohlefilter wuchs in seinem eigenen kleinen Garten eine Cannabis Indica Pflanze. Holger goss sie, überprüfte die Temperatur und wechselte den Filter.

 

In einem Garten, so klein er auch sein mag, gab es immer etwas zu tun.

 

 

Version 2