Von Monika Heil

Unsere Reise durch Norwegen im letzten Jahr sollte nicht nur der grandiosen Landschaft wegen etwas Besonderes werden. Ich hatte beschlossen, auch der Kultur Raum und Zeit zu widmen.

 

Petrus meinte es gut mit uns. Wir genossen Oslo in all ihrer nordisch-schlichten Schönheit, die imposante Stadtmauer, den malerischen Hafen mit weißen Segelschiffen, kleinen wendigen Fähren und gedrungenen Fischerbooten. Bei unserem Stadtbummel ließen wir die typischen Shoppingcenter und breiten Hauptstraßen bewusst außen vor. Wir bummelten durch malerische Gassen, blieben vor den vielen kleinen Geschäften stehen, betrachteten die Auslagen. Eine moderne Galerie warb mit farbenfrohen, abstrakten Bildern einer lokalen Berühmtheit.

»Das soll Kunst sein?«, murmelte mein Mann. »Das kann ich auch.« Ich musste lachen.

»Da hast du wahrscheinlich  Recht. Doch da du weder berühmt, noch ein Affe bist, wird sich niemand dafür interessieren.«

»Das befürchte ich auch«, seufzte mein Mann und lief weiter Richtung Schloss. Den Zeitungsbericht von einem malenden Affen hatten wir vor Monaten beide gelesen. Seine Bilder wurden zu hohen Preisen verkauft.

»Für mich ist die wahre Kunst dabei, auf derart abstruse Ideen zu kommen«, hatte mein Mann ganz richtig festgestellt. Ich fand die Aktion damals dennoch witzig.

 

Ich freute mich vor allem auf den Besuch der Nationalgalerie.

»Dort kannst du richtige Malerei betrachten«, versprach ich enthusiastisch. Doch mein Mann, der Kunstbanause, verschob diesen Programmpunkt von Tag zu Tag.

»Das ist etwas für einen Regentag«, erklärte er kategorisch. Leider regnete es in jenem Urlaub nicht.

 

Der Vigeland Skulpturenpark begeisterte uns beide. Wir waren glücklich, wieder einen sonnigen, warmen Tag erwischt zu haben und genossen den Spaziergang über das weitläufige Gelände.

»Schau mal diesen Trotzkopf. Genau diesen Gesichtsausdruck hatte unsere Isabell manchmal, als sie noch ganz klein war.«

»Und so sehen wir mal aus, wenn wir noch zwanzig Jahre älter sind«, lachte mein lieber Mann und wies auf das alte Paar in steingewordener inniger Umarmung.

Es war uns zeitlich unmöglich, alle zweihundert Figuren eingehend zu betrachten.

»Das ist wirkliche Kunst, oder?«, warb mein Mann um Zustimmung. Ich gab ihm wieder Recht.

Der Vater, der mit seinen Kindern jonglierte, erinnerte mich an einen anderen Zeitungsbericht über den schrecklichen Tod zweier Kinder, die ebenso lebensfroh mit ihrem Vater Kunststücke probiert hatten. Als er den Ermittlern zeigen wollte, wie simpel und ungefährlich sein Jonglierakt gewesen war, kam auch das zweite Kind ums Leben.

Ich blinzelte in die Sonne und schüttelte meine Gedanken schnell ab. Sprachlos standen wir kurz darauf vor dem hoch aufragenden Monolithen aus Menschenleibern, umringt vom ´Zyklus des Lebens` – Figuren jeden Alters. Wir konnten uns einfach nicht sattsehen an den steinernen Arbeiten des genialen Bildhauers Gustav Vigeland.

 

»Schade, dass wir so wenig Zeit haben. Hier müssten wir noch einmal her«, war unser gemeinsames Resümee nach mehr als drei Stunden Spaziergang und intensiver Betrachtung.

 

Am nächsten Tag besuchten wir das Wikingermuseum.

»Handwerkskunst vom Feinsten«, stellte mein Mann fest. Am Holmenkollen war es zwar windig, dennoch machte es Spaß, die Schanze, die wir nur aus den Sportberichten im Fernsehen kannten, endlich live zu sehen und zu staunen, wie gigantisch hoch sie in den blauen Himmel ragte.

 

Und so verging ein Tag nach dem anderen. Mein persönliches Highlight – die Nationalgalerie – verschob mein lieber Mann immer weiter nach hinten. Bis der letzte Urlaubstag und ausgerechnet wettermäßig der schönste begann. Ich bestand dennoch auf den Besuch.

»Nun komm schon. Du wirst begeistert sein. Schau«, ich hielt ihm die gegoogelte Seite mit den bunten Bildern vor die Augen. Seine Mimik gab mir die Antwort. Begeisterung sieht anders aus.

 

Es waren nicht sehr viele Besucher dort an jenem Tag.

»Nix los, alle sind draußen bei dem schönen Wetter“, nörgelte mein Mann und folgte mir widerstrebend von Raum zu Raum. Einige Künstler fanden tatsächlich seine Zustimmung. Alles ging einigermaßen gut, bis wir zu Edvard Munch kamen. Bei den ´Mädchen auf der Brücke` blieb er immerhin fast eine Minute stehen. ´Die Frau mit den Mohnblumen` und das Selbstporträt des Künstlers ließ er noch gelten. Dann standen wir endlich vor dem berühmten Schrei. Vier Versionen, beeindruckend, faszinierend in meinen Augen.

 

»Das soll Kunst sein?«

»Pst, nicht so laut.«

Erschrocken schaute ich mich um. Zum Glück nahm niemand von uns Notiz.

»Das ist ganz große Kunst«, erwiderte ich im Brustton der Überzeugung.

»So etwas kann doch nur ein Gestörter malen. Und dann gleich viermal. Draußen scheint die Sonne und ich muss mir hier die verrückten Machwerke eines verrückten Mannes anschauen. Also wirklich. Nee, ohne mich.«

Ich schnappte nach Luft und setzte gerade zu einer unfreundlichen Bemerkung über seinen fehlenden Kunstverstand an, als ich in die lachenden Augen eines attraktiven Mannes blickte.

»Machen Sie sich nichts draus«, schmunzelte er in gebrochenem Deutsch. »Kunst ist immer eine subjektive Wahrnehmung. Meine Kinder denken wahrscheinlich genau so wie Ihr Mann. Und deshalb sind sie draußen auf dem Spielplatz geblieben.«

»Wo ist er denn?« Verblüfft schaute ich mich um. Der nette Norweger zeigte lachend zum Ausgang.

»Dort entschwindet er.« Die Tür fiel geräuschlos ins Schloss. »Und ward nicht mehr gesehen.«

»Na, hoffentlich nicht.«

Ich zögerte. Mein Herz und mein Verstand diskutierten schnell und heftig.

»Ach, was soll´s. Ich bin jetzt hier und ich bleibe jetzt hier.«

»Sehr schön. Darf ich mich vorstellen? Ingmar Strelund, Kurator. Es wäre mir ein Vergnügen, eine kleine Privatführung für Sie zu veranstalten.«

»Sehr nett. Gern. Gesine Bergmann. Ich bin sozusagen spät berufene Kunstinteressentin. Schwerpunkt norwegische Malerei.«

 

Meinen Mann fand ich eine Stunde später in einem Straßencafé gleich um die Ecke neben dem Kinderspielplatz. Bisher hatte er immer behauptet, die Alkoholpreise in Norwegen seien unverschämt. Heute schien das nicht zu gelten.

»Wie hast du mich gefunden?«, nuschelte er bierselig.

»Na, das war ja wohl keine Kunst, oder?«

 

Das war im letzten Herbst. Morgen geht mein Flieger nach Oslo. Ingmar wartet. Es gibt noch so viel zu sehen in dieser schönen Stadt.

 

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