Von Miklos Muhi

Bei der Polizei von San Francisco war die Hölle los: Die Jungs von Sondereinsatzkommando gingen auf und ab, die Untersuchungsrichter saßen mit Staatsanwälten zusammen, lasen Berichte und brüteten über das weitere Vorgehen.

 

Hinter der verschlossenen Tür des Verhörraums war es dagegen still. Die Stille war ein Ausdruck der Überraschung der Inspektoren Heckler und Wesson.

»Habe ich Sie richtig verstanden, Mr. Sheperd? Wollen Sie wirklich keinen Anwalt?«, fragte Heckler.

»Genau das habe ich gesagt, mein Sohn. Rechtschaffene brauchen so etwas nicht«, meinte Sheperd lächelnd und unterzeichnete die Verzichtserklärung.

»Ich bin nicht Ihr Sohn, Mr. Sheperd, also nennen Sie mich nicht so«, sagte Heckler verärgert. Sheperds Optimismus und seine gute Laune brachten ihn innerlich zu Weißglut. Noch dazu diese Anrede …

»Aber …«

»Reden wir doch lieber darüber, was heute Nachmittag auf dem Campus vorgefallen ist.«

»Ich tat, was ich tun musste«, sagte Sheperd.

»Das haben Sie schon öfters erwähnt. Erzählen Sie uns doch einfach, was passiert ist.«

»Gerne, mein … khm … Mr. Heckler.«

Eine kurze Pause entstand, ausgefüllt vom mechanischen Brummen des Aufnahmegeräts auf dem Tisch.

»Ich bin heute früh, wie jeden Tag, zum Campus gefahren.«

»Warum fahren Sie denn jeden Tag dahin?«, fragte Wesson.

»Weil ich mir Sorgen um die jungen Leute mache. Das sollte doch jeder tun.«

»Warum?«

»Weil sie Gott den Rücken gekehrt haben und in der Sünde leben.«

»In der Sünde, sagen Sie?«, fragte Heckler belustigt. »Gegen Sie, Mr. Sheperd, liegen zahlreiche Anzeigen wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Ruhestörung und anderer Feinheiten vor, alles bezogen auf Ihre fast täglichen Besuche auf dem Uni-Gelände.«

»Das sind nur Satans Versuche, mich vom richtigen Weg abzubringen. Ich predigte nur. Ich zitiere aus der Bibel, prangere die Sünden an und fordere die Menschen auf, sich zu bekehren. Das kann ich Euch beiden auch empfehlen. Dann könnten wir zu dritt Satan das Handwerk legen. Akzeptiert Ihr Jesus als Euren persönlichen Erlöser?«

»Das tut nichts zur Sache, Mr. Sheperd«, sagte Heckler. »Sie sind nicht hier, um uns zu bekehren, und wir sind nicht hier, um bekehrt zu werden. Merken Sie sich das, wenn ich bitten darf. Erzählen Sie weiter.«

»Heute war aber alles anderes. Einige Studenten kamen auf mich zu. Ich begann zu ihnen zu sprechen, aber sie lachten mich aus. Bekehren Sie sich und dann werden Sie auch wissen, dass die Bibel sagt, dass …«

»Kein Buch der Welt gibt Ihnen das Recht …«, sagte Heckler aufgebracht.

»Doch, die Bibel gibt mir das Recht und Ihnen auch! Bekehren Sie sich und bringen wir die Sache zum Ende! Auf, auf, ihr christlichen Soldaten!«, sang Sheperd und versuchte aufzustehen.

»Hinsetzen!«, brüllte Heckler, sprang auf und drückte Sheperd wieder auf den Stuhl. Dann schaltete er das Aufnahmegerät aus und sagte:

»Hör mal zu, du Würstchen: Noch so eine Nummer und ich schiebe dir deine verdammte Bibel so tief in den Arsch, dass du sie auskotzt. Haben wir uns verstanden?«

Sheperd wurde kreidebleich und nickte. Heckler setzte sich wieder hin und schaltete das Aufnahmegerät ein. Während des ganzen Vorfalls betrachtete Wesson interessiert seine Fingernägel.

»Erzählen Sie weiter, Mr. Sheperd«, sagte er in einem neutralen Ton.

»Ich ging nach Hause, holte meine Waffe und ging zurück zum Campus, um Gottes Werk zu vollbringen.«

»Sie haben also eine Waffe, nicht wahr, Mr. Sheperd?«, fragte Heckler mit einem ironischen Interesse.

»Ja. Unsere Verfassung garantiert das Recht, Waffen zu tragen, falls Sie das nicht wussten.« Sheperd klang beleidigt.

»Sicher wissen wir das. Wir wissen auch, dass die Gesetze dieses Bundesstaates eine Registrierung verlangen, die Sie versäumt haben. Aber selbst eine Registrierung hätte Ihnen nichts geholfen. Sie sind nämlich mit einem Sturmgewehr aufgetaucht.«

»Und?«

»Ein Sturmgewehr gilt in diesem Staat als Kriegswaffe. Das Tragen, so wie jede Art von Umgang mit Kriegswaffen ist für zivile Privatpersonen grundsätzlich strafbar. Wo haben Sie die Waffe her?«

»Gefunden.«

»Ja, natürlich. Und das ganze Arsenal in Ihrem Keller wuchs auf dem Akazienbaum vor Ihrem Haus, nicht wahr?«

»Was hatten Sie in meinem Keller zu suchen?«

»Waffen. Das steht im Durchsuchungsbeschluss und wir haben eine ganze Menge gefunden. Laut Kollegen ähnelt Ihr Keller stark einem Waffenladen. Man fand Aufzeichnungen über An- und Verkäufe und eine Geldkassette. Was man aber nicht fand, ist Ihre Lizenz zum Waffenhandel.«

»Christliche Soldaten brauchen auch Waffen. Solange nicht Jesus an der Macht ist, werden wir schikaniert.«

»Die Gemeinde, in der Sie als Pastor dienen, steht unter Beobachtung der Behörde für Alkohol, Tabak und Schusswaffen. Sie vermutet schon lange, dass sie sich unter anderen aus illegalem Waffenhandel finanziert. Wir hätten bei Ihnen früher oder später geklingelt.«

»Das ist ein christliches Land, Inspektor. Eine Nation unter Gott, wie es im Treueschwur heißt.«

»Leiten Sie auch aus dem Treueschwur ab, dass Sie das Recht hätten, auf dem Campus der Universität Amok zu laufen?«

»Nein, das sagt die Bibel, Sie Heide. Es heißt: ›Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen‹. Steht im Exodus 22:17.«

»Was denn für Hexen?«, fragte Heckler erstaunt.

»Die Studenten, von dem ich vorher erzählt habe, sagten mir, sie hätten die dunklen Kräfte der Magie zu bändigen gelernt. Ich war erschrocken und sprach das Wort Gottes, um dem Bösen den Garaus zu machen. Dann haben sie abscheuliche Zauberformel gemurmelt, so, dass man gar den Gestank des Teufels riechen konnte. Dann sind mir die Geister unserer Gründerväter erschienen. Sie zeigten mir den Mittelfinger. Ich hatte keine andere Wahl.«

»Und ob Sie eine hatten. Sie hätten zu Hause bleiben können. Sie hätten andere in Ruhe lassen können.«

»Aber die Hexen …«

»Es gibt keine Hexen. Wir wissen, dass die Studenten Ihnen Hologramme gezeigt haben. Das sind Bilder aus Licht.«

»In der Bibel steht aber nichts davon, folglich ist das, was ich da gesehen habe auch ein Werk des …«

»Ihre Bibel wird Ihnen jetzt nicht mehr helfen. Sie werden sich für den Amoklauf verantworten müssen. Wären Sie nicht so ein lausiger Schütze und hätten jemanden tatsächlich getroffen oder gar getötet, würden Sie die Giftspritze bekommen. Mit all den anderen Anzeigen zusammen ergibt Ihr heutiger Auftritt Kost und Logis für den Rest Ihres Lebens. Das ist auch nicht schlecht, denke ich.«

Sheperd‘s Gesicht verfinsterte sich.

»Ich will doch einen Anwalt«, sagte er.

»Wie sie Wünschen, Mr. Sheperd. Wir können Sie ab sofort nicht mehr ohne Ihren Anwalt verhören.« Heckler schaltete das Aufnahmegerät aus.

»Ich frage mich, wie lange Sie im Knast von hinten Jungfrau bleiben können«, sagte Wesson und lachte. »Vielleicht werden Sie von den anderen Fanatikern gesteinigt oder was auch immer für eine Strafe in Ihrem Spinnerbuch vorgesehen sein mag.«

»So dürfen sie nicht sprechen!« Shepert war außer sich.

»Inspektor Wesson darf sehr wohl so sprechen. Neben dem Recht auf das Tragen von Waffen, garantiert unsere Verfassung auch die Meinungsfreiheit«, sagte Heckler und klopfte an der Tür von innen. Sie ging auf und zwei Uniformierte in schusssicheren Westen traten hinein.

»Abführen«, sagte Heckler kalt.

 

 

Version 2