Florian Ehrhardt

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn das eigene Leben wirkt, wie ein Buch, was man auf gar keinen Fall weiterlesen will, weil einfach alles nur noch ziemlich beschissen ist? Genau so fühlt es sich momentan an. Oder vielleicht sogar wie in so einem klischeehaften Film aus den 80ern oder 90ern, wo das Bild stoppt, die Kamera auf das Gesicht des Schauspielers zoomt und der sagt: „Jo, das bin ich. Vielleicht wundert ihr euch ja, wie ich in dieser Situation gelandet bin.“ Ja, so fühle ich mich. Nur dummerweise ist mein Leben kein Film. Dummerweise hat mich tatsächlich der Teufel höchstpersönlich an einen Felsvorsprung im tiefsten Bayern gekettet. Wobei, für „der“ Teufel sind die Kurven von Chris dann doch entschieden zu scharf. Ja, der Teufel ist eine mittelalte, ziemlich gut aussehende Frau. Eine Frau, die mir das Herz ausreißen will, um es in die Vergangenheit zu schicken, wo es an meine Schwiegermutter gespendet werden soll. Was meine Beziehung retten wird. Wie gesagt, das ist ‘ne lange Geschichte.

„Bist du jetzt fertig mit deinem Selbstmitleid oder können wir anfangen?“

Ach ja, der Teufel kann Gedanken lesen.

„Ist dir eigentlich klar, dass ich dein scheiß Herz gar nicht bräuchte, wenn ich der Teufel wäre?“

„Warte, du bist nicht der Teufel?“ Um uns herum wird der Schneesturm dichter.

„Natürlich nicht! Oder dachtest du ernsthaft, der würde sich mit so einem wie dir rumschlagen? Du bist viel zu unwichtig!“

„Ähm…aber das mit dem Herz klappt dann schon, oder?“

„Natürlich nicht! Niemand kann in der Zeit zurückreisen. Ihr Menschen seid so doof, ihr glaubt echt alles, was man euch erzählt!“

„Was machen wir dann hier oben? Warum bin halbnackt in dieser scheiß Kälte festgekettet?“

„Naja…dein Herz brauche ich schon.“

„Wozu brauchst du mein verdammtes Herz? Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass ich vielleicht noch ein bisschen weiterleben will?“

„Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass ich das Jüngste Gericht nur starten kann, wenn ich dazu ein Menschenherz habe, das wahre Liebe erfahren hat?“

„Hast du Lisa und mich deshalb damals wieder zusammengebracht?“

„Naja, Hexen tun eben, was Hexen so tun müssen.“

„Du bist eine Hexe?“

„Klar! Denkst du etwa, jede Hexe braucht einen Besen und einen Hut?“

„Ich…äh…naja, ist doch auch egal.“

„Ganz genau. In fünf Minuten braucht dich das alles nämlich gar nicht mehr zu interessieren.“

„Ab’r it so lang wie i des verhindra ka!“

Der Mann mit dem Kreuz tritt hinter einem Felsen hervor. Schneeflocken hängen in seinem graubraunen Bart.

„Verschwinde, alter Mann, du hast hier nichts verloren!“

„Du au it! Was denksch warum mein Vorfahr den Dracha tötet hat? Damit du komme kannsch und der Scheiß glei wieder losgaht?“

„Du? Du Dorftrottel willst ein Nachfahre vom heiligen Magnus sein?“

„Freilich. Was denksch warum des glei so oifach wird di wieder ind Hölle zrückzumschicka?“

„Mich? Meinst du nicht eher uns?“

Ich traue meinen Augen nicht. Plötzlich steht Chris nicht mehr alleine da, sondern um sie herum stehen noch mehr Hexen. „Viel Glück beim Versuch, uns zu stoppen.“ Sie läuft auch mich zu.

Der alte Mann steht regungslos da. Zwei Hexen kommen ihm entgegen.

„Jetzt tun Sie doch endlich was!“

Der Mann hebt sein Kruzifix in die Luft. Bleibt weiter stehen. Für kurze Zeit hört der Wind auf zu pfeifen. Es ist totenstill.

„Sie wird mich töten wenn Sie nichts machen!“

„Dann bet mit mir!“ Der Mann beginnt tatsächlich, das Vaterunser zu brabbeln.

„Sie sollen richtig helfen! Beten funktioniert nicht!“

Der Mann ignoriert mich. Chris kommt weiter auf mich zu. Ein Messer blitzt in ihrer Hand auf.

„Benny, der wird dir nicht helfen. Seine törichte Art wird ihn nur das Leben kosten. Aber dir kann das ja egal sein.“ Sie legt mir das Messer auf die Brust.

Ich schließe die Augen. Das wars.

Aber der tödliche Stich kommt nicht. Es ist still. Nur die Stimme des Mannes ist noch da.

„…in Ewigkeit. Amen.“

 

Ich öffne die Augen. Die Hexen sind nicht verschwunden, aber sie stehen regungslos da. Sie haben sich von mir abgewendet und starren mit offenen Mündern in den plötzlich wolkenfreien Himmel.

Von dort schwebt uns eine Figur entgegen.

„Na endlich, dr Heilige Magnus!“

Keine zwei Sekunden später steht der Mann vor uns im Schnee. „Was heißt hier Magnus? Ich bin immerhin König von Bayern!“

„König?“, frage ich erstaunt „Bayern hat schon längst keinen König mehr!“

„Naja, wenigstens habe ich im Gegensatz zu dir ein Hemd. Und nein, König bin ich tatsächlich schon lange nicht mehr, aber mein Geist muss hier wandern.

„Warum das?“

„Ach, anscheinend kommt man als König nur in den Himmel, wenn beim Bau der Schlösser keine Arbeiter gestorben sind.“

„Und wenn ma sich selber umbringen tut, ists sowieso vorbei!“, tönt der alte Mann.

„Warte, bist du der Märchenkönig?“

„Was für ein Märchenkönig denn? Ich bin Ludwig der Zweite, Herrscher über Bayern!“

„Der mit den Schlössern?“

„Natürlich habe ich Schlösser bauen lassen!“

„Ja! Und deswegen san jetzt die ganzen Chinesen hier unterwegs! Jetzt schleich di, I wollt net di sondern de Heilge Magnus ham!“

„Ich bin auch nicht hier um euch zu helfen. Ich werde am Ritual der Hexen teilnehmen. Schließlich bin ich frei, wenn das Jüngste Gericht kommt. Dann kann ich endlich mein Schloss beziehen!“

„Du blaublütiger Vollpfosten! Hättst du it totbleibn können? Wenns Jüngste Gericht kommt, is dei scheiß Schloss ja auch weg!“

Der Geisterkönig setzt sich. „Das…das habe ich nicht bedacht.“

Chris tritt vor. „Also, genug Schabernack. Nachdem du nicht Magnus bist sondern bloß ein toter König mit Touri-Schloss, können wir ja jetzt anfangen, oder?“

„Aber ich will mein Schloss behalten!“

„Und ich will mein Herz behalten!“

Chris läuft wieder mit dem Messer auf mich zu. Aber der König ist schneller und baut sich vor mir auf. „Niemand nimmt mir meine Schlösser!“

Und dann hat es die Kälte geschafft. Mir wird endgültig schwarz vor Augen.

 

„Wissen Sie, Herr Obermaier, was Sie da zusammenfabulieren klingt schon ziemlich verrückt für uns. Sie behaupten, Benjamin Meyer war mit einer Hexe unterwegs. Sie behaupten, die Hexe habe den Fendt Ihres Nachbarn geschmolzen, um dann mit Benjamin Meyer auf den Säuling zu laufen und sein Herz zu opfern. Der Geist von König Ludwig II. hat sie aber so lange aufgehalten, bis Herr Meyer gestorben ist. Und Sie haben dabei die ganze Zeit versucht, den heiligen Magnus herzubeten. Darf ich Ihre Aussage so zusammenfassen, Herr Obermaier?“

„Des stimmt scho so, Herr Staatsanwalt! I weiß, dass Ihr mir des it glauben werdt, aber i hab die Hexn lang genug aufgehalten, um die Welt zu retten!“

„Hohes Gericht, mit Verlaub. Was der Alte da faselt ist mehr als kompletter Bullshit! Dieser Mann ist verrückt und hätte schon längst eingewiesen werden sollen!“

 

Allgäuer Zeitung vom 30. November 2019:

 

Säuling-Mörder bleibt bei Hexen-Story!

Matthias Obermaier wiederholte vor Gericht seine Aussage, dass nicht er den 29-jährigen Benjamin Meyer auf den Säuling schleppte, um ihn zu töten. Vielmehr soll eine Hexe Meyers Herz genutzt haben wollen, um den Weltuntergang herbeizuführen. Die Todesumstände von Meyer bleiben damit mysteriös. Allerdings glaubt wohl kaum jemand, dass Obermaiers Story auch nur den geringsten Wahrheitsgehalt enthalten könnte…Lesen Sie den kompletten Artikel auf Seite 7.