Von Helga Rougui

Der Letzte in der Reihe war natürlich für mich bestimmt – ein Kavalier der alten Schule, Smoking, eine schwarze Anemone im Knopfloch, weiße Handschuhe.

Er streckte galant seine Hand aus, ich legte meine hinein, und gemeinsam glitten wir zu Walzerklängen in die funkelnde Weite des Ballsaals. Er war ein guter, ein perfekter Tänzer. Ich schätzte ihn auf weit über siebzig, aber mit seinen silbernen Schläfen und seinem grauen gepflegten Schnauzbart wirkte er wie ein gutaussehender, altersloser Don Juan, dem man noch anderes zutraute als junge Frauen zum Tanz zu führen.

Ich wiegte mich in seinen Armen zum Wiener Blut, starke Arme, waren das, die mich hielten, und schaute hoch, in sein Gesicht.

Er lächelte auf mich herab, und ich sah Fangzähne kurz aufblitzen.

Ich schloß die Augen und hob mein Antlitz dem Schöpfer entgegen.

 

Macht das was, wenn ich mich hierhersetze?

Der junge Mann fragte leicht flapsig, aber höflich, obwohl er mit seinem Hoodie und seinen löcherigen Jeans nicht gerade elegant rüberkam. Ich musterte ihn verstohlen, während ich nickte – ein freundliches, offenes Lächeln, breite Schultern, muskulöse Statur, ein Bild von einem Mann. Nur schlecht gekleidet war er, aber wer war das nicht heutzutage, die jungen Leute schienen sich abgesprochen zu haben, in – extrem teuren – Lumpen herumzulaufen.

Mein Gegenüber nahm einen Schluck von seinem MaiThai, ich hob ihm mein Proseccoglas entgegen, und wir prosteten uns zu.

Auf dem Weg zur Tanzfläche, deren Halbdunkel nur von grellen LED-Spots ruckartig erhellt wurde, mußte ich aufpassen, ihn nicht zu verlieren, das GothicSchwarz seiner Kleidung schluckte jedes Licht.

Während wir uns in den Rhythmus der Technomusik hineinfallen ließen, schaute ich auf seinen Hals, der weiß in der Dunkelheit leuchtete.

Ich fühlte, wie meine Fangzähne hervorbrachen, und leckte mir die Lippen. 

 

Licht aus! Licht aus! Ihr wißt doch, wir haben sonst keine Chance!

Irgendwer hatte das gerufen, helle Panik in der Stimme, und jemand anders hatte prompt reagiert. Im Saal gingen die Lichter aus, es herrschte Dunkelheit, und völlige Stille trat ein.

Ein ersticktes Lachen noch war zu hören, das sofort erstarb, und man hörte nur das Atmen von zweihundert Tänzern und Tänzerinnen, die jetzt anfingen um sich zu schauen und die sie umgebenden Schatten zu mustern.

Nun würde es sich erweisen, wer der Feind unter ihnen war. 

Plötzlich ging ein Wispern, ein Flüstern durch die Menge, aller Augen wandten sich zur gläsernen Flügeltür, die in den Wintergarten führte.

Dort stand, umgeben von Palmen und roten, wildwuchernden Platanillas, eine düstere Gestalt, deren Ränder erst blaßgrün, dann intensiver grünlich zu leuchten begannen.

Nun haben sie ihn, wie schade, er war so ein vollendeter Gentleman, dachte ich, wohl verborgen in der Menge, die jetzt aufstöhnend von der Türe zurückwich, und war dankbar für die zweite Haut, die mir der junge Mann aus dem Club so bereitwillig geschenkt hatte.

Sie paßte perfekt, und niemand würde hinter ihr das vermuten, was ich in Wirklichkeit war.

Ich für mein Teil war in Sicherheit.