Von Katharina Rieder

Wer erst gegen fünf Uhr morgens vom Feiern nach Hause kommt und um sieben schon wieder arbeiten muss, braucht sich erst gar nicht mehr hinzulegen. Mein knurrender Magen führt mich stattdessen auf direktem Weg in die Hotelküche. Den Schalter einmal betätigt, dringt bekanntlich Licht ins Dunkel. Ihr glaubt nicht, wie schnell man vor Schreck den Schalter wieder ausknipsen kann. Denn das, was ich da für ein paar Sekunden am Boden liegen sehe, irritiert mich. Zwischen Hackstock und Gasherd liegt der kranke Irre in einem Schlafsack und schnarcht friedlich vor sich hin. Und zwar genau an der Stelle, von wo aus er ansonsten die Kochmannschaft herumkommandiert. Wir nennen ihn „den Irren“, weil er wirklich krank im Kopf ist. Ist noch keine dreißig, schreit nur rum und schläft gerne im Treppenhaus, um die Lehrlinge beim Ausgehen zu erwischen. Zudem kontrolliert er jeden Morgen mit Eifer die Küchenabfälle in der Mülltonne. Was soll ich dazu sagen, außer:

„Beruf verfehlt!“

 

Über der Computertastatur lässt es sich auch ganz gut schlafen. Zwei Stunden später schrecke ich hoch, weil irgendjemand mehrmals die Klingel an der Rezeption betätigt. Zum Glück ist es nur ein Zimmermädchen, das sich einen Spaß daraus macht, mich aus dem Schlaf zu reißen. Schnell rauf in mein „Kammerl“, oder wie nennt ihr einen Raum, wo zwischen Bett und Kleiderschrank gerade mal ein halber Meter Boden zu sehen ist, die Türe nach außen aufgeht und die einzige Lichtquelle eine winzige quadratische Dachluke ist? Rasch Katzenwäsche gemacht, rein ins zerknitterte Dirndl vom Vortag. Den Fettfleck auf der Bluse mit Omas Brosche abgedeckt und wieder zurück nach unten. 

 

Keine Minute zu spät, denn schon schleicht der Chef um die Ecke.

„Sara, heute kommt mein Sohn nach Hause. Der ist ein bisschen, na ja… Der ist schwierig. Wenn der dich nach dem Schlüssel für den Zigarettenschrank fragt, dann sagst du ihm am besten, dass du gar keinen hast!“ 

„Okay Chef. Alles klar!“ 

Obwohl natürlich nichts klar ist. Aha, einen Sohn gibt es also auch noch! 

Als Nächstes schlurft der Restaurantleiter um die Ecke. 

„Sara, wir müssen kurz reden. Die Reicherts haben sich gestern über dich beschwert!“

Die schon wieder! 

Anscheinend hätte ich sie nicht freundlich genug bedient. Er lächelt mich wohlwollend an, Klapps auf den Hintern und weiter gehts. Eine Andere würde sich vielleicht aufregen, von sexueller Belästigung sprechen, aber ich krieg das schon gar nicht mehr mit. Der Restaurantleiter ist ohnehin so ein asexueller Typ, verheiratet zwar, aber wenn ihr mich fragt, steht der nicht auf Frauen. Dass die Reicherts sich beschwert haben, wundert mich auch nicht. Die bedient normalerweise er. Den Gästen gegenüber getreten, erhöht sich seine Stimmlage um zwei Oktaven und er wirkt zwei Zentimeter kleiner. Ich dagegen bin einfach normal freundlich. Ich buckle nicht, für niemanden, auch nicht für den Herrn Architekten Reichert. Diese Tatsache verärgerte schon des Öfteren den ein oder anderen Gast. 

 

Die Beschwerde ignorierend sage ich: 

„Schätzelein…“  und winke ihn näher zu mir heran „…weißt du, warum der Irre heute in der Küche geschlafen hat?“

Er legt seinen Arm um mich und teilt mir vertraulich mit, dass der Irre Wache hält, in der Hoffnung endlich diejenigen zu schnappen, die mitten in der Nacht in seiner Küche kochen. „Danke… Dann wird jetzt mal nix mehr mit Dinner in the night!“

Da müssen wir beide lachen. Das Perso-Essen ist so grausig, dass hier niemand ein schlechtes Gewissen hat, sich auf Kosten des Hauses zwischendurch einmal heimlich etwas Vernünftiges in die Pfanne zu hauen. Top Cuisine versus Flop Frites. Ihr glaubt gar nicht, was alles frittiert werden kann. Zu Beginn der Saison fand ich Schnitzel und Co ja noch toll, als ich dann jedoch den Dirndlknopf über dem Bauch nicht mehr zubekam und die Pickel im Gesicht sprossen, beschloss ich, auf Salat umzusteigen. 

 

Am Vormittag geht es zu wie im Taubenschlag. Alle fünf Minuten will irgendwer irgendetwas von mir. Endlich wird es ruhiger. Ich starre müde und gelangweilt auf die Telefonanlage. Ein  Schmunzeln kann ich mir einfach nicht verkneifen. Es geht schon wieder los! Das hat bereits System: Immer kurz nachdem der Chef mittags das Hotel verlässt, verrät das Blinken auf den programmierten Tasten der Telefonanlage, dass „Privatwohnung Chef“ mit „Küche“ telefoniert. Kurz darauf stolziert die Chefin über das Treppenhaus an der Rezeption vorbei in Richtung Keller. Dann folgt ein weiterer Anruf „Waschküche“ an „Küche“. Und natürlich kommt dann der Irre um die Ecke und verschwindet auch über die Treppe nach unten. Man möchte sich gar nicht ausmalen, was die Chefin mit dem Küchenchef in der Waschküche treibt! Sie werden ja wohl kaum gemeinsam Wäsche waschen, höchstens dreckige hinterlassen. Ich jedenfalls nütze diesen Moment des Tages gerne, um in Ruhe mit den Jungs in der Küche zu tratschen. 

 

Und es gibt schon wieder Ärger. Die zwei Lehrlinge haben das Dessert, eine Pannacotta Creme für den Abend, total versaut und schwitzen sich wegen der zu erwartenden Standpauke an. 

„Schnell! Hauts es draußen in die Tonne!“, sage ich. 

„Aber der kontrolliert die doch morgen früh wieder!“

 „Dann müss ma halt den Inhalt der Tonne bis morgen früh irgendwo loswerden.“, schlag ich vor. Wir besiegeln den Deal mit einem Handschlag. 

 

Wieder zurück im Büro, betritt kurz darauf ein großer, schlanker Typ mit Rauschebart die Rezeption. Sieht gar nicht so aus, als könnte der vom Chef sein. Er spricht mit halb geöffneten Augen ganz langsam wie ein Faultier, das sich behäbig von Ast zu Ast schwingt und bittet mich um den Schlüssel für den Zigarettenschrank. Ich muss ihn leider enttäuschen. Er meint, dass das dem Alten ähnlich sieht, denn der vertraut ihm, seinem eigenen Sohn, ja schon nicht. „Ja, ja!“, sag ich und hoffe er geht bald wieder. 

Die Tochter des Hauses gesellt sich dazu und fragt, ob ich weiß, wo die Mama ist. Ich lüge auch sie an und sage, dass ich nicht weiß, wo die Mama ist. Wenn die Arme ihre Mutter beim Schnackseln erwischen würde, bräuchte die mit Sicherheit eine weitere Psychotherapie. 

 

Endlich Zigarettenpause!

„Ich wusst gar nicht, dass der Chef einen Sohn mit Behinderung hat!“

„Der ist doch nicht behindert, nur auf Drogen!“  Nur auf Drogen also… „Kommt direkt aus dem Schlafentzug. Sauteuer zwar, dafür kriegst vom Affen nix mit!“, fährt er fort. 

„Aha, und ich dachte, er ist behindert.“

 

Der Chef ist vom Einkaufen zurück, die Chefin ist auch fertig mit was auch immer. Man begegnet sich in der Bar wieder, wo die Tochter mit einer Packung Chips neben ihrem Bruder sitzt. 

„Nathalie, bist du schon wieder beim Essen. Du wirst noch fett! Lass das!“, sagt die Chefin zu ihrer Tochter. Nathalie wirft die Chips verstimmt hinter die Bar und dampft beleidigt nach oben ab. 

 

Hurra Zimmerstunde!  

„De letzte Kuh machts Gatter zu!“ 

Und die letzte Kuh, die in dieser Nacht das Gatter zu machen musste, war die Sabine. Sie ist normalerweise nie die Letzte. Konnte ja niemand ahnen, dass die Barchefin Barbie, nachdem sie die Schnecken in Kräuterbutter gegessen hatte, ganz grün im Gesicht wurde und über den Tresen ausgerechnet dem Nörgler, in den Schoß kotzte. Warum wir den Nörgler, Nörgler nennen, brauch ich wohl nicht zu erwähnen. Sabine musste kurzfristig den Dienst übernehmen und durfte die stinkende Hinterlassenschaft von der Barbie aufwischen. Die Sabine ist so eine mit dunklen, stumpfen Augen. Am Anfang tat sie mir irgendwie leid. Doch seit sie mir, nur weil ich in der Stube die Gläser beim Abräumen mit gespreizten Fingern von innen angegriffen habe, eine gescheite Watschen gegeben hat, ist mir egal, was mit ihr ist. Hinter ihrem Rücken nennen wir sie Domina. Obwohl jeder von uns sie schon darauf angesprochen hat, kommt sie immer wieder mit dem langen hässlichen Lederrock und dazu passenden Ledermantel daher. 

 

Die Sabine hat das mit dem Gatter zumachen an diesem Abend ein bisschen zu ernst genommen. Nachdem sie oben alles zugesperrt hat, ist sie auch noch runter in die Kelleretage. Da fiel ihr auf, dass das Fenster vom Kinderklub nur angelehnt war. Sie konnte ja nicht wissen, dass unser jüngster Lehrling das Fenster absichtlich geöffnet hatte, um später dort wieder rein zu kommen. Der ist noch keine sechzehn und hat daher vom Chef gar nicht erst einen eigenen Hausschlüssel bekommen. Nach Mitternacht hat der Lehrling draußen nichts mehr zu suchen. So regelt man das hier mit dem Jugendschutz in dieser hoffnungslosen Irrenanstalt. Als Sabine das Hotel von draußen zusperrte, klingelte ihr Telefon. Sie kramte es aus der Tasche, nahm den Anruf entgegen und vergaß, den Schlüssel aus dem Schloss zu ziehen. Den wiederum fand etwas später der Chef, der in dieser Nacht nicht schlafen konnte und nochmals einen Kontrollgang um das Hotel herum machte. Ich war diejenige, die gegen vier Uhr morgens den Lehrling schlafend und halb erfroren auf der Treppe vorfand. 

 

Die Sabine hingegen stieg am frühen Morgen hinter dem Haus auf den Balkon im ersten Stockwerk und klopfte an eine der Balkontüren, ausgerechnet an der vom Nörgler. Als der irgendwann irritiert öffnete, zwängte sich Sabine an ihm entschuldigend vorbei, huschte durch das Zimmer, um dann schnell wieder durch die Türe in den Hotelflur zu verschwinden. Ganz schön peinlich, als der Nörgler beim Frühstück den Chef fragte, ob es bei uns Hausbrauch sei, dass das Hotelpersonal mitten in der Nacht durch die Gästezimmer springt. 

 

An diesem aussichtslosen Ort bleibt einem wirklich nur noch eines übrig, nämlich das Licht auszumachen und zu hoffen, dass eine schlaflose Nacht später die Saison endlich endet. 

 

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