Von Winfried Dittrich

Samstag, 19.15 Uhr

Meine Frau hat mich noch schnell rüber zum Supermarkt geschickt. Am Montag ist Feiertag. Da brauchen wir Vorräte, die bis Dienstag reichen. Mit der linken Hand halte ich unseren Weidenkorb, der mit Pfandflaschen gefüllt ist, mit der Rechten zwei Getränkekisten gleichzeitig. Meine Frau meinte, ich solle nicht übertreiben, aber ich will ja nicht sinnlos durch die Gegend laufen. Da kann ich doch Leergut mitnehmen und eben schnell abgeben. Vielleicht bekomme ich später an der Kasse Geld zurück, anstatt bezahlen zu müssen. Den Einkaufszettel hat sie mir in die Jackentasche gesteckt. Bin gespannt, was sie jetzt noch so dringend haben will.

Der einzige Pfandrückgabeautomat des Supermarktes ist über einen Seiteneingang zugänglich. Keine Schlange davor, das ist schon mal gut! Zwei Personen stehen in dem kleinen Raum vor dem Automaten und beschicken ihn fleißig mit Flaschen. Meine Güte, haben die viele Flaschen in ihrer Tasche. Ich will auf die Uhr sehen und merke, dass mein Handgelenk frei ist. Mein Handy habe ich auch nicht dabei – Akku leer. 

Ich schätze, es ist nun ungefähr halb acht. Immer noch ziehen die beiden Flasche für Flasche aus ihrer großen blauen Plastikeinkaufstasche, auf der steht: »Ich war mal eine Flasche.« 

Müsste man bei der Menge nicht eigentlich einen Termin für die Rückgabe vereinbaren?

 

19.35 Uhr (geschätzt)

Die Einkaufstasche ist leer. Aber sie stand auf drei übereinandergestapelten Klappkisten. Allesamt gefüllt mit Leergut. Das hatte ich erst gar nicht gesehen.

Ich denke darüber nach, dass ich nun eigentlich auf meinem Handy herumspielen würde. Nachrichten lesen, die sozialen Netzwerke abklappern, die üblichen Onlineforen nach neuen Einträgen absuchen, kurze Kommentare abgeben, den Handyspeicher bereinigen, mich im strahlenden Licht des Displays sonnen. 

Ich denke schon fast laut: »Akku leer, Flasche leer, Leben leer?« 

Nein, das ist zu negativ. Beim nächsten Mal bringe ich ein gutes Buch und einen Klappstuhl mit. Oder meine Kamera mit Stativ. Wenn es hier nämlich so weitergeht, dann kann ich von meiner Warteposition aus den Sonnenaufgang fotografieren.

Die erste Kiste leert sich langsam.

 

19.50 Uhr (geschätzt)

ALARM! Anscheinend ist der Beutel voll, der die geschredderten Plastikflaschen aufnimmt. Der Automat gibt einen Pfandbon aus. Eine Tür hinter den Pfandrückgebenden geht auf, und dieser verschrobene Supermarktmitarbeiter, den ich im Supermarkt ansonsten noch nie gesehen habe, blickt kurz auf das Display des Pfandrückgabeautomaten. Tatsächlich, der Beutel ist voll. Das steht wohl ganz klein unter »Automat vorübergehend außer Betrieb«, wie ich höre. Kein Grund zur Beunruhigung.

 

19.55 Uhr (geschätzt)

Der Automat läuft wieder. EINS, ZWEI, DREI, VIER …

Die Flaschen fliegen wieder in die Öffnung hinein. Da verschluckt sich der Automat und übergibt sich bzw. die Flasche zurück an die beiden Menschen vor dem Automaten. Auf dem Display steht: »Flaschen nicht in die Öffnung werfen!« Hab ich doch gewusst, dass das irgendwann kommt.

Der Automat spuckt wieder einen Pfandbon aus. Weiter geht es.

 

20.05 Uhr (geschätzt)

Die ersten beiden Kisten sind leer. Nach jeder Kiste hat die Frau den grünen Knopf am Automaten gedrückt und den Pfandbon entnommen. Sicher ist wohl sicher. Ich hoffe, sie kommt nachher, an der Kasse, nicht mit den Bons durcheinander. Denn sie hat die bisher ausgegebenen Bons auf ihre Bauch-, Gesäß-, Jacken- und Umhängetasche verteilt. Ob irgendein System dahintersteckt? Ich beobachte mal weiter.

Plötzlich schrillt ein Alarm. Wieder der Automat. Eine Durchsage ertönt: »Bitte ein Mitarbeiter zum Pfandautomaten!«

Nach gefühlten fünf Minuten taucht der Supermarktmitarbeiter wieder aus seiner Höhle auf. Beim Blick auf das Kleingeschriebene zieht er die Stirn in Falten.

»Moment, ich muss den Schlüssel holen«, sagt er und schleicht davon.

 

20.15 Uhr (geschätzt)

Um diese Zeit würde „Wetten, dass..?“ losgehen, wenn es das noch gäbe. Wäre doch eine prima Saalwette. Geben Sie 1000 Pfandflaschen in unter einer Stunde an einem Pfandautomaten zurück.

Der Pfandflaschenrückgabeautomatenbeauftragte des Supermarktes ist zurück und legt eine neue Papierrolle in den Bon-Drucker des Automaten ein. Es kann weitergehen.

 

20.30 Uhr (geschätzt)

Spätestens jetzt müssten die Beiden vor mir doch einen Strafzettel bekommen. Der Supermarkt hat so einen Abzockerparkplatz, wo man nur eine Stunde stehen bleiben darf. Und danach muss man zwanzig Euro Vertragsstrafe bezahlen. Aber die können bestimmt einfach einen ihrer Bons einreichen und bekommen wohlmöglich noch Rückgeld. 

 

20.40 Uhr (geschätzt)

Langsam wird mir kalt. Sind das Zugvögel am Himmel? Müssten die nicht in die andere Richtung fliegen? Hängen bald Eiszapfen von meinem Oberlippenbart herunter?

Eigentlich könnte der Supermarkt hier doch mal einen Heizpilz aufstellen, Tee, Decken und Glühwein verteilen. Oder das Rote Kreuz bestellen. Im Stau auf der Autobahn wird man doch auch versorgt.

Langweilig wird mir. Ich rolle den Einkaufszettel zwischen meinen Fingern zusammen, als ob ich eine Zigarette drehe. Die stecke ich mir in den Mund, klemme sie erst hinters Ohr, dann zwischen Oberlippe und Nase. Aber mein Schnurrbart wirkt wie ein Trampolin und katapultiert die kleine Papierrolle nach vorne.

 

20.45 Uhr (geschätzt)

Irgendwo vor meinen Füßen oder im Einkaufskorb muss das Röllchen doch gelandet sein. Ich krame im Korb herum, finde es aber nicht. Es ist bestimmt nach ganz unten gerutscht.

Sobald ich alle Flaschen eingeworfen habe, taucht der Einkaufszettel wieder auf, sage ich mir. Muss er ja.

 

20.55 Uhr (grob geschätzt)

Der Parkplatz ist fast leer, jemand fegt vor dem Eingang, endlich bin ich dran. 

Während ich meine Flaschen in die Öffnung einlege frage ich mich, ob meine Frau und meine Töchter mich noch wiedererkennen werden, wenn ich zurück nach Hause komme.

Zwischendurch schiebe ich die beiden Getränkekisten in die untere Öffnung hinein. Dann die letzte Flasche. Der Automat stockt kurz. Ausgerechnet diese Flasche dreht er fünfmal im Kreis herum, um sie scannen zu können. Was will denn der Automat, eigentlich? Ich habe doch alle Flaschen feinsäuberlich entleert. 

Na ja, Zeit, um nach dem Einkaufszettel zu suchen. Ein Blick in den Korb – leer. Mist.

Die letzte Flasche kommt aus dem Automaten zurück. Jetzt bin ich leicht genervt. Ich greife sie am Hals – wer hat denn hier vergessen, den Schraubverschluss aufzusetzen? Dann schubse ich sie wieder in die Öffnung hinein. Der Automat akzeptiert sie. Ich triumphiere! Doch das nur kurz.

 

Durch den offenen Hals der letzten Flasche erkenne ich das Einkaufzettelröllchen in ihrem Bauch.

 

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