Von Helga Rougui

– Martin, guck dir mal das Schneegestöber an. Der Schnee liegt jetzt bestimmt schon zehn Zentimeter hoch. Und lass die Minifrikadellen in Ruhe und die Lachsbrötchen auch, sonst stehen die Gäste vor einem leergefressenen Buffet.

Ich steckte mir schnell noch eine Frikko in den Mund, kaute, schluckte und antwortete:

– Also das Buffet ist perfekt. Aber ob der Mann von der flaschenpost durchkommt …

– Das könnte echt ein Problem werden … warum mußtest du denn auch erst heute kurz vor der Party bestellen??

– Wer konnte denn ahnen, daß das Wetter so umschlägt?

– Ach Martin, in dieser Jahreszeit muß man doch mit allem rechnen. Du mit deiner Trägheit, immer alles auf die letzte Minute …

 

Ich klappte die Ohren zu. Jetzt würde ein endloser Vortrag über meine Fehler und Nachlässigkeiten folgen, dessen verschiedene Varianten betreffend meinen Geisteszustand, meine Körperlichkeit, meinen Arbeitseinsatz etc. ich schon fast auswendig herbeten konnte. Und wie ich dieses herablassende „Ach Martin“ haßte! Ich schaute sehnsüchtig zum Buffet und versuchte die Krabbenhäppchen zu hypnotisieren, vielleicht käme ja eins herübergeflog-

– MARTIN! Hörst du mir überhaupt zu?? Vergiß die Häppchen! Du bist eh fett genug.

Ich richtete mich gerade auf und versuchte den Bauch einzuziehen. In diesem Moment klingelte es – zu meinem Glück – und zur Verzweiflung meiner Gattin, was mich insgeheim ein wenig freute. Kein hochpreisiger Champagner zur Begrüßung diesmal … das alberne Prickelzeug konnte mir sowieso gestohlen bleiben. Mir war ein anständiges Bier lieber. aber auch das war ja noch mit der flaschenpost unterwegs. Ich seufzte.

Ella und Ronald betraten unser Wohnzimmer.

– Hallo Martin, schön, dich so gesund und kugelrund zu sehen.

Haha. Sehr witzig, Ronald. Ich überging die Bemerkung und erwiderte:

– Nett, daß ihr da seid. Leider sind es die Getränke nicht.

-Was soll das heißen? Versteh ich nicht.

– Was gibts da zu verstehen … bei dem Schnee kommt der Mann von der flaschenpost nicht durch, so scheints zumindest.

– Ach, ihr bestellt eure Getränke bei denen? Also wir beziehen unseren Wein von einem kleinen Weingut in der Toskana, sehr exklusiv, kennt kein Mensch …

Ja, ja, der gute Ronald. Hatte jeder Oberstudienrat denn seinen ganz privaten Weinlieferanten? Die Kollegen von Anita gingen mir manchmal ganz schön auf den Zeiger, um es mal vornehm auszudrücken. Meine Kumpel im Werk hatten gegen ein gutes Pils nichts einzuwenden, auch wenn nicht jeder jedes Bier gleich gern mochte. Ich bekam allmählich wirklich Durst.

 

Das Wohnzimmer füllte sich nach und nach, und zwar mit den Kollegen und Kolleginnen von Anita.

Paul, mein bester Freund und Kumpel auf der Arbeit, feixte:

– Wir können hier bald ne Lehrerkonferenz veranstalten, wa?

Ich nickte zustimmend und fragte:

– Haste Erich nicht mitgebracht?

– Nee, der kann heut nicht, seine Schwiegermutter hat Geburtstag.

– Ach Mann, da gibts statt Skat mal wieder Schwarzer Peter, oder was?

Wir pflegten uns nämlich, wenn die Sause der Pädagogen in vollem Gange war, in den Wintergarten zurückzuziehen und dort Karten zu spielen.

– Wo bleibt das Bier? fragte Paul.

– Ähm also  –

In dem Moment klingelte es lang anhaltend an der Haustür.

Na wunderbar, jetzt bekam jeder doch noch sein Glas Taittinger, und Bordeaux und Riesling hatte der Flaschenbote auch dabei und selbstverständlich drei Kästen gutgekühltes KöPi.

Mit reichlich Trinkgeld versehen zog er ab, der Bote, hinaus in den Schnee zum nächsten Kunden, und Paul und ich schnappten uns jeder eine Flasche Pils und verzogen uns nach nebenan.

– Na denn Prost, Alter.

Paul setzte die Flasche an und tat einen kräftigen Zug, und ich tat es ihm gleich, aber ich saugte nur leere Luft.

Was, zum Teufel…? Deshalb war die Flasche so leicht gewesen.

Immerhin hatte ich etwas Richtung Flaschenhals bewegt, das nach einem vergilbten Papierfetzen aussah. Ich klappte mein Taschenmesser auf und puhlte das Blatt heraus. Als ich es entfaltete, stieg ein feiner Nebel empor und verdichtete sich zu einer zartrosa schimmernden Kugel, an der sich erst zwei Ärmchen, dann zwei Beinchen und schließlich ein Köpfchen ausbildeten, auf dem sich alsbald blonde Locken türmten, und ein rotgemaltes Mündchen sprach zu mir:

– Ich bin dein persönlicher Wunschgeist – du hast drei Wünsche frei … überlege gut.

Paul und ich glotzten das kleine Wunder an, und mir entfuhr unwillkürlich:

– Oh Mann, ich wünschte, Erich könnte das sehen.

Gleich darauf schlug ich mir die Hand vor den Mund – aber es war zu spät. Erich stand vor uns, unbekleidet, in voller Mannespracht und mit einem Kondom in der Hand. Gleichzeitig hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde, und die Stimme von Anita erklang:

– Martin, bist du da drin?

Ich stieß hervor: – Mensch Erich, verschwinde! 

– und plopp, war er wieder weg.

 Die rosa Kugelfrau sang:

– Das waren Wunsch 1 und Wunsch 2 – es bleibt dir noch ein Wunsch – überlege gut. 

Ich beschloß, erst mal den Mund zu halten und gründlich nachzudenken.

Und natürlich quatschte Anita dazwischen:

– Was treibt ihr denn hier? Und – was ist das denn für ein süßes Püppchen – das kann ja fliegen …

Und ich:

– Meine Güte, kannst du nicht endlich mal den Mund halten – am besten für immer? 

– Das war der 3. Wunsch, adieu! und das rosa Gebilde machte plopp und verschwand.

Während Paul unkontrolliert zu lachen begann, machte Anita den Mund auf und zu wie ein Karpfen auf dem Trockenen, aber es kam kein Ton heraus.

Wie es mein 3. Wunsch gewünscht hatte, hielt sie den Mund, und das für den Rest ihres Lebens.

Eigentlich, dachte ich, war das ganze Wunschding doch optimal gelaufen …