Von Sabine Rickert

„Das ist die romantischste Stelle, die ich kenne!“

Meine Tochter stimmte mir zu.

Wir saßen am Canal du midi in Toulouse und tranken frisch gepressten Orangensaft.

Der Kanal, begleitet durch eine märchenhafte Vegetation, die Getränke-, und Obstständchen entlang des Fußweges: Die Landschaft hatte den typisch französischen Flair.

„Ich würde gerne eine Flaschenpost mit unseren Urlaubserinnerungen hinein werfen“, sagte ich.

Ich hatte den Wunsch, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, um der ganzen Welt zu zeigen, wie besonders der Urlaub für mich war.

„Nein, Mama! Du hast mir eben erzählt, dass es ein UNESCO-Weltkulturerbe ist, das verschmutzt man nicht mit einer Flasche.“

„Das stimmt, das werde ich anders lösen.“

Ich überlegte kurz.

„Zuerst werde ich einen französischen Wein trinken. Dann schreibe ich von dem Canal du midi, der hier surreal in einer Kanalbrücke über die Autobahn fließt. Weiterhin von den Zirkusvorstellungen auf der EJC. Von der Festung La Citè von Carcassonne, dessen Anblick mich, von einem Aussichtspunkt aus, völlig überrascht und fasziniert hat. Außerdem erwähnenswert das Raumfahrtmuseum Cité de l´Espace.

Ha, ich war schon in der MIR. Zwar nur in 3 Meter Höhe aufgebockt, aber es war trotzdem aufregend.

Diese handgeschriebenen Erinnerungen stecke ich in die Weinflasche. Papa wird mir beim Austrinken gern behilflich sein, du bist ja zu jung.“

Wir amüsierten uns köstlich.

 

Sommer 2013

Mein Sohn eröffnete mir beim Mittagessen, dass er in den Ferien eine Woche nach Toulouse zur EJC fahren möchte.

„Was ist eine EJC?“, fragte ich ihn verblüfft.

„Das ist die European Juggling Convention. Dort treffen sich Artisten aus ganz Europa, sie ist jedes Jahr in einem anderen Land.“ Er erklärte es genervt.

„Sorry, dass ich das nicht auf dem Schirm habe“, sagte ich schnippisch.

Er hatte vor, eine Woche zu zelten, am Ende von Frankreich.  Ich sah Gefahr in Verzug, und zwar durch Alkoholgelage und Drogenexzess. Sozusagen Woodstock in Toulouse. Dazwischen mein jonglierender Sohn mit seinen Diabolos und Keulen in über tausend Kilometer Entfernung. Nichts für Mutters Nerven.

Ich fragte ihn: „Weißt du schon, wo die EJC im nächsten Jahr stattfindet?“ Die Hoffnung stirbt zuletzt.

„Irland!“

„Nicht hilfreich“, sagte ich enttäuscht.

Er liebte sein Hobby und übte täglich, das war eine Chance für ihn sich mit Gleichgesinnten zu treffen.

Ich sagte nur: „Nicht alleine!“

„Boah Mama, warum nicht, ich bin schon fast siebzehn Jahre alt?“

Mein Mann und ich fanden so eine EJC für die ganze Familie hochinteressant. Somit planten wir, unseren Sommerurlaub in Toulouse zu verbringen. Wir eröffneten dem Sohn, dass er zur EJC fahren würde, und zwar mit Papa, Mama und der kleinen Schwester.

„Och nö, was wollt ihr denn alle da?“

„Mitfeiern, ich war zu jung für Woodstock, das hol ich in Toulouse nach.“

Er verdrehte die Augen.

Unsere Tochter hatte ebenfalls keine Wahl, aber sie nahm es gelassen. Ihr standen ja vier Zirkusvorstellungen bevor, wann hat man das schon in der Intensität.

Mann und Sohn planten, eine Woche auf der Convention zu zelten. Derweil wäre ich mit unserer Tochter in einer Ferienwohnung nicht weit von der Innenstadt. Zu viert werden wir uns die Shows auf der EJC anschauen. In der zweiten Woche erkunden wir dann zusammen die Umgebung und Sehenswürdigkeiten.

Wir sprechen und verstehen alle vier kein Französisch, wohl aber Englisch.

Ich erinnerte mich an einen alten Witz.

Zwei amerikanische Pärchen am Fahrkartenschalter auf dem Bahnhof in Paris.

Erstes Pärchen: „Two to Toulouse!“

Zweites Pärchen: „Two to Toulouse too!“

Beamter: „Täterätätä!“

 

Toulouse war nicht unbedingt ein Ferienziel, das merkte ich beim Buchen einer Ferienwohnung. Das Angebot war begrenzt und nicht reizvoll.

Außerdem stellte ich fest, dass die Strecke nach Toulouse zu weit für eine Tagesanreise war.

Wir brauchten dringend einen Zwischenstopp.

Ich fand eine Jugendherberge, >Auberge de Jeunesse d`Orleans<. Hörte sich vornehm an. Es war ein Fußballstadion mit Unterkünften.

Am Freitag, den 26.07.2013 um 6.15 Uhr fuhren wir nach Orleans. Ich hatte Schnappatmung vor Aufregung.

Mittags hatten wir 36 Grad Celsius. Unser alter Passat Kombi war frisch aus der Inspektion und vollgepackt. Bis Paris war die Fahrt entspannt. Aber ab der Hauptstadt standen wir im Stau. Das hieß im Schritttempo an der Riesenstadt vorbei. „Wenn wir da jetzt falsch abbiegen, und im Zentrum landen, finden wir erst nach dem Urlaub wieder heraus“, sinnierte ich. Hinter Paris atmeten wir auf.

Eine halbe Stunde später, schreckte uns ein lautes Geräusch aus unserer Entspannung.

Wir hielten an. Mein Mann legte sich unter den Wagen und bemerkte:

„Der Auspuff ist ab, aber nur auseinandergegangen. Den lassen wir erst zu Hause reparieren.“

Supi, vierzehn Tage dröhnender Sound. Wer hat sich nochmal die Reise ausgedacht?

Nach zehn Stunden Fahrt kamen wir in Orleans an und fanden nur mit Hilfe von netten Anwohnern den Eingang der Herberge.

Die Franzosen sprechen freiwillig Englisch. Ich war angenehm überrascht.

Die erste Jugendherberge, in der ich übernachtete. Das Zimmer war extrem klein. Zwei Etagenbetten, ein kleines Fensterchen. Es kühlte sich nicht ab.

Mein Sohn hatte sich schon auf dem Parkplatz einer Gruppe junger Männer, die Junggesellenabschied feierten, angeschlossen. Er half, kalte Getränke und Lebensmittel nach oben zu tragen, und sie ließen ihn mitfeiern. Ich beneidete meinen Spross, und das ohne ein Wort französisch. Chapeau!

Um 21 Uhr lag ich völlig fertig, mit einem feuchten Waschlappen auf der Stirn, im Bett und versuchte zu schlafen.

Gegen 22 Uhr riss uns ein Geräusch aus dem Halbschlaf, einige Personen enterten das Zimmer durch unser Bad und mein Mann rief drohend: „Hier ist besetzt!“

Die Piraten antworteten auf niederländisch. Sie probierten die zweite Tür des Bades aus, unsere Zimmertür. Wir hatten uns schon über die vielen Türen gewundert. Jetzt verstanden wir es alle. Das Bad war für zwei Zimmer angedacht!

Am Nachmittag des Folgetages trafen wir ohne Probleme in Toulouse ein.

Es war extrem heiß, 39 Grad, dazu der Wind, der von den Pyrenäen kam. Der blies uns wie ein warmer Föhn um den Kopf.

Der Vermieter brachte uns zur Ferienwohnung.

Die lag in einem Wohnhaus und bestand aus einem Raum mit einem Doppelbett, zwei Einzelbetten, Esstisch und einer winzigen Küchenzeile. Dieses Mal war meine zwölfjährige Tochter >not amused<.

Es war wie campen, ohne Vorzelt, mit eigenem Bad und Garten. Privatsphäre gleich null, die Terrassentür war das einzige Fenster und blieb nachts auf.

Am nächsten Tag fuhren wir zur Zirkusschule, auf dessen Gelände die EJC stattfand. Wir kamen zum Passat und stellten fest, dass unsere ganze Beifahrerseite zerkratzt und zerbeult war. Ich verfluchte mal wieder die Reise. Jetzt hatten wir ein Auto mit Sound im Französisch-Style.

Mein Mann quälte sich durch die Toulouser Einbahnstraßen, bis zum Gelände der Zirkusschule.

Dort tauchten wir in die bunte Welt der Artisten ein.

Ich sah die drei großen Zirkuszelte. Ein Künstler, komplett von Kopf bis Fuß in schwarz-weiße Karos gekleidet, mit Hut und Schirm im gleichen Muster, lief über den Platz.

Es war faszinierend, an jeder Ecke wurde etwas vorgeführt. Jonglagen, Slackline-Künstler, Einradfahrer, Akrobaten. Zwei Turnhallen dienten den Teilnehmern zum Üben. Polizisten ritten über den großen Platz, dessen Boden schon durch die Hitze aufgeplatzt war.

Außenduschen luden zum Abkühlen ein, mit und ohne Kleidung wurden sie ständig genutzt.

Mittendrin saß ein hagerer, lächelnder Mann mit freiem Oberkörper auf einer Decke im Schneidersitz und strickte Mützen, eine Demoversion trug er auf seinem Kopf.

Die Zirkuswelt schlief nie!

Kam ich morgens zur EJC, wurde in den Turnhallen geübt und der hagere Mann saß draußen auf seiner Decke und strickte.

Das Gleiche mittags, nur die Temperatur war höher.

Am Abend wurde ebenfalls gestrickt und geübt, nur mit Leuchtflaschen in den Bäumen. Es sei denn, es gab eine Vorstellung.

Dann liefen alle Teilnehmer zu dem entsprechenden Zelt.

Vor dem Einlass, in der wartenden Schlange, stimmte ein Besucher die ersten Zeilen eines Hits an: „Is this the real life? Is this just fantasy?…“

Sofort stimmten nach und nach alle ein und sangen Bohemian Rhapsody im Chor.

Alle Nationen hatten etwas gemeinsam, sie kannten diesen Song von Queen.

Ich hatte Gänsehaut!

Mein Sohn war meistens reichlich verpeilt. Zu viele Eindrücke. Mutter war nicht erwünscht, Papa nur als Verpflegungsstelle geduldet. Er reagierte nicht auf unsere SMS, wenn wir ihn suchten. Es war ein Geduldsspiel. Der Gatte fand das Zelten ätzend, denn die Musik im Partyzelt spielte bis morgens um fünf. Ab und an zum Duschen und Durchschlafen kam er lieber in die Ferienwohnung und ließ den Sohnemann unabhängiger werden. Ich war froh, denn an diesen Tagen schlief ich nachts durch und brauchte keine Tiere vertreiben, die durch die offene Terrassentür kamen, um unsere Mülltüten zu inspizieren.

Diese verantwortungsvolle Aufgabe überließ ich dem Gatten.

Am Ende der Woche sahen wir die Abschlussgala mit vielen ausgefallenen Auftritten, und mein Sohn begleitete die traditionelle Abschlussparade am letzten Tag. Die Artisten liefen zur Innenstadt, zum Place de Capitol. Dort angekommen, jonglierten alle Teilnehmer, auf Kommando gleichzeitig mit kleinen bunten Bällen. Es war ein unvergleichliches Abschlussbild.

Wir gönnten uns im Anschluss dieses teure handgefertigte Lieblingsgebäck meiner Tochter, eine Runde Macarons in sämtlichen Farben.

Die Flaschenpost nahmen wir nicht mit nach Hause, sondern sie wurde von mir und meiner Tochter, an unserem Lieblingsplatz, dem Canal de midi, in den Baum gehängt. Es war eine Leuchtflasche von der EJC, bestückt mit einem kleinen Zettel auf dem stand:

             Danke Toulouse für deine Gastfreundschaft

                        We were happy to be here.

          Nous remercions toulouse pour le super EJC 2013

                               

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