Von Martina Zimmermann                                                                                                            

                                                                                                             

Es war der perfekte Tag. Die Sonne schien, der Himmel war wolkenlos, klar und  schön. Mit einem Lächeln im Gesicht saß ich auf der Bettkante und konnte es nicht fassen. Heute sollte der Tag sein, an dem sich mein ganzes Leben veränderte. Nichts würde mehr so sein, wie es einmal war, aber es würde großartig werden.

Ein „Piep“ riss mich aus meinen Gedanken. Eine Nachricht: „Ich liebe dich und ich kann es kaum erwarten.“ Gerührt tupfte ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel und schrieb zurück: „Bis später, ich liebe Dich.“
Mit Schwung sprang ich aus dem Bett und öffnete das Fenster. Die laue Sommerluft beflügelte mich. Das Wetter war genau so, wie ich es mir für diesen Tag erhofft hatte. Mein Tag. Der Tag der Tage.
Verträumt stand ich am Fenster. Ich erinnerte mich …

Wie jeden Morgen betrat ich die große Eingangshalle unserer Firma. In Gedanken versunken, drückte ich den Knopf des Aufzugs. Dieser kam offensichtlich aus der Tiefgarage. Als er hielt und sich die Türe öffnete, betrat ich die Kabine, ohne groß aufzuschauen, und drückte die Taste für die achte Etage. Dort befand sich mein Büro. Anschließend sah ich den Mann, der mit mir fuhr, das erste Mal genauer an. Groß, sportlich, braunes, leicht gewelltes Haar, sehr gepflegt und sympathisch. Er lächelte mir zu und ich lächelte leicht zurück. Stumm standen wir nebeneinander und warteten darauf, dass er in seiner Etage eintraf und sich die Tür öffnete. Plötzlich gab es einen Ruck und der Lift blieb stehen.
In der ersten Minute stand ich wie gelähmt dort. Unfähig, irgendetwas zu tun, sah ich zu, wie der Mann den Notknopf betätigte.
„Wir stecken scheinbar fest“, sagte er in einem gelassenen Tonfall, der, wie ich fand, in dieser Situation nicht angebracht war. Ich verkrampfte mich, wollte ihm antworten, aber meine Stimme versagte. Mein Mund war trocken und ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe, hatte ich doch sofort die Horrorszenarien im Kopf von Filmen, in denen so ein Steckenbleiben nie gut ausgegangen war.

„Wir werden sicher gleich befreit“, erklärte der Mann und nickte mir aufmunternd zu.
„Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin ja bei Ihnen.“ Er grinste mich an. Trotz unserer misslichen Lage fiel mir auf, dass das dunkle Braun seiner Augen heller leuchtete, als er mich anlächelte. Ich hätte darin versinken mögen und konnte mich nur mit Mühe dem Bann entziehen. Verlegen betätigte ich nun meinerseits den Notknopf, doch niemand schien davon Notiz zu nehmen. Wieder fühlte ich Panik aufsteigen, mir wurde heiß, mein Atem ging flach und hektisch.
„Arbeiten Sie hier in der Firma?“, fragte er.
„Ja“, japste ich.
„Schon lange?“
Offensichtlich wollte er mich ablenken.
„Seit einigen Jahren“, antwortete ich.
 „Bleibt der Lift öfter mal stecken?“
„Nein, noch nie.“
„Wer ist denn für so einen Vorfall zuständig? Es muss doch einen Hausmeister geben, oder eine Person, bei der der Alarm ankommt?“
„Den gibt es auch“, bestätigte ich. Dabei wurde mir ganz flau im Magen, denn mir fiel mir ein, dass Harry, unser Hausmeister, in dieser Woche krank war. Da ich die Krankmeldungen bearbeite, hatte ich Informationen über alle, die fehlten.
Ich, spürte eine Ohnmacht in mir aufsteigen. Doch bevor ich umfallen konnte, fing mich der Mann auf. Er hatte sofort die Lage erfasst. Während er mich festhielt, bemerkte ich, wie stark seine Arme waren und dass ich mich in ihnen sicher fühlen konnte. Behutsam half er mir, mich auf den Boden zu setzen, und setzte sich neben mich.
„Wenn wir hier schon gemeinsam Zeit verbringen, dann könnten wir uns auch vorstellen“, schlug er vor. „Ich heiße Björn von der Heide.“
„Mein Name ist Natalie Kaiser.“
„Angenehm“, lachte er. Ich lachte mit.
Björn schaffte es tatsächlich, Heiterkeit in diese Situation zu bringen. Seiner ruhigen Stimme hätte ich stundenlang zuhören können. Wir redeten und wurden uns von Minute zu Minute sympathischer. Ich vergaß meine Panik und schon nach kurzer Zeit ertappte ich mich bei dem Wunsch, noch länger an seiner Seite zu sein, ihn anzusehen und ihm zuhören. Ihm schien es genauso zu gehen. Die Art, wie er mich ansah … und nach einer Weile meine Hand nahm … ich fühlte mich bei ihm so sicher, wie noch nie im Leben.
Als wir nach einer Stunde aus dem Aufzug befreit wurden, gingen wir Hand in Hand hinaus und Björn war von diesem Moment an stets an meiner Seite.

Ich atmete immer noch die laue Sommerluft am Fenster, als ich gedanklich zurück in das Hier und Jetzt kam. „Oh je, ich muss mich beeilen.“
Schnell rannte ich ins Bad, um zu duschen und mich fertig zu machen. Es sollte eine kleine standesamtliche Trauung werden. Danach würde es in die Flitterwochen gehen und dann würde ich zu Björn in die Villa ziehen. Zugegeben, wir kannten uns erst seit ein paar Monaten, aber ich war mir sicher, Björn ist der Mann meines Lebens und das Schicksal hat uns zueinander geführt.
Mit ein paar gekonnten Handgriffen steckte ich meine Haare hoch. Mein Make-up war schlicht, genau wie das Kleid, welches als weißes Sommerkleid durchgegangen wäre. Björn wollte kein großes Aufsehen. Er stand eh ständig im Vordergrund und er betonte, dass es in seinem Leben immer genug Aufregung gäbe. Da wäre etwas Intimes schöner. Anschließend würde es noch einen kleinen Sektempfang geben und dann würden wir zusammen in den Flieger steigen und unsere Flitterwochen genießen. Ich konnte nicht mehr aufhören zu lächeln. Was war ich für ein Glückspilz!
Als ich fertig war, packte ich mein Täschchen, nahm den kleinen Brautstrauß und verließ mein Appartement. Ich betrat den Aufzug und drückte den Knopf, um hinunter zu fahren.
Die Türen schlossen sich und der Aufzug setzte sich in Gang, als es einen Ruck gab.
„Das kann doch jetzt nicht wahr sein!“, schrie ich hysterisch.
Ich drückte sofort den Alarm und bollerte mit beiden Fäusten an die Wand des Aufzugs.
„Hilfe, Hilfe, ich stecke hier fest!“, schrie ich, so laut ich konnte.
Dann horchte ich, aber nichts passierte.
„Hilfe, Hilfe, ich bin hier! Ich muss hier raus, ich möchte heiraten!“
Abermals drückte ich den Alarm, aber es geschah nichts.
„Mein Handy“, rief ich und kramte es aus meiner Tasche, aber es hatte keinen Empfang. Enttäuscht warf ich es auf den Boden der Kabine, wo es auseinander flog.
„Das darf doch alles nicht wahr sein!“
Ich rief abermals um Hilfe und klopfte weiter an die Wand, aber niemand schien mich zu hören.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich auf dem Boden des Aufzugs saß, verheult und die Haare zerzaust, verzweifelt und fertig, als ich einen Ruck verspürte. Der Aufzug setzte seine Fahrt nach unten fort und als sich endlich die Tür öffnete, sah ich den Hausmeister vor mir. Weinend fiel ich ihm in den Arm.
„Ich wollte heute heiraten“, rief ich mit tränenerstickter Stimme und weinte immer noch mehr. Der Hausmeister schien zu begreifen und sagte: „Sie machen sich schnell wieder frisch und ich begleite Sie zum Standesamt. Wir fahren zügig dorthin und wenn Ihrem zukünftigen Mann etwas an Ihnen gelegen ist, dann wartet er dort sehnsüchtig auf Sie.“
Ein Blick auf seine Uhr zeigte mir, dass ich seit einer Stunde dort festgesessen hatte.
„Ich sehe doch so schrecklich aus“, schluchzte ich.
„Ach was, beeilen Sie sich, Sie sind so schön, das wird schon.“
Er klopfte mir etwas unbeholfen auf die Schulter, aber er bestärkte mich. Ich frischte mich, so schnell es ging, auf und fuhr mit dem Hausmeister an meiner Seite zum Standesamt.
Die Aufregung stieg wieder und die Vorfreude kam zurück. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf: „Was hat Björn gedacht? Er hat sich bestimmt Sorgen gemacht. Oh mein Gott, mein geliebter Björn. Wie hat er leiden müssen, während er dort auf mich wartete, so in völliger Ungewissheit. Und ich habe nur an mich gedacht.“
Der Hausmeister fuhr so schnell er konnte und als wir in die Straße bogen, in der sich das Standesamt befand, traute ich meinen Augen nicht.
Kein Mensch stand dort. Es wartete keiner, nicht einmal mein geliebter Björn.
„Die warten bestimmt drinnen“, meinte der Hausmeister. Ich nickte und dann ließ er mich aussteigen, damit ich ins Standesamt laufen konnte.
Atemlos erreichte ich die Eingangshalle, als ich realisierte, dass ich hier alleine war. Ich lief weiter und schaute in den Trausaal, auch dort war niemand. In dem Raum gegenüber standen noch die Kartons mit dem Sekt, der eigentlich nach der Trauung ausgeschenkt werden sollte. Sie waren unberührt.
Plötzlich öffnete sich eine Tür. Meine Freundin Anna betrat den Flur und schien sehr erleichtert, als sie mich sah. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Was war denn los? Wo warst du?“, fragte sie.
„Ich bin im Aufzug stecken geblieben“, schluchzte ich jetzt erneut. „Wo sind denn alle? Wo ist mein geliebter Björn?“
Anna sah mich ernst an. „Ich muss dir etwas sagen“, begann sie zaghaft zu erzählen. „Als du nicht erschienen bist, da dachte er, du hättest kalte Füße bekommen. Ohne großes Aufheben hat er, schon nach einer halben Stunde Warten, eine Freundin aus seiner Handyliste angerufen und sie auf einen Urlaub eingeladen. Danach hat er sich verabschiedet und gemeint, wir sollten dich grüßen und er wünsche dir noch ein schönes Leben.“
Ich konnte es nicht glauben.
„Heute Morgen hat er mir noch geschrieben, dass er mich liebt“, sagte ich fassungslos. „Wie konnte ich mich so getäuscht haben? Was mache ich denn jetzt?“ Tränen rannen über meine Wangen. Verzweiflung stieg in mir hoch. Oder war die Kränkung schlimmer, die ich erfahren hatte? Ich wusste es nicht.
„Sei froh, wer weiß, was dir erspart geblieben ist“, meinte Anna.
Ich nickte, tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf.
„Wenn das so ist, dann weiß ich, dieser Scheißkerl hat mich nie geliebt, der liebt nur sich selber. Und weißt du was? Wir nehmen den Sekt mit und trinken auf den Schock und auf meine neu gewonnene Freiheit!“
„Das hört sich gut an“, lächelte Anna. Dann verließen wir das Standesamt, jede mit einem Karton Sekt im Arm.

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