Von Florian Erhardt

„Am Wochenende hol‘ ich alles wieder rein!“

„Was für alles? Hast du jetzt nen Nebenjob als Stricher, Paddy? Oder was musste denn reinholen?“

„Ach was, Lars, hab nur die letzten Wochen bissle Geld verzockt. Sportwetten und sowas.“

„Wie viel?“

„Poah, vielleicht so 250 €“, lüge ich.

Lars nimmt genüsslich einen Schluck von seinem Bier und meint: „Alles unter ‘nem Taui ist vertretbar, Paddy. Der Spaß sei dir gegönnt!“

Lars‘ Freundin Mia zieht die Augenbrauen hoch. „Mensch! Seit Monaten sagen wir dir, du sollst dir einen Job suchen und stattdessen versuchst du mit Sportwetten reich zu werden? Das ist kein Nebenjob, sondern einfach nur Blödheit!“

Ich beschließe, ihre Aussage zu ignorieren und nuschle stattdessen meinem Freund zu: „Stimmt…der Spaß steht im Vordergrund!“ Glaube ich mir das eigentlich selber? „…und außerdem hol ich ja alles wieder rein“, füge ich unsicher an.

„Was hast ‘n gesetzt?“

„Nur n Fuffi“, flunkere ich.

„Kombiwette?“

Mia rutscht unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her.

„Klaro!“, grinse ich.

„Und was haste drin?“, fragt Lars.

„Also am Freitag besiegt Gladbach die Wölfe mit mindestens zwei Toren. Und der HSV scheißt mal wieder in Kiel rein, glaube ich.“

Lars pfeift anerkennend durch die Zähne. „Gesamtquote?“

„Glatte 8.“

„Nice, was machst du von dem Geld?“

Reinvestieren. 400 reichen niemals, um meine Probleme zu lösen.
„Hab dir doch gesagt, dass ich n neues Handy brauche.“ Das ist nicht mal gelogen, aber meine Schulden bei Giovanni Giorgio sind wahrscheinlich trotzdem wichtiger. Wie schafft es ein Mann mit so einem lächerlichen Namen, so furchteinflößend zu sein? Vielleicht liegt das aber auch an seinem glatzköpfigen Handlanger und dem Rottweiler.

„…dich gefragt, ob du schon weißt, welches du dir holst!“ Lars‘ Stimme kommt von weit weg.

„Ich…ähm…neues Samsung“, stottere ich.

„Gibt’s das schon für 400 Tacken?“

Ich finde zurück in die Spur: „Klar, Congstar-Vertrag gönnt.“

Lars lacht.

Mia zieht die Augenbrauen hoch: „Was machst du, wenn dich dein Wunderwettschein keine 400 Euro reicher macht?“

Das entscheidet Giovanni.
Ich winke ab. „Nächstes Gehalt regelt.“

„Bro, deine Eltern zahlen dein Gehalt“, lacht Lars und deutet mit den Fingern Anführungszeichen an. „So wohnst du mit 40 immer noch bei deiner Mutter…und findest nie ‘ne Freundin!“

Das ist mein geringstes Problem, wenn Giovanni mit mir fertig ist.
Trotzdem, einen wunden Punkt hat er getroffen. „Single sein ist eh viel schöner“, brummele ich in meinen Bart.

Mia zieht Lars zu sich und drückt ihm einen fetten Kuss auf den Mund. Eine Strähne ihrer braunen Locken fällt auf seine kahle Stirn, während seine Ohren immer roter werden.

Besorg es ihm doch gleich, du Schlampe, brüllt die Eifersucht in meinem Kopf, aber eigentlich kann ich Mia doch ganz gut leiden, oder? Ich ertränke die wütenden Meinungen in meinem Kopf, indem ich das Bier vor mir exe. „Ich glaub, ich geh heim“, sage ich halblaut und mehr zu mir selbst als zu den beiden.

„Ey Paddy, so war das doch nicht gemeint!“, ruft Lars, der sich nur schwer von Mia lösen kann.

„Is eh schon spät“, sage ich mit vager Handbewegung zur Wanduhr, die erst 21:34 Uhr anzeigt.

„Mach’s gut, du Wettkönig!“, kichert mir Mia mit blitzenden Augen entgegen und wieder weiß ich nicht, ob ich die Freundin meines besten Freundes lieber vögeln oder aus dem Fenster werfen würde.

Ich drehe mich wortlos um und gehe. Scheiß glückliche Paare.

 

„Jetzt Cashout!“, brüllt Lars verzückt.

„Spinnst du?“, brülle ich zurück, „die wuppen das Ding noch!“

„Jetzt schau halt nach!“

Seufzend öffne ich die Wettanbieter-App. „Siehst du: Momentan würden die nur 937,82 € auszahlen. Bei Abpfiff sind’s dann aber glatte 2.000!“

„Scheiß Halsabschneider. Aber hey, 937,82? Dafür kannst du dir das scheiß Handy auch ohne Vertrag leisten!“

„Ist aber trotzdem nur die halbe Miete! Und dass Heidenheim ‘nen Punkt in München holt, hast du mir eh nicht geglaubt! Reinvestieren ist King!“

„Dieses 2-2 ist mehr Glück als Verstand! Als ob sich die Bayern noch länger von diesem Dorfklub auf der Nase rumtanzen lassen! Mach Cashout du Birne!“

Ich starre auf den Fernseher. Wenn das Unentschieden nochmal 20 Minuten hält, bin ich dank meiner waghalsigen Wette 2.000 € reicher und meine Probleme mit Giovanni sind weg. Aber Lars hat Recht: Bayern drückt. Mein Finger schwebt über dem Cashout-Button.

„Mach!“

Fast 1.000 €. Das wäre schon die halbe Miete. Morgen ‘ne stabile 2er-Quote in der Premier League finden…
„Ich mach’s!“ murmele ich. Tippe auf den Button.

Cashout nicht möglich! leuchtet auf.

Ich richte meine schreckgeweiteten Augen auf den TV und sehe, warum: Die Bayern prügeln das 3-2 in die Maschen.

„Fuck!“, entfährt es Lars.

Ich sinke hilflos auf dem Sofa zusammen. Das nervige Yabbadabbadooo aus der Bayern-Torhymne klingt plötzlich diabolisch. 

Als das 4-2 fällt, weiß ich, dass alles aus ist.

 

„24 Stunden, sind wir uns einig?“, fragt die kalte Stimme am Telefon. Kann ja nur der Glatzkopf sein.

„Verstanden“, gebe ich zitternd zurück.

„Dann morgen um 15:45 Uhr wieder unter der Autobahnbrücke. 2.000 in bar.“

„Okay“, mehr als dieses geflüsterte Wort bringe ich nicht zustande.

„Und keine Späße. Wir haben unsere Quellen und Infos, also komm bloß nicht auf die Idee, dich bei den Cops auszuheulen oder den Zug nach Weitwegistan zu nehmen!“

Ich nicke nur und vergesse, dass mich mein Gegenüber (hoffentlich) nicht sehen kann.

„Verstanden?“, schnarrt es aus der Leitung.

„Ja“

Ein Klicken signalisiert mir, dass alles gesagt ist, was wichtig war.

Ich weiß, was zu tun ist.

 

Ich weiß nicht, wie lange ich schon in der Dunkelheit meiner 1-Zimmer-Wohnung ausharre, als ich endlich Schritte höre. Von zwei Personen. Das heißt, er hat die kleine Schlampe dabei. Macht es wahrscheinlich einfacher.

Der Zweitschlüssel, den ich mal meinem besten Freund gegeben habe, dreht sich im Schloss.

Lars und Mia machen einen vorsichtigen Schritt in die Dämmerung.

„Ich hab dir doch gesagt, dass das keine gute Idee ist!“, zischt die Schlampe.

Jetzt oder nie!

„Paddy? Bist du da? Alles okay bei dir? Mach mir n bisschen Sorgen, weißt du…“

Ich habe im fahlen Licht genug gesehen und gehört, um mein Opfer auszumachen, springe aus dem zur Tarnung aufgehäuften Berg dreckiger Wäsche und werfe mich auf Mia.

Ihr spitzer, erschrockener Schrei sorgt bei mir für eine kleine Erektion, derer ich mich nicht wirklich schäme.

„Hilf—“, kann sie gerade noch so herausbringen.

Das funzlige Licht der Glühbirne erscheint gleißend hell, als Lars den Lichtschalter endlich ertastet.

„Bastard!“, bringt er heraus.

Ich richte mich auf, reiße Mia nach oben und halte sie wie ein Schutzschild vor mich.

„Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“, brüllt Lars.

„Ich brauch 2.000 €!“, japse ich, während eine Strähne meines fettigen Haares in mein Sichtfeld fällt. Mein Herz rast und die Kopfschmerzen pulsieren direkt unter meiner Stirn.

Lars starrt mich entgeistert an. In seinen Augen stehen Wut, Verzweiflung…und Mitleid?

Ich runzle die Stirn. Ziehe den Würgegriff fester zu. Wo ist das verfickte Taschenmesser? Es war doch gerade noch in meiner—

Mias Ellenbogen trifft mich präzise in den Eiern.

Die Welt wird schwarz.

 

***

 

4,6 Millionen Deutsche sind spielsüchtig oder suchtgefährdet.

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/gluecksspiel-atlas-deutschland-spielsucht-sportwette-automaten-lotto-100.html

 

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