Von Clara Sinn

Ich vergewaltige Kinder.

Denken Sie, was Sie wollen.
Falls Sie allerdings neugieriger sein sollten, als der Empörungsgerechtigkeit verfallen, erzähle ich es Ihnen ungern.

Der Sohn, der die Firma übernimmt. Obwohl er immer Wissenschaftler sein wollte. Und auch schon sein Stellenangebot hatte. In Übersee. Sein Traum. Oder die Tochter, die folgsam die gute Partie heiratet. Und ihre Schwester, die genau gegen das ihr Leben lang rebelliert.

Das Kind, das sich schuldig fühlt. Und bestraft. Dass der Bruder gestorben ist, der Dachstuhl abgebrannt, die Schwester verbrüht, bis heute von Narben gezeichnet.

Ich habe diese Menschen alle erlebt, ich kenne das bis zum Erbrechen, ich bin dieser Geist der Eltern, der ihre Kinder zurichtet. Die Kinder in den Eltern übrigens nicht zu vergessen …

Mein Nebenverdienst
dabei?

Aufwertung der eigenen Person. Ausnahmslos immer. Liebesersatz. Der schlechten Art.

Da ist der Vater, der selbst schon Architekt werden wollte. Und die Firma übernahm. Zu hoher Blüte führte. Dafür halt das fürstliche Haus entworfen hatte. Vom Wohnzimmer aus immer im Blick, wie es gerade um den Fuhrpark steht.

Da ist der besagte Sohn, der die Firma vor die Wand fahren musste. Weil er sonst keine Möglichkeit kannte, das eigene Kind nicht ins selbe Joch zu drücken.

Der Vater hatte seinen Sohn einst auf die Anhöhe der Kleinstadt mitgenommen. Wo ihr ausgedehntes Grundstück lag. Weinberge. Und die Wiese vergatterte Pferdekoppel. Im Tal die Fabrik. Gleich ins Auge fallend. Mit den drei weitläufigen Parkplätzen. „Versprich mir, dass du das alles erhältst, ausbaust und vermehrst.“ Da war der Sohn seine sieben.

Als der Enkel vier war, entdeckte der junge Vater, wie die Oma das Kind auf einen der LKWs gesetzt hatte, ins Führerhäuschen, ans Steuer. „Das gehört eines Tages alles dir.“ Und wusste nicht, dass der Unterton seinen plötzlichen Stichschmerz ausgelöst hatte, ‚wenn du schön brav bist‘, als er das Kind wie wildgeworden vom Fahrersitz herunterzerrte.

Das Schuldigsein müssen Kinder erst lernen. Von den übermächtigen Schuldkindern in ihren Eltern. Es kann dreimal ein neutrales Unglück sein. Der kleine Bruder unter dem eingebrochenen Eis. Beim Schlittschuhlaufen. Wie die Zwillingsschwester unter dem Wasserkocher auf der Küchenzeile. Beim Spielen. Der verheerende Blitzeinschlag.

Da ist dieser Unterblick. ‚Du warst dabei …‘, ‚Konntest du nicht aufpassen …‘ Oder dies jähe Abgeschüttelt- und Zurückgewiesenwerden des weinenden Kleinkindes, während der Dachstuhl den Flammen nur noch so sang- wie klanglos übereignet werden kann.

Mein Nebenverdienst dabei
etwas tiefer?

Abschütteln von Schuld. Erbschuld.
Abschüttelversuche.

Der Eltern. Auf ihre Kinder. Wer wäre auch sonst da? Der Kinder auf die Folgekinder. Der Eltern wegen. Schon der Eltern der Eltern wegen.

Ich bin dieser ewige schwarze Peter. Unsterblich, solange sich Menschen vermehren.

Wenn ich so brav bin, wie du mich haben willst, hast du mich dann auch endlich lieb?