Von Miklos Muhi

Abgesehen von gelegentlichen Besuchen im Firmenbüro, arbeite ich seit der Pandemie zu Hause. So teile ich meine Zeit selbst ein. Ist das Vereinbarte rechtzeitig fertig, kümmert sich niemand darum, ob und wann ich mir eine Pause zum Beispiel für einen Spaziergang im Stadtpark gönne.

 

Es ist kalt. Der Winter ist nach einem lauen und langen Herbst mit aller Macht über die Stadt hergefallen.

 

Zu dieser Stunde haben sich nur zwei Frauchen und ein Herrchen auf die umzäunte Hundewiese im Stadtpark verirrt. Alle drei kenne ich vom Sehen.

 

Zu den Hunden habe ich einen deutlich besseren Draht.

 

Ich betrete die Hundewiese und grüße mit einem Kopfnicken die Menschen. Die Tiere freuen sich riesig. Mir werden Spielzeuge präsentiert und Streicheinheiten werden angefordert.

 

»Darf ich?«

Die Menschen nicken. So setze ich mich auf eine Bank, greife nach dem Tennisball von Lisa, dem großen Schäferhund und werfe ihn weit weg. Wolfgang, der Dachshund, übergibt mir seinen Gummiknochen nicht, er gibt mit dem knallgelben Spielzeug an. Hannibal, der Golden Retriever, hat nur Streicheleinheiten im Sinn und legt, trotz des Protestes seines Frauchens mir ihre Vorderpfote auf den Schoß und wedelt unermüdlich mit dem Schwanz.

 

Lisa bringt den Ball zurück, setzt ihn vor mir ab. Ich werfe wieder, streichele Wolfgang, der sich mit Schwanzwedeln bedankt.

 

Die Zeit vergeht wie im Flug.

 

Wolfgang wird müde, Lisa bevorzugt allein mit dem Ball zu spielen, und Hannibal sucht die Gesellschaft seines menschlichen Begleiters, um einige Leckerlis abzustauben.

 

Ich nicke den Frauchen und dem Herrchen zu und verlasse die Hundewiese.

 

*

 

Die Stimmung in der Besprechung des Drogendezernates ist aufgeheizt.

»Was machen unsere V-Männer?«, fragt Polizeikommissar Hufnagl, der Leiter des Dezernates.

»Das beste, was sie können, das kann ich ihnen versichern«, antwortet Wachtmeister Ludwig. »Wir haben noch nie Probleme mit unseren Informanten gehabt. Die sind genauso ratlos wie wir.«

»Wie kann das sein?«, fragt Hufnagl. »Jemand überflutet die Stadt mit Marihuana von bester Qualität und wir haben nicht einmal eine Ahnung, wie er das Zeug verkauft, von seiner Identität mal ganz zu schweigen.«

»Woher wollen Sie wissen, dass es sich um einen Mann handelt?«, fragt Polizeikommissarin Wels.

»Im Moment haben wir echt größere Probleme. Bitte ersparen Sie mir das.«

»Da muss modernste Technik dahinter stecken«, meint Ludwig.

»Was Sie nicht sagen. Und jetzt? Überwachen wir das ganze Internet? Hören wir alle Telefone ab? Wir haben nicht einmal genug Personal, um das Countryfest zu sichern. Wir brauchen eine Lösung, sonst stehen wir schon wieder wie dämliche Idioten da.«

 

*

 

Ich schreite zum anderen Ende des Parks, wo die streunenden Katzen leben. Sie haben Hunger und kennen mich. Trotzdem wird Abstand gehalten. Ich hole eine Packung Katzenfutter aus der Tasche. Das Rasseln lässt sie aufhorchen.

 

Ich verteile das Futter in kleineren Häufchen und trete zurück. Die Tiere nähern sich vorsichtig dem Fresshäufchen an. Manche bevorzugen die, die weiter von mir entfernt sind.

 

Der große graue Kater, den ich Bubu nenne, hat keine Angst vor mir. Er kommt zur nächsten Futterstelle und langt zu. Ich schreite auf ihn zu. Er schaut kurz auf und frisst weiter. Langsam gehe ich in die Hocke und berühre seinen Kopf. Er zuckt zusammen, ohne seinen Blick zu heben. Ich streichele ihn.

 

Bei den anderen habe ich keinen Erfolg. Sie weichen zurück. Sie sehen ausgehungert aus, so lasse ich sie in Ruhe fressen und schreite Richtung Ausgang zur Bushaltestelle. Der Weg führt an einem metallenen Mülleimer für Hundekot vorbei.

 

Unweit, auf einer Parkbank sitzt ein älterer Herr, mit einer Zeitung in der Hand. Er verwendet eine merkwürdige Lesetechnik: Seine Augen beobachten mich über den oberen Rand. Ihn kenne ich ebenfalls vom Sehen. Er ist fast jeden Tag hier.

 

Kurz vor dem Ausgang des Stadtparks biege ich rechts ab.

 

*

 

»Herr Polizeikommissar, der Herr Brummer ist da. Er wartet auf Sie auf dem Flur.«

Die Stimme seiner Sekretärin kommt aus der Gegensprechanlage, die auf seinem Tisch voller Aktenordner steht. Hufnagl seufzt und drückt auf den Antwortknopf.

»Der schon wieder. Sagen sie ihm, ich bin in einer Besprechung.«

»Aber er meint, etwas Verdächtiges beobachtet zu haben.«

»Ja, freilich, das meint er jede Woche und es ist jedes Mal Schmarrn.«

»Soll ich ihn wegschicken?«, fragte die Sekretärin.

»Und ob sie das sollen. Ich habe jetzt keine Lust auf so etwas. Vor zwei Wochen hat er anderthalb Kilo Hundekacke aus dem Mülleimer vom Stadtpark hier hergebracht. Er dachte, die kleinen Päckchen in den Plastiktüten seien Drogen und der Mülleimer ein Drogenbriefkasten.«

»Aber …«

»Nix aber! Raus mit ihm, aber wie der geölte Blitz. Im Gegensatz zu ihm bin ich kein Rentner und bald habe ich einen Termin mit dem Landrat, der mir die Hölle heiß machen wird.«

 

*

 

Ich finde einen Baum, mit einer Höhle drin und leuchte mit dem Handy hinein. Sie ist zurzeit leer. Die Vögel sind längst ausgezogen.

 

Aus der Tasche hole ich ein Päckchen in einer Plastiktüte und stopfe sie in die Höhle. Ich schieße ein Foto vom Baum. Mein Handy versieht jedes Bild mit genauen GPS-Koordinaten. 

 

Mit dem neuen Foto antworte auf eine Mitteilung mit der Frage, ob ich um fünf Uhr Zeit hätte. Dann wird die ganze Unterhaltung gelöscht.

 

Auf dem Weg zur Bushaltestelle piepst mein Handy. Man fragt, ob ich um 15 Uhr erreichbar wäre.

»Manche Menschen sind so was von gierig«, murmele ich.

Das zweite Piepsen setzt mich davon in Kenntnis, dass auf das anonyme Bitcoin-Konto die Summe für den 15-UhrTermin gelandet ist.

 

So habe ich für meinen morgigen Spaziergang wieder eine Aufgabe. Eine neue SIM-Karte und Telefonnummer brauche ich ebenfalls.

 

*

 

»Herr Polizeikommissar, die Presse wartet schon.«

Die Stimme von Polizeikommissarin Wels hat Hufnagl ins Hier und Jetzt zurückgeholt.

»Verdammt. Ich habe dem Landrat gesagt, dass ich das nicht will. Das hat ihn nicht interessiert, schließlich werde ich in Stücke gerissen«, murmelt er.

»Und der Herr Brummer ist wieder da«, meint Frau Wels.

»Der Herr Brummer soll sich endlich ein eigenes Leben suchen, verflixt nochmal!«, sagt Hufnagl und betritt den Konferenzraum voll mit Journalisten.

 

*

 

Der Stadtpark ist fast menschenleer. Ein junger Mann betritt das Grün mit seinem Handy in der Hand. Er wandert einige Minuten ziellos hin und her und schaut immer wieder auf den Bildschirm.

 

Nach kurzem Herumirren bleibt er stehen und sieht sich um. Zielstrebig schreitet er Richtung Ausgang zur Bushaltestelle und biegt rechts ab.

 

Bald steht er vor einem Baum. Nach einem kurzen Blick auf dem Display seines Handys tritt er näher und greift vorsichtig in die Baumhöhle. Das Rascheln des Plastiks lässt ihn lächeln.

 

Er holt das Päckchen heraus, öffnet es, riecht daran und nickt. Dann stopft er es in die Tasche und verlässt den Park.

 

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