Von Ina Rieder

Dieses kontinuierliche Summen störte mich am meisten. Wie bitte sollte man sich da entspannen? Ich versuchte, das gewöhnungsbedürftige Geräusch auszublenden. Zu dem Ton im Außen gesellten sich Gedanken im Inneren dazu. Sie kreisten um meine Hauptbeschäftigung, dem Management von Geschäftsprozessen.

Leitner, dieser Lackaffe von einem IT-Leiter, hatte wieder einmal allein sein Ding durchgezogen und mich „versehentlich“ vergessen an Bord zu holen.

‚Mobbing!‘, zuckte es durch meine Gehirnwindungen und mit der Erholung war es vollkommen dahin.

„Das ist nicht wahr, oder? Spuckt mir dieser dämliche Typ auch noch bei meinem Nebenjob in die Suppe …“, murmelte ich vor mich hin und entschied, es am Abend nach der Arbeit noch einmal zu versuchen.

Bei dem Gedanken, wie mein Kollege dumm aus der Wäsche gucken würde, wenn er von meinem Nebenjob wüsste, erheiterte mich. Doch soweit würde es nicht kommen. Auf dem Weg zur Arbeit überlegte ich mir eine schlagfertige Ansage, die ihn wie eine Ameise aussehen lassen sollte.

***

Eine halbe Stunde später betrat ich das Bürogebäude. Ich bog um die Ecke und zuckte vor Schreck zusammen. Ich konnte gerade noch zurückweichen und verhinderte einen Totalzusammenstoß mit Leitner. Meine Handtasche flog in hohem Bogen auf den Boden und der Inhalt verteilte sich auf dem kühlen Marmorboden.

„Uppsala!“, rief der Kollege aus und bückte sich sofort, um mir beim Aufsammeln meiner unzähligen Utensilien zu helfen.

„Ich mach das schon!“, gab ich eisig von mir.

Doch er ließ sich nicht beirren und klaubte weiterhin diverse Dinge vom Boden auf, die er mir in die Hand drückte. Mir stieg eine verführerische Duftnote in die Nase. Eine Mischung aus Moschus und Vanille. Ich liebte dieses Aroma. Mein Puls erhöhte sich schlagartig.

‚Hat der jetzt ein neues Parfum?‘

Ich beobachtete ihn heimlich von der Seite. Mein Blick glitt über seine kräftigen Oberarme und sein volles, schwarzes Haar. ‚Wie alt er wohl ist? Um die dreißig? Hm, schwer zu sagen.‘

„Was haben wir denn da?“, riss er mich aus meinen Gedanken.

Ich starrte auf den Gegenstand in seiner Hand.

‚Mist!‘, dachte ich, „Gib schon her!“, sagte ich.

„Arbeitsmaterial, was?“

Leitner grinste wie diese Katze aus „Alice aus dem Wunderland“ und tat dann, worum ich ihn gebeten hatte.

Ich sah in seine braunen Augen und konnte nicht anders. Meine Mundwinkel zogen sich ebenfalls Richtung Decke.

„Ob du es glaubts oder nicht, ja!“, erwiderte ich.

Leitner bemühte sich um einen sachlichen Ton.

„Ich kann schweigen wie ein Grab! Du wolltest etwas mit mir besprechen?“

„Eh, was? Nein, hat sich erledigt …“, stammelte ich und ging in mein Büro, das am Ende des Flurs lag.

Seit jenem Vorfall war Leitner wie ausgewechselt. Wenn ich ihm über den Weg lief, zwinkerte er mir verschwörerisch zu und er lud mich ohne Aufforderung zu allen notwendigen Besprechungen ein. Jedes Mal, wenn ich in seiner Nähe war, kribbelte es in meinem Bauch und meine Hände schwitzten.

***

Ich saß zu Hause am Küchentisch und widmete mich meinem Nebenjob. Ein neues Paket war eingetroffen. Ich öffnete es und war beeindruckt von der Verpackung der Ware. Edel! Ein glänzend weißer Karton mit Sichtfenster, der sich wie ein Buch schließen und öffnen ließ. An der Seite befand sich ein Magnet mit einer Schleife.

Bevor ich das Produkt aus der Verpackung nehmen konnte, schweiften meine Gedanken wieder zu Leitner ab. Mittlerweile nannte ich ihn insgeheim liebevoll „Andy“.

Am Vormittag klopfte es an der Bürotür.Dann tauchte sein Schopf im Türrahmen auf. Nachdem er sich versichert hatte, dass ich allein im Büro war, trat er ein.

„Darf ich?“, fragte er und schaute auf den freien Stuhl neben meinem Schreibtisch.

„Ja, sicher! Was ist los?“

„Ich wollte fragen … Also, ich dachte. Na, wir könnten uns doch auch einmal privat treffen? Vielleicht zum Italiener um die Ecke?“

Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Mein Herz machte einen kleinen Sprung. Während ich auf den Bildschirm starrte und hoffte, dass er meine Gefühlswallungen nicht zur Gänze mitbekam, antwortete ich so cool wie möglich: „Ja, wäre nett.“

„Ich will dich gerne besser kennenlernen. Außerdem würde mich brennend interessieren, wie du das genau meintest mit: ‚Ob du es glaubst oder nicht, aber das ist tatsächlich Arbeitsmaterial!‘“

Unsere Blicke trafen sich und er zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht.

Das Vibrieren des Handys brachte mich zurück in die Gegenwart. Der Timer erinnerte mich daran, dass ich mich beeilen sollte. Mein erstes „außerbüroliches“ Date mit Andy stand an.

Es war zwar keine Zeit mehr, um die Ware zu testen, aber ich entschied mich die Bewertung für den ersten Eindruck zur Verpackung abzugeben.

***

Beim Italiener war es gerammelt voll. Der Duft frischer Steinofenpizza vermischte sich mit dem Aroma frittierten Fisches. In meiner Mundhöhle sammelte sich Speichel an. Ich ließ den Blick durch das Lokal schweifen und entdeckte Andy an einem der hinteren Tische. Er winkte mir freundlich zu.

„Hi Lena! Schön, dass du da bist!“

Er stand auf und umarmte mich kurz. Ich sog seinen betörenden Duft ein und ließ mich ihm gegenüber auf dem Stuhl nieder.

„Wasser?“

Ich nickte und Andy schenkte mir ein. Ein hochgewachsener Kellner kam an den Tisch und überreichte uns die Speisekarte.

„Dass wir hier einmal zusammensitzen würden, hätte ich vor einem Monat auch nicht gedacht!“

Andy schaute mich lächelnd an.

„Na, frag mich mal. Du hast mich ja mehrmals übergangen!“

„Ja, sorry, ich dachte eben, wir brauchen dich nicht unbedingt und, dass es schneller ohne dich gehen würde. Ich habe jetzt aber eingesehen, dass du einen anderen, objektiveren Blick auf die Prozesse hast. Du machst das echt super!“

„Danke! Ich finde, dass wir uns optimal ergänzen.“

Der Kellner kam an unseren Tisch und nahm die Bestellung auf. Nachdem er uns wieder den Rücken kehrte, fragte Andy: „Jetzt erzähl mal, was hat es mit deinem ominösen ‚Arbeitsgerät‘ auf sich?“

„Na, ich teste die Dinger und bewerte sie!“

Andy sah mich mit geweiteten Augen an.

„Bei der Arbeit?“

„Nein, zu Hause!“, kicherte ich. „Ich weiß nicht, warum ich den in meiner Tasche hatte. Vermutlich gedankenverloren hineingepackt.“

„Aha und wie läuft das in der Praxis ab?“

„Ich bekomme jeden Monat ein Produkt nach Hause geliefert, teste es und gebe dann meine ehrliche Meinung zum ersten Eindruck, Geruch, Material, Lautstärke und so weiter ab. Macht Spaß und bringt zusätzlich etwas Geld ein. Und am Ende darf ich es behalten.“

Der Abend war lang und irgendwie landeten wir bei mir zu Hause. Während ich in der Küche Wein einschenkte, schaute sich Andy in meinem Loft um. Plötzlich hörte ich ein bekanntes Summen.

‚Verdammt, jetzt hat er meine Sextoy-Sammlung entdeckt!‘

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