Von Siegfried Reitzig
Wie fast jeden Mittwoch verabschiede ich mich gegen 15 Uhr mit einem Kuss und einer herzlichen Umarmung von meiner Ehefrau Susanne.
Aber heute ist alles anders, in den 5 Jahren unserer Beziehung hatte es zwar schon ein paarmal Streit gegeben, aber diese aktuelle Krise war existenziell für unsere Ehe gewesen – ab diesem Mittwoch soll nun alles wieder gut werden!
„Machst du heute Schluss?“, fragt Susanne und sieht mich eindringlich an. „Du hast es versprochen!“
„Na klar, ich steh zu meinem Wort“, erwidere ich und hoffe, dass sie mir ebenso viel Glauben schenkt, wie es meiner Entschlossenheit entspricht.
„Ich geh heute noch ein letztes Mal hin und beende die Angelegenheit.“
„Und bleib bitte nicht so lange fort“, die Stimme meiner Liebsten wird warm und versöhnlich.
„Du weißt doch hoffentlich, wie sehr ich dich vermisse.“
Sie krault mich zärtlich und vielversprechend dort, wo ich es am liebsten mag und schiebt mich aus der Wohnungstür, nicht ohne mir meine wie immer gepackte Sporttasche wieder abzunehmen,
die ich gewohnheitsmäßig über die Schulter gehängt hatte.
Susanne hat ja so recht, ab heute gibt es keinen Mittwochs-Sport mehr.
***
Im zweiten Stock am Empfang kennen sie mich gut und die Begrüßung ist herzlich.
„Hi Johannes, schön, dich zu sehen, geht es dir gut? Trägst du dich bitte in die Liste ein. Raum 6 ist heute für dich vorgesehen.“
Heute aber bleibe ich am Tresen stehen, statt der Bitte Folge zu leisten.
„Tut mir leid, Leute, aber ich kündige!“
„Warum das denn? Gab es Probleme? Du bist doch schon so lange bei uns und wir konnten uns immer auf dich verlassen.“
„Es sind persönliche Gründe und ich habe mich definitiv entschieden, aufzuhören.“
„Das akzeptieren wir natürlich. Ich habe gehört, du bist mittlerweile verheiratet…na ja, dann passt dieser Job ja auch nicht mehr so richtig. Ich hol kurz die Auflösungsvereinbarung.“
Ich unterschreibe, quittiere auch meinen Arbeitslohn für die letzten Wochen und Nicole bekommt noch ein Abschiedsküsschen, wir kennen uns seit Jahren und mögen uns – dann bin ich raus.
Auf dem Heimweg merke ich erst so richtig, wie erleichtert ich bin!
Ein Brief an mich, den ich mit dem Absender eines Medizininstituts erhalten hatte und den Susanne irrtümlich öffnete, hat vor einer Woche alles ins Rollen gebracht:
***
„Du, Schatz, ich habe aus Versehen einen Brief aufgemacht, der an dich adressiert ist, aber ich glaube, der ist gar nicht für dich…“, Susanne hatte die Post sortiert und rief aus dem Büro nach mir.
„Um was geht’s denn?“ fragte ich – bis zu diesem Moment völlig arglos und stand schon in der Tür.
„Da schreibt so ein Institut, dass es deine Daten weitergeben will, weil ein 14-jähriges Mädchen gern seinen biologischen Vater kennenlernen möchte – und dieser Vater seist DU!??“
Oha, nun war mir das Thema einfach vor die Füße gefallen, über das ich schon lange mit Susanne sprechen wollte, mich aber bisher nicht recht getraut hatte.
Nach kurzem Nachdenken, während ich noch fieberhaft überlegte, wie um Himmels Willen…
„Du hast mir doch erzählt, dass du gar keine Kinder hast, also ist das doch Blödsinn!?“
Der Stachel des Misstrauens steckte schon…
„Oder gab es vor unserer Zeit eine Beziehung, aus der möglicherweise ein Kind stammen könnte??
Und was für ein Institut soll das denn überhaupt sein? Komm doch bitte mal und lies den Schrieb – vielleicht kannst du es mir ja erklären…ich verstehe rein gar nichts!“
Ich hatte inzwischen beschlossen, reinen Tisch zu machen und meiner Frau alles zu beichten:
„Aaalso Schatz, das kommt jetzt für dich bestimmt ganz befremdlich und überraschend rüber, aber mit dem Schreiben hat es seine Richtigkeit.
Ich bin Samenspender…“
Meine Offenbarung entfaltete ihre Wirkung langsam aber gewaltig – Susannes Antwort kam nicht spontan, aber so laut, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat, um meine Sicherheitszone zu vergrößern.
„Du bis waaas??! Was sagst du da?? SA…MEN…SPEN…DER??!“
Meine Frau fuhr hoch:
„Und wie bitteschön spendet der edle Herr seinen Samen?
Muss die Trulla erst flachgelegt werden, um was abzubekommen?
Erkläre mir bitte JETZT und HIER, wie DAS funktioniert – ich höre!“
Ich versuchte, zu beschwichtigen und die Angelegenheit auf eine sachliche Ebene zu bringen:
„Nein, nein – mit den Frauen, die schwanger werden wollen, habe ich persönlich gar keinen Kontakt, es ist alles anonym, offiziell und legal. Immerhin werde ich ja auch bezahlt und bekomme monatlich 500.- € Aufwandsentschädigung für meine soziale, freiwillige Leistung…“
Susanne stieg darauf ein, sprach jetzt allerdings in dem leisen und emotionslosen Tonfall, den ich so fürchtete, weil er meist drohendes Unheil bedeutete:
„Aber wie kannst du sowas machen? Du bist mit mir zusammen und wir beide wünschen uns Kinder!
Weißt du denn, wie viele biologische Nachkommen von dir es schon gibt?
Grad fühl ich mich, als wäre ich mit einem Zuchtbullen verheiratet – und ja, ich bin kurz davor, dich auf der Stelle rauszuschmeißen oder zu meiner Schwester zu ziehen…“, und nach einer kurzen Pause, kam dann noch die Frage, die ich schon erwartete:
„Und wie lange geht das schon?“
Ich versuchte weiter, die Scherben zu kitten:
„Schau Susanne, bevor wir uns damals kennenlernten hatte ich lange Zeit keine Freundin und fühlte mich…also sozusagen…unausgelastet. Ein Kumpel in der gleichen Situation meinte damals, man könne doch das Schöne mit dem Nützlichen verbinden und nebenbei ein bisschen was dazuverdienen. Er hatte Kontakt zu einer Firma, die Samenspenden sammelt und weitergibt.
Na ja, damals fand ich die Idee ganz spaßig und nachdem ich dich kennengelernt hatte, hab ich irgendwie den Absprung nicht geschafft und diesen Termin Mittwochs sozusagen mit in die Ehe gebracht…verzeih mir bitte!“
***
Seit jenem Gespräch hatten wir noch oft und lange über das Thema diskutiert. Nachdem ich versprochen hatte, diesen Job aufzugeben, war uns doch noch eine Versöhnung gelungen und heute bin ich ja auch wirklich ausgestiegen und habe gekündigt.
Mittlerweile habe ich unser Zuhause erreicht und schließe leichten Herzens die Wohnungstür auf.
„Hallo Jo“, begrüßt meine Frau mich fröhlich, „ich hoffe, du hast unsere Absprache umgesetzt.“
Als ich bestätige, fügt sie mit einem verführerischen Augenaufschlag hinzu:
„Und damit der Abend richtig schön wird, habe ich schon mal unser Sofa gemütlich vorbereitet – ich habe so Lust auf dich!“
„Oh ja Liebling, mein Engelchen – ich habe auch Lust auf dich!“
Susanne lächelt verschmitzt:
„Sonst hast du mir mittwochs immer erzählt, das Zirkeltraining hätte dich so fertig gemacht, dass du nur noch chillen wolltest…“
V2 6500 Z