Von Martina Zimmermann
Ich hatte ja immer schon diese Schwäche für schwarz. Eigentlich war ich fasziniert von dieser Nichtfarbe. Außerdem macht schwarz schlank, so sagt man jedenfalls. Nicht, dass ich es nötig gehabt hätte, meine Figur zu verstecken, aber wer genießt nicht gerne einen Vorteil, und wenn es nur optisch durch Kleidung ist?
Mit meinen fünfundzwanzig Jahren, groß gewachsen, war ich eigentlich vorzeigbar, wenn nicht sogar ein attraktiver Mann, den man für eine gute Partie halten könnte, wäre da nicht das Finanzielle.
Mein Studium zog sich und ich versuchte mich mit dem wenigen Bafög und einigen kleinen Jobs hier und da einigermaßen über Wasser zu halten. Immer wieder dachte ich, es müsste etwas geben, einen Job, den ich gerne ausüben würde, der mir Spaß macht und wo ich zudem noch gut bezahlt werde.
Aber monatelang tat sich nichts. Stupide Botenjobs oder Anstellungen in Supermärkten. Ich merkte schnell, dort gehörte ich nicht hin, und dieses merkten die jeweilige Chefs genauso.
Betrübt, weil ich wieder einmal einen kleinen Job versemmelt hatte, lief ich gedankenverloren durch die Stadt. Einen Fuß vor dem anderen setzend, und wenig um mich herum wahrnehmend, lief ich den Weg vom Supermarkt nach Hause.
Zu Hause, meine kleine Bude, dachte ich noch, als ich plötzlich vor einem schwarzen Auto stand. Ich blickte hoch und registrierte, wenn der Fahrer nicht gehalten hätte, dann läge ich jetzt wohl eher unter dem Auto. Ich hatte geträumt und jetzt blickte ich genau in die Augen des Fahrers. Er schaute mich stumm an, aber nicht aufgeregt. Sehr ruhig wirkend und irgendwie hatte er etwas Ungewöhnliches an sich. Während ich nur da stand und ihn ansah, registrierte ich, es war ein Leichenwagen, unter den ich fast geraten wäre. Was für ein Zufall, dachte ich noch und meine Mundwinkel zuckten leicht. Ich war geschockt und zeitgleich amüsiert. Wie gelähmt stand ich immer noch dort, als der Fahrer ausstieg.
„Geht es dir gut?“, fragte der Mann. „Ja, mir fehlt nichts“, erklärte ich. „Das war knapp, wenn ich nicht so gut reagiert hätte, dann wärst du mein nächster Kunde gewesen“, behauptete der Mann und dann lächelte er mich an. „Da habe ich ja noch einmal Glück gehabt“, erwiderte ich und lächelte zurück. „So schnell wollte ich nicht als Kunde bei Ihnen bleiben, aber ehrlich gesagt, wollte ich immer schon einmal in so einem Auto mitfahren.“
Der Mann schaute mich an und mit einer einladenden Handbewegung forderte er mich auf. „Dann komm und steig ein, ich bringe dich nach Hause, bevor du noch vor ein anderes Auto läufst.“
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mit einem Satz schwang ich mich auf den Beifahrersitz des Leichenwagens und schnallte mich an. „Wo soll es hingehen?“, fragte der Mann. „Oder hast du noch Zeit, etwas länger mitzufahren. Um ehrlich zu sein, könnte ich gerade etwas Hilfe gebrauchen. Ich muss zum Friedhof um den Verstorbenen, der hinten liegt, dort abzuliefern. Die Beisetzung soll in einer Stunde stattfinden. Ich bin immer früh dran, so kann mich nichts so schnell aus der Ruhe bringen und die hinten im Auto beschweren sich eh nicht mehr.“
„Das glaube ich gerne“, antwortete ich. „Ich habe nichts vor, ich komme gerne mit und ich wäre auch gerne behilflich“, ergänzte ich. „Ich heiße Hans Glück“, erklärte der Mann. „Von Hans Glück Bestattungen.“ Ich musste lachen, und ich glaubte, ich war nicht die erste Person, die über seinen Namen, in Verbindung mit einem Bestattungsunternehmen, lachen musste. „Man kann es so oder so sehen“, sagte Hans. „Alles hat zwei Seiten. Bei uns kann sich der Verstorbene glücklich fühlen, denn wir werden alles tun, um die letzten Wünsche umzusetzen.“ Ich nickte und irgendwie fühlte ich mich bei Hans gut aufgehoben. Ein Gefühl, welches ich lange nicht mehr so gespürt hatte.
„Ich heiße Roman Freud“, sagte ich und im nächsten Augenblick vernahm ich das schallende Lachen von Hans. „Wenn das kein Zufall ist, dann weiß ich auch nicht. Glück und Freud sitzen beieinander und das im Leichenwagen.“ Wir lachten beide und so gut gelaunt fuhren wir zum Friedhof. Hans erklärte mir, was ich machen sollte und er bemerkte sofort, dass ich keine Berührungsängste hatte. Es schien ihm zu imponieren, dass ich wie selbstverständlich mit anfasste. Meine schwarze Kleidung, die ich immer trug, kam mir jetzt zugute. Es merkte niemand, dass ich im Grunde genommen nicht dahin gehörte.
Nachdem wir den Verstorbenen in die Friedhofskapelle gebracht hatten, stellte Hans fest: „Es fehlt ein Sargträger. Könntest du dir vorstellen, einzuspringen?“ Er sah mich hoffnungsvoll an und ich brauchte nicht eine Sekunde darüber nachzudenken. „Klar, ich mache das gerne“, antwortete ich.
So sprang ich als Sargträger ein. Ein Job mit einer ehrenvollen Aufgabe. Schließlich gibt man dem Verstorbenen das letzte Geleit und ich hatte als Medizinstudent den nötigen Respekt.
Nach der Beerdigung fragte Hans mich, ob ich mir vorstellen könnte, weiter bei ihm zu arbeiten. Er wäre so froh über meine spontane Hilfe gewesen und er würde es fast als Wink des Schicksals bezeichnen, dass gerade ich ihm vor sein Auto gelaufen bin, als er auf dem Weg zum Friedhof war.
Ich sah es genauso. Vielleicht hat das Schicksal uns beide zusammengebracht, oder wer weiß, was für eine Fügung. Seitdem arbeite ich bei Hans und helfe dort, wo ich kann. Mir macht der Job Freude. Nichts hat so gut zu mir gepasst, als hier neben meinem Studium zu arbeiten, denn nichts lässt sich besser mit meinem Medizinstudium vereinen, als der Respekt vor dem Leben und dem Tod. Abgesehen davon, kann ich mir jetzt mehr leisten. Mir geht es finanziell viel besser und mein Leben hat eine Wendung gemacht.
Schwarz ist für mich der Anfang und das Ende.