Von Maria Monte

 

„Als bekannteste und älteste Tanzschule Berlins bilden Sie doch Tänzer aus, die bald alle Gesellschaftstänze beherrschen. Hätten Sie nicht eine Empfehlung für unsere neuen Angebote in Clärchens Ballhaus? Wir brauchen dringend einen Eintänzer, der zu unserem Etablissement passt.“

Elvira, meine Tanzschullehrerin, reichte mir das Schreiben. „Na, Jürgen, wäre das was für dich?“ „Danke, meine Liebe, ich werde mich dort mal vorstellen. Am besten, du gibst mir noch die Papiere zu den abgelegten Kursen zusammen mit einer Empfehlung mit“, entschied ich nach einigem Zögern. Sicher gab es für diese Beschäftigung einen Obolus, den ich gut gebrauchen könnte. Meine gelernte Arbeit als Tischler in einer Privatbude brachte mir zwar ein geregeltes Einkommen, aber es reichte nicht für Extravaganzen. Seit drei Jahren tanzte ich nun schon bei Elvira, das war für mich wie eine zweite Heimat. Sie ließ mich an allen Kursen kostenlos teilnehmen, rühmte und lobte mich bei den Neueinsteigern. Für diese wurde ich ihr Aushängeschild. Dafür bedachte ich die Tanzschülerinnen im Grundkurs mit Einfühlungsvermögen und wirbelte die Fortgeschrittenen schon mal über die Tanzfläche. Elvira ahnte, dass ich das Angebot des Ballhauses sicher annehmen und damit aus ihrem Kreis entschwinden würde. „Bitte sag mir Bescheid, wie du dich entscheidest“, gab sie mir mit auf den Weg.

Eine Woche später stand ich mit einer Flasche Sekt in meiner alten Tanzschule und verabschiedete mich. „Es hat geklappt. Jeden Mittwoch und jedes Wochenende brauchen sie mich. Ich werde mir neue Anzüge zulegen, dazu passende Hemden, Fliegen und Schuhe.“ Auch wenn mir der Abschied nicht leichtfiel, es war ein neuer Schritt in meinem jungen Leben.

Der Chef im Ballhaus empfing mich überschwänglich. „Heute kannst du zeigen, was du draufhast. Vorerst zahle ich dir einen Stundenlohn von zehn Mark, inclusive drei Freigetränken pro Abend. Wenn du mit deinem Charme unseren Umsatz steigerst, die Kundinnen an uns bindest, erhöhe ich auf zwölf. Einverstanden?“ Ich war mehr als einverstanden, ließ es mir aber nicht anmerken. Was konnte ich mir davon plötzlich leisten? Schon lange schlich ich um das Elektrofachgeschäft herum und träumte von einem neuen Fernseher. Oder sollte ich auf ein Auto sparen? Damit kam ich bei den Frauen sicher noch viel besser an.

Nach einem Jahr bei „Clärchen“ kaufte ich mir einen Jahreswagen von BMW auf Raten. Grün Metallic mit Ledersitzen in dunkelgrün. Zu Ausfahrten mit der gerade aktuellen Liebschaft nahm ich eine passende Decke und einen Picknickkorb von dem Autohaus mit. Das machte Eindruck.

Leider hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie man so schön sagt. Meiner Bankberaterin war aufgefallen, dass ich plötzlich Einnahmen hatte, die sie stutzig machten. Bei einem Kundentermin sprach sie mich darauf an. „Sie haben in letzter Zeit einige Einnahmen, die nicht ihrem Beruf entsprechen. Darf ich davon ausgehen, dass sie völlig legal mit Steuerkarte zusätzlich arbeiten?“ Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht! Blitzschnell wirbelten einige Szenarien durch meinen Kopf. „Aber sicher, Frau Wiese, alles ist legal und angemeldet. Ich möchte sie zum kommenden Samstag mal zum Tanz einladen. Sie werden sehen und sich selbst überzeugen können.“

Frau Wiese war nun überhaupt nicht mein Typ. Und tanzen konnte sie auch nicht so richtig. Aber ich bemühte mich, als Charmeur aufzutreten und ihr einen unvergesslichen Abend zu bescheren. Als sie darum bat, dass ich sie nach Hause begleite, machte ich einen Fehler. Vier Wochen später bekam ich eine Einladung vom Finanzamt. Rache ist süß.

Der Finanzbeamte stellte mir unangenehme Fragen und ließ sich weder durch Witz noch durch Einsicht erweichen. Er redete von Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung und einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft. Ich hatte unwissentlich am Krater des deutschen Steuerrechts getanzt. Die Lava riss mich in den Abgrund. 

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