Von Clara Sinn
Wie immer, da die Schlange am Zeitungsstand vorbeiführte, las sie die Schlagzeilen: „Junge Frau zieht erst Notbremse, dann das Messer“. Er schlug das Fenster und den Weg nach Hause ein, sie brach ihm das Herz und das Genick … In ihr assoziierte es wild weiter Zeugmata … die ein Gesicht jäh unterbrach und sie sich sortieren musste.
In diesem Fall hatte die Frau wohl den Augenblick des scharfen Abbremsens genutzt, ihm das Messer gleich an den nackten Hals zu halten. Alles nur wegen der Kinder.
Er hatte die Zwillinge übrigens nicht zugesprochen bekommen. Sie auch nicht.
Die fielen noch vorher einem Amoklauf in der Grundschule zum Opfer.
Zu Hause zerteilte sie Brokkoli und Blumenkohl in kleine Röschen, hackte rote sowie gelbe Paprikaschoten in winzige Würfel. Ihre Tochter hatte die Aufgabe, die Tomaten kleinzuschneiden. Was sie erschreckte. „Stopp, Sakrament!“ Roter Saft flutete schon die Küchenplatte, das ganze Brett unter einer einzigen Lache bedeckt. Behände zog sie aus der Schublade das schlanke Messer mit der feinen Sägeschneide, reichte es der erst so verstörten wie nun jubelnden Tochter anstatt des alten Hümmelchens hin.
Wenn sie eins konnte, dann Minitraumata sofort entschärfen. Sich oder ihren Lieben auf der Stelle mit einem so breit- wie hellen Erste-Hilfe-Lächeln beizuspringen, wenn etwas aus dem Ruder lief, eine Bestürzung zu verursachen oder eine Erschütterung zu hinterlassen drohte. Gerade, wenn sie selbst die Ursache …
Kein Schutzraum lässt sich ein Leben lang aufrechterhalten.
Das hatte sie bei gleich zwei ihrer Verwandten lernen können. Ihrem Cousin und Epileptiker Emil, der weder eine Schule oder Werkstatt noch je Freundschaft und Sexualität kennenlernen durfte, bevor seine Mutter an Aufopferung verstarb, als ob sich die gnadenlose Abschirmung gegen sie selbst gewendet hätte. Und der Cousine Annelie, die ihre pflegedefinierte Mutter entgegen aller Erwartung überlebt und für die sich trotz versprochenen Hauses keiner in der Familie gefunden hatte, der sich ihrer Trisomie angenommen und sie weiter versorgt, betreut, geschweige denn gefördert hätte.
Das muntere Scheppern von Besteck auf Porzellan rief sie zurück.
Sie nahm angeregt heitere Stimmung wahr.
Schaute quer über den Tisch hinweg auf das ausgelassen mit den bunten Tacos kämpfende Kind. Freute sich dieser Tochter, die mindestens so resilient geraten war wie ein wilder Flummi.
Immer
wieder, wieder, wieder
intakt.