Von Barbara Hennermann
Einmal in der Woche fahre ich mit der Bimmelbahn in die Stadt zum Grünen Markt. Bei uns auf dem Dorf gibt´s den nicht, da haben die meisten Leute einen Garten und bauen ihr Gemüse selbst an. Wir nicht, uns ist das zu anstrengend. Als Rentner soll man sich nicht mehr so plagen …
Ich habe mir extra einen Einkaufstrolli zum Nachziehen gekauft. Da passt ordentlich was rein und ich muss nicht alles schleppen.
Eben bin ich wieder nach Hause gekommen und breite meine Einkäufe auf dem Küchentisch aus: Sellerie, Karotten, Spinat, Petersilie und all so was. Es duftet wunderbar! Ich verpacke meine Schätze im Gemüsefach. Jetzt noch rasch den Abfall wegräumen und dann bin ich fertig!
Gewohnheitsmäßig streiche ich mit dem Handrücken das Einwickelpapier glatt. Meist sind das ja alte Zeitungen. Meine Augen fliegen über die gedruckten Seiten – kann ja nicht schaden, mal kurz nachzulesen … Wir haben nun schon lange keine Print – Zeitung mehr, weil mein Mann sich immer so über die Meldungen aufgeregt hat. Irgendwie nimmt er alles sehr persönlich, als ob die Politik ausgerechnet ihn direkt meinen würde. Vielleicht liegt das ja am Alter?
Mein Blick bleibt an einer riesigen, roten Schlagzeile hängen:
JUNGE FRAU ZIEHT ERST NOTBREMSE UND DANN MESSER
Ach du liebe Güte – Bild dir deine Meinung …
Der Text wird in Normalgröße geliefert:
„Gestern ereignete sich im Personenzug zwischen Gaubüttelbrunn und Würzburg ein folgenschwerer Zwischenfall. Eine junge Frau zog auf freier Strecke aus unerfindlichen Gründen die Notbremse. Als der Schaffner herbeieilte, fuchtelte sie wild mit einem Messer herum. Der Beamte schlug ihr das Messer aus der Hand und führte die Frau, trotz des tätlichen und unberechtigten Widerspruchs anderer Fahrgäste, zum Dienstabteil. Wenn auch offenbar keine dringliche Gefahr für Leib und Leben bestand, machte der Bahnbedienstete dennoch von seinem Hoheitsrecht Gebrauch, fesselte die Person mit seinem Schal, den er glücklicherweise dabei hatte, an den Händen und hielt sie so im Dienstabteil fest. Der Zug erreichte ohne weitere Zwischenfälle den nächstgelegenen Bahnhof, wo die mögliche Terroristin der bereits informierten Bahnpolizei überstellt wurde. Wie der Bahnbeamte unserem Reporter vor Ort glaubhaft versicherte, fürchtete er, von der zumindest vermuteten psychisch Kranken ernsthaft verletzt zu werden, zumal sie der deutschen Sprache offenbar nicht mächtig war.
Hier kann man wieder einmal sehr deutlich die fortschreitende Verrohung in unserer Gesellschaft ablesen. Wenn jetzt schon FRAUEN vorsätzlich die Notbremse ziehen, um in deutschen Zügen das Personal tätlich anzugreifen, ist es wirklich weit gekommen in unserem Staat! Wann wird endlich den Grünen mit ihrer laschen Migrationspolitik das Handwerk gelegt? Wann kann sich der Deutsche im eigenen Land endlich wieder sicher fühlen?“
Mir stellen sich beim Lesen die Nackenhaare auf. Was, um alles in der Welt, steht da für eine gequirlte Pampe?
Mein Mann überrascht mich, als ich fassungslos das Zeitungsblatt anstarre. „Alles in Ordnung, Hilde?“
Ich zeige ihm die Seite. Er überfliegt den Text und meint: „Naja, wer weiß schon, was da wirklich vorgefallen ist?“
„Mensch, Kurt,“ rufe ich, „das ist es doch, was ich dir letzte Woche erzählen wollte und du gesagt hast, davon willst du nichts wissen.“
„Wie?“, meint Kurt. „Was kannst du denn DAZU schon erzählen?“
Jetzt schreie ich fast: „Weil ich daneben saß, Kurt! Ich bin die anderen Fahrgäste!“ Ich deute auf die Seite. „Da!“
Kurt fängt an zu lachen. „Na, das wäre ja auch noch schöner, wenn meine Frau nicht wieder mal involviert wäre! Und noch dazu gleich im Plural!“
Das ärgert mich jetzt aber schon ziemlich. „Dich kann´s ja nicht treffen, du hockst meistens daheim und wartest drauf, dass ich dir alles ins Haus schleppe.“
Kurt streicht mir über den Arm. „Lass gut sein, Hilde. War doch nicht bös gemeint. Jetzt erzähle mal, was da im Gäubähnle vorgefallen ist.“
Natürlich bin ich insgeheim froh, die Geschichte endlich loszuwerden. Also starte ich meine Erzählung:
„Letzte Woche Mittwoch war das, wie ich von Würzburg heimgefahren bin. Kannst du dich erinnern, ich hatte da doch so prachtvolle Äpfel am Markt mitgenommen?“
Kurt nickt. „Aber das kann´s ja nicht gewesen sein, oder?“
„Nö, klar nicht!
Also, ich hab mir einen Platz gesucht und den Trolli daneben geparkt, so ein Stückchen in den Gang rein. Das Abteil war um diese Zeit leer, am späten Vormittag fährt ja kaum einer da raus zu uns. Wie das Bähnle anfuhr, machte es einen Ruck. Na, jedenfalls kam genau in dem Moment eine junge Frau mit Kopftuch ins Abteil und stolperte prompt über meinen Trolli. Zack – der kippte um und mein schönes Gemüse landete zum Teil am Boden. Vor allem die Äpfel machten sich selbständig und kullerten durch den Gang. Ich hopste also von der Bank und sammelte die Äpfel wieder ein, die Frau half mit. Sie konnte ja nichts dafür, also schenkte ich ihr einen Apfel. Da strahlte sie mich an, holte ein Taschenmesserchen aus ihrem Rucksack und schnitt den Apfel in Viertel. Eines bot sie mir an.“
Kurt wippt ungeduldig mit dem Fuß.
„Alles schön und gut, Hilde, aber was hat das jetzt denn mit dem Artikel in der BLÖD – Zeitung zu tun?“
Es ist wirklich immer das Gleiche mit dem Mann. Er hat einfach keine Geduld!
Ich werfe ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Ja doch, warte halt mal ab!“
Gerade extra mache ich eine lange Pause und hole tief Luft.
„Die junge Dame aß natürlich selbst auch ein Apfelviertel. Und dann das zweite. Beim dritten passierte es dann …“
Pause.
So, jetzt hab ich ihn! Kurt beugt sich zu mir herüber und klopft mir auf den Oberschenkel.
„Ja, was denn nun? Mensch Hilde, lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“
Ich grinse innerlich.
„Ja, was denn nun? Das arme Ding verschluckte sich! Aber nicht eben so ein bisschen, sondern gründlich. Sie hustete und hustete, aber es half nichts. Als ihr Gesicht schon ganz rot angelaufen war, klopfte ich ihr fest auf den Rücken, aber das half auch nichts. Sie hatte ja dieses blöde Kopftuch auch um den Hals geknüpft und würgte und hustete – einfach furchtbar, sag ich dir! Als ihr Gesicht sich immer mehr lila färbte, bekam ich´s echt mit der Angst zu tun.“
Kurt ist jetzt sichtlich gefesselt von meiner Erzählung. Er rückt näher zu mir heran.
„Weiter, was hast du gemacht?“
Es ist eindeutig mein Tag! Ich räuspere mich und schnäuze ausgiebig in´s Tempotaschentuch.
„Hilde, weiter! Was hast du gemacht?“
„Na ja …“ Ich stocke. Rückwirkend finde ich es selbst ungeheuerlich.
„Ich zog die Notbremse! Ich dachte wirklich, die Arme erstickt jetzt.“
Kurt schaut mich entgeistert an.
„Ich fass es nicht! DU warst das?“
„Ja. Der Zug stoppte abrupt, mein Schneewittchen wurde auf die Sitzbank geschleudert und wohl durch den harten Stoß löste sich das Apfelstückchen, so dass sie es ausspucken konnte. Erleichtert hob ich das Messerchen auf, das ihr beim Husten aus der Hand gefallen war. In dem Moment stürmte der Schaffner laut schreiend ins Abteil. Stehenbleiben, Hände hoch und all so einen Quatsch. Das Mädel war eh von der Husterei noch fix und fertig und jetzt das! Völlig verstört war die! Ich packte den Zugmenschen am Ärmel und wollte ihm den Sachverhalt erklären. Aber für mich hatte der gar keinen Blick. Der schüttelte mich ab wie ein lästiges Insekt und brüllte mich an, ich solle mich da gefälligst raushalten, dies wäre eine Amtshandlung und seine Sache. Ich hatte vielleicht eine Wut auf den! Am liebsten hätte ich mit dem Messerchen die Luft aus dem aufgeblasenen Kerl rausgelassen. Der zerrte dann die arme Frau am Arm aus dem Abteil und verfrachtete sie in sein Dienstabteil. Von wegen gefesselt, so ein Blödsinn! Die Ärmste zitterte ja sowieso vor Angst. Ich stand ziemlich doof und hilflos da, mit dem Messer in der Hand, das ja ihr gehörte.“
Die Erzählung regt mich im Nachhinein noch auf. Ich atme tief durch.
„Der Bahnmensch hatte sich voll auf das Mädel eingeschossen! Bloß wegen dem Kopftuch, schätze ich. Wie´s aussieht, hat der dann diesen tollen Bericht an die Blöd – Zeitung geschickt oder gemeldet. Alles gelogen!“
Ich schüttle mich vor Ärger.
Kurt scheint sich auch zu schütteln. Jedenfalls sehe ich, wie sein Bauch ins Wabern kommt. Und dann prustet er los. Allerdings vor Lachen.
„Hilde, Hilde, du und deine soziale Ader! Wie oft hat die dich schon in die Bredouille gebracht? Und was aus deinem Schneewittchen geworden ist, weißt du auch nicht.“
O nein, mein Bester, da liegst du falsch!
Ich lächle meinen Mann freundlich an und säusle: „Selbstverständlich weiß ich das. Ich habe am nächsten Tag bei der Bahnpolizei in Würzburg angerufen und denen gesagt, was ich wusste. Die Dame am Telefon war auch sehr freundlich. Sie teilte mir mit, dass man die junge Muslima gleich ohne weitere Folgen für sie nach Hause geschickt habe. Eine ausführliche Verständigung war ja nicht möglich gewesen. Auf jeden Fall stammt der Unsinn da in der BILD nicht von der Polizei. Und an die Ausländerbehörde musste es nun auch nicht gemeldet werden.“
Kurt nickt anerkennend. „Das finde ich aber nun sehr anständig von dir, dass du dich da auch noch eingebracht und die Dinge richtiggestellt hast.“
Mein Lächeln steigert sich zum satten Grinsen und meine Stimme klingt zuckersüß: „Weißt du Schatz, ein Bisschen was muss man schon investieren in Nächstenliebe. Die nette Dame von der Bahnpolizei meinte übrigens, es könnte sein, dass uns demnächst ein Bußgeldbescheid zugestellt wird, wegen unsachgemäßer Betätigung der Notbremse …“
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