Von Klaus Freise

Pierre Dupont wachte auf. Seine Welt war plötzlich völlig verändert.

Keine Kameraden, keine Detonationen mehr. Es war ruhig um ihn herum.

Der Laufgraben vor ihm menschenleer, matschig vom Regen, aber leer. Die kleinen Leitern standen noch am Grabenrand in Richtung der Deutschen.

Wo waren die anderen? Er sprang auf und lief durch den Schlamm zum Kommandobunker.

Mit seinem Gewehr schob er die nasse Decke am Eingang beiseite.

Niemand zusehen. Das Feldtelefon ist unbesetzt.

In dem Raum dahinter lag niemand in den zerwühlten Betten. Die Aschenbecher voller Zigarettenstummel.

Diese Stille. Hatten die Deutschen das Feuer eingestellt? Er stürzte aus dem Bunker. Sollte er etwa einen Angriff auf den Feind verschlafen haben?

Vorsichtig schlich er zu dem Beobachtungsunterstand am Ende des Grabens.

Auch das Periskop war unbemannt. Er blickte durch das Glas. Die Erde war grau, von hunderten Granaten aufgewühlt und der Stacheldraht vor dem deutschen Schützengraben immer noch da.

Gerade als er wieder vom Beobachtungsposten herunterstieg, hörte er die Stimme hinter sich.

„Na, mein Freund, kann ich dir helfen?“

Erschrocken rutschte er die kleine Leiter hinunter und fiel in den Matsch. „Das Gewehr, wo ist mein Gewehr,“ dachte er, tastete im Matsch herum, bis er es endlich fand.

„Merde, wer sind Sie? Hände hoch.“ Bei diesen Worten hatte er sein Gewehr in den Griff bekommen. Panik stieg in ihm auf.

„Bleiben Sie stehen, oder ich schieße.“ Pierre war jetzt am Ende seiner Kraft. Hier stimmte doch etwas nicht.

„Aber ich bin doch dein Freund, nicht dein Feind.“ Der Mann kam einen Schritt näher. Er war leichenblass und seine Augen waren schwarz, ohne Iris, auch trug er keine Uniform, nur einen schwarzen Mantel. Pierre sprang auf, riss das Gewehr hoch und schoss dem Mann ohne ein weiteres Wort in die Brust.

 „Siehst du, mein Freund, genau darüber wollte ich mit dir reden.“

Pierre erstarrte. Der Mann, auf den er gerade geschossen hatte, schien völlig unverletzt. Jetzt streckte dieser die Hand aus und packte ihn an der Schulter. Pierre ließ das Gewehr fallen und schloss die Augen. Er musste nachdenken. Nur einen kleinen Augenblick nachdenken.

Dann sank er auf die Knie. Wenn er nur noch einen Augenblick Zeit hätte. Er war so müde.

 

 

Das Rütteln an seiner Schulter hörte nicht auf.

„Dupont, verdammt noch mal.“ Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.

„Dupont, sind sie verletzt? Wir haben Gasalarm. Dupont, setzen sie die verdammte Maske auf.“

Vor ihm erschien ein Helm mit einer Gasmaske darunter.

„Dupont, nehmen sie endlich Ihr Gewehr und dann raus aus dem Graben! Wir greifen an!“

Das Gewummer der Granaten, die Schreie, der kalte Regen, dieser nervtötende Matsch, der die Stiefel schwer wie Blei machte. Der Gestank von Senfgas, Tod und Angstschweiß.

Plötzlich war alles wieder da und zerrte ihn zurück.

In den Krieg.