Von Anne Zeisig

„Ich will aber auch ein Shirt und eine Shorts und Schuhe von ‘Little Rose’, Mama! Lara hat sogar einen Schulrucksack von ‘Little Rose’, Laura hat ALLE Kleidungsstücke und Dekos in ihrem Zimmer von ‘Little Rose’, die Bettdecke, die Vorhänge, einfach ALLES!“

 

„Und Lena hat ihre Jugendmöbel von ‘Little Rose’ und Liesa hat sogar die Premium Reitstunden von ‘Little Rose’, weil sie einen Sattel von ‘Little Rose’ hat!“ Ich schnaube die in mir angestaute Luft durch meine Nüstern, äh, Nasenlöcher hinaus und kreische. „Ich kann diesen Marketing-Scheiß von dieser verkackten kleinen Rose, wo den Eltern das Geld für rosarote Mädchenträume aus der Geldbörse gezogen wird, nicht mehr ertragen!“

 

Mir wird schwindelig, ich lasse den Kochlöffel fallen und setze mich. Warum machen Eltern sowas mit? Immer wieder! Und wenn die kleine Rose verwelkt ist, folgt ein rosa Einhorn; und wenn dem das Horn wegen Karies raus fällt, weil die Naschereien mit dem Einhorn so lecker sind, trötet dir ein rosa ‘Little Elefant’ von der Zahnpasta-Tube entgegen: ‘Mit Stevia gesüßt – Little Elefant – so sweet’.

 

„Du hast Scheiße und Verkackt gesagt!“ Blitzschnell hält mir meine Zwölfjährige unser ‘Familienschwein’ vor die Nase. „Zwei Euro sind fällig für böse Worte!“

 

„Böse Wörter“, hauche ich matt und ziehe mit dem Zeigefinger imaginäre Kreise auf den Küchentisch. Erhebe meine Stimme. „In diesem Fall einfach Wörter und nicht Worte!“

 

Anna (Ja! Ich gebe es zu, mit zweiten Namen Lena, äh, also – als Doppelname. Das war damals halt Mode, das mit den Doppel… )

Anna-Lena klopft mir beschwichtigend auf die Schulter. „Immer cool bleiben, Mom. Aber wenn das ‘Fluch-Schwein’ voll ist, bekomme ich vom Inhalt bestimmt einen Turnbeutel von ‘Little Rose’.“

 

Ich reiße mich vom Stuhl hoch, sause in den Keller, greife mir die Rosenschere, haste in den Garten und köpfe alle Rosenblüten, die auch nur den Anschein eines Rosa-Schimmers erkennen lassen!

„Nie mehr in meinem Leben werde ich mich irgendeinem Marketing-Konzept, oder einem Mode-Diktat beugen!“, schreie ich befreiend heraus.

 

„Recht ham S’“, sagt die Nachbarin von nebenan, „denn heuer is ja Weiß angesagt. Aber die olden Rosenstöck’ müssens S’ dann scho noch a mol ausbuddeln, damit s’ net wieder austreiben täten.“

 

 

* * *

 

Weil mich die Aktion zu viel Zeit gekostet hat, hetze ich zur U-Bahn, will nicht zu spät im Büro erscheinen. Kann froh sein, dass ich als Allein-Erziehende einen Nachmittags-Job als ‘Mädchen für Alles’ bekommen habe.

Laufe den einsamen Grünweg hinunter zur U-Bahn-Station.

„Rosenpfad“, murmele ich vor mich hin, so nennt man diese abgelegene Gasse. Und zu allem Ungemach beginnt es auch noch fies zu regnen. Ich schlage meinen Jackenkragen hoch und sprinte dem Abgang zur Bahn entgegen, weil es dort wenigstens eine Unterführung gibt. Da bin ich im Trockenen.

Dennoch halte ich hier zum ersten Mal nach einer Rose Ausschau.

Aber es gibt keine!

 

„Rosenpfad. Pah“, murmele ich. 

 

* * *

 

„Bitte! Ich muss weiter! Ich muss zur Arbeit! Kann mir nicht leisten, einen Tag zu fehlen! Hast du eine Ahnung, was ein Kind kostet? Und der Vater nicht zahlt, weil er sich Armrechnet? Kleine Kinder, kleine Kosten und Sorgen, große Kinder, große Kosten und Sorgen!“, gellt es aus mir heraus.

Und dann stapfe ich auch noch beidfüßig in diese große Pfütze!

 

Aber das kann nicht sein, denn ich bewege mich nicht, weil ich in einer Rosen-Dornenhecke gefangen bin!

Das ist kein Märchen und auch kein Traum. Ich spüre schließlich, wie der Regen durch meine Jacke kriecht und sie mir nach und nach klamm am Körper klebt.

Ich bin also bei Bewusstsein!

 

„Du hast alle rosaroten Rosen zerstört! Alle!“

 

Ich hechele nach Luft. Ein kalter Hauch legt sich über mein Gesicht.

 

„In meinem Garten kann ich machen, was ich will. Außerdem habe ich die Rosenbüsche noch nicht ausgegraben, die treiben also wieder aus.“

 

Trotz der Kälte rinnt mir der Schweiß von der Kopfhaut hinab in den Nacken, den Rücken hinunter bis … oder ist das der Regen?

Was soll das hier alles bedeuten? Ich will doch nur zur Arbeit fahren! Ich muss!

 

Die Stacheln schließen sich enger um mich. Ich spüre das unangenehme Stechen an meinem Körper. Wie arg wäre das wohl, trüge ich keine Steppjacke?

Was sage ich jeden Morgen zu Anna-Lena? „Zieh deine Jacke an!“

„Ist keine von ‘Little Rose’! Die da!“, sie zeigt auf die braune, „sieht unmöglich aus! Da lachen mich alle aus!“

 

Plötzlich höre ich ein dumpfes Geräusch, das zunehmend lauter wird und derart in meinen Ohren dröhnt, dass ich befürchte, zu ertauben.

 

„Wumm-Wumm wummwumm. Wumm-Wumm wummwumm!“

 

„Hörst du die Elefanten? Sie stampfen alles nieder! Rosa Elefanten trampeln auf allen rosa Rosenbüschen herum!“

 

„Tröröööö! Jetzt ist Elefantenzeit!“ 

“… Elefantenzeit! Elefantenzeit!“, höre ich das Echo und halte mir die Ohren zu.

 

Versuche, gegen den Lärm anzuschreien: „Ich habe die Dickhäuter nicht gerufen! Ich muss endlich zur Arbeit! Zwölfjährige haben Wünsche! Anna-Lena will sich unter den Freundinnen nicht als Außenseiterin fühlen!“

 

Vor mir tut sich eine riesengroße, rosarote Rosenblüte auf und ein Sog zieht mich hinein. Der süße Duft betört mich, macht mich leicht, lässt jegliche Schwere von mir abfallen.

Ich schwebe im rosaroten Nichts … und ein zartrosa Einhorn wirft mir seine Kusshand entgegen.

 

Version ZWEI