Von Anne Zeisig

„Ih woas net, wo wir sand auf deiner Landkarten! Du hast alleweil den Lotsendienst übernommen!“, zischt Peter in die Nacht hinein, als sie die Autobahn verlassen haben und nun an einer Kreuzung mit spärlicher Beleuchtung stehen.

Hilfesuchend blickt er sich um.

„Soll ih an einem Werktag mitten in derer Nacht bei wildfremde Leut klingeln und nach dem Weg fragen?“ Der Ehemann schüttelt den Kopf.

 

„Aber des hier wurd als Umleitung angezeigt, als wir droben auf der Autobahn waren“, wispert Maria, seine Frau, leise und blickt mit Besorgnis zu den Hochhäusern hinauf, wo nur noch hinter wenigen Fenstern Licht zu sehen ist.

Was würde sie wohl dazu sagen, wenn weit nach Mitternacht Menschen bei ihr anklingeln würden, um nach dem Weg zu fragen.

Aber auf dem Dorf in Bayern fragt ja nie jemand, weil es überschaubar ist.

 

Peter setzt sich auf den Bordstein und stützt seinen Kopf zwischen die Hände. „Mir sand ka Hiesige net! Kruzifix noch a mol. Ums Verrecka sprech und versteh ich derer Sprachen net.“ Er steht auf, reckt sich und stöhnt über seine steifen Gelenke.

 

„Seit wann hast ‘s Gelenkrachen?“, fragt die Ehefrau. „Und seit wann fragst du Leut nach dem Weg. Dös muss ih doch alleweil machen! Auch Dahoam.“ Sie setzt sich neben ihren Mann.

 

„Musst so laut sein? Willst das Viertel aufwecka?“ Er blickt sich um. Eine ungepflegte Rasenfläche vor dem Hauseingang, wo ein Fußball einsam darauf liegt, die Hecke nicht geschnitten und Gebäudemauern, die mit Graffitis verunstaltet worden sind. „Wenn wir hier netta nich verschwinden täten, dann kriegen wir ‘s auf d’ Rüben und wern ausgeraubt.“

 

Die Ehefrau schüttelt resigniert den Kopf. Derer Reise war eine hirnrissige Idee der Ehetherapeutin.

„Du und Dei Vorurteile“, flüstert sie mehr zu sich selbst. Maria zeigt an den Hochhäusern hoch: „Da schau! Geranien auf manche Balkone! Wie dahoam!“

 

„Maderl!“ Nun wird er lauter. „Schau dih um!“ Und bewegt seinen Kopf ruckartig hin und her. „Dös ist dö Bronx! An Fixerviertel!“

 

Sie kickt mit ihrem Fuß ein Steinchen auf die Straße. „Du sollst mich net mit derer Verkleinerungsform anreden, hat Frau Doktor gesagt.Weil ih an erwachsene Frau bin und ka Maderl nit.“

 

„Ach!“ Er reißt sich die Brille von den Augen und spielt damit herum: „Und warum ist a erwachsenes Weiberl net in der Lage, an Umleitung zu finden?“ Er zeigt auf das Auto. „Weil s’ koa Karten nit lesen kann!“

 

„Tust ja grad so, als sei ih zu blöd zum Autofahren!“ Maria schiebt trotzig ihre Unterlippe nach vorne. „Dabei wärs alleweil besser für dei Knochen, wennst Beifahrer wärst und du dene Plan dei Muader lesen tätest und ih würd alleweil hinterm Steuer sitzen.“

 

„Dasst Bescheid weißt!“ Sein Gesicht läuft rot an. „Lass mei Muada ausm Spiel! Und mei Auto is mi gewohnt! Und derer Landkart is dei Sach seit alleweil dreißig Joahr.“

 

Maria kickt den nächsten Stein über die Straße. „Frau Doktor hat gesagt, an Rollenwechsel nach all derer Zeit täte uns gut.“ Sie blickt ihn funkelnd an: „Ih foahr und du liest d dämlichen Karten!“

 

„Dei Frau Doktor!“ Er winkt ab, holt die Karte aus dem Auto und wendet sie unter der Laterne hin und her, dreht sie abermals, faltet sie auseinander und knickt sie wieder ein. „Herrschaftszeiten noch a mol, bei dene Funzellicht erkennst halt nichts.“ Und drückt ihr den Plan in die Hand. „Ih wollt nur a bisserl Ruhrgebietskultur schnuppern für a Woch, weils alleweil von der Mentalität derer Leut redn täten! Und wo bin ih nun?“

 

Maria spielt nervös an ihrem Zopf herum und schreit wütend: „Bisher hab ih uns alleweil ans Ziel g’führt!“ Sorgfältig faltet sie die Karte zusammen und steckt sie in ihre Jackentasche. „Sand allemal guat ans Ziel gekomma in all di Jahr.“

 

„Ja!“, zetert ihr Mann aufgebracht, „aber nur über Umwege und Umleitungen!“

 

Plötzlich geht an einem der oberen Balkone mit den Blühpflanzen Licht an und ein Mann ruft herunter: „Ey Alter! Wenn du deiner Tussi anne Wäsche willst, dann kriegste dat mit mir zu tun! Ich bin der Manni! Und hier inne Siedlung tanzen alle nach meiner Pfeife, dat dat klar is!“

 

Peter sinkt abermals auf den Bordstein nieder und flüstert verzweifelt: „Ausland! Ih versteh ka Wort netta nit!“

 

„Mir wolln nach Dortmund!“, ruft Maria hinauf, „Wegen derer Menschenschlag! Sand ma da richtig?“

 

„Aber klaro!“, dröhnt die sonore Männerstimme hinab. „Hier is Dortmund-Hörde! Und wenne deinen Mackerpenner loswerden wills, dann kommste hoch zu mich und ich zeich dir morgen den stillgelegten Hochofen!“ Er macht eine kleine Pause und zieht die Träger seines Unterhemdes zurecht. „Dat is Ehrensache! Manni steht zu seinem Wort! Ich hab da malocht, bis dat Feuer erloschen is!“

 

Maria geht zum Kofferraum, hievt ihre Reisetasche hinaus, macht zwei Kreuzzeichen, wirft eine Kusshand zu ihrem Erlöser hinauf und geht eiligen Schrittes auf den Hauseingang zu. „Dortmund! Da bin ih richtig! Grüaß Gott!“ Theatralisch wirft sie den Plan ihrer Schwiegermutter in den Rinnstein.

 

„Aber Maria“, jammert Peter, „kannst doch d’ Autobahn-Karten von mei Muada netta nit wegwerfa nit!“ Er bückt sich und hebt den Schnittmusterbogen auf.

Aber dass es ein solcher ist, wissen er und seine Frau nicht.

 

„Klingel bei Patrulowski!“, tönt es von oben herab. „Bei mich biste in Sicherheit vor dein ungehobeltet Rüpelmänneken! Ich hab noch Kaviar und nen Bier inne Kühle!“ 

 

„Dös wiad ma schmeckn!“, ruft Maria hinauf und drückt auf den Klingelnopf. „An Bier kann ih gut vertrag’n!“

 

 

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