Von Eva Fischer

„Because I’m happy clap along if you feel like a room without a roof“

 

Mona trommelt auf das Lenkrad, während sie lauthals den Song aus dem Radio mitsingt.

„He, pass auf den Verkehr auf! Wir wollen schließlich noch heil zu Hause ankommen“, mahnt Fred. 

Vierhundert Kilometer haben sie schon geschafft. Zweihundert Kilometer fehlen noch. Sie sind früh aufgebrochen und die Autobahn war wider Erwarten leer. Mona fährt jetzt 160 km/h, obwohl sie sich sonst auf 130 km/h beschränkt.

„Das Auto fährt ganz von selbst“, lächelt sie ihrem Ehemann zu.

„Ich habe in einer Zeitung gelesen, dass einem Fahrten nach Hause kürzer vorkommen als Fahrten zum Urlaubsort. Und weißt du, woran das liegt?“

„Nein, aber du wirst es mir sagen.“

„Das Unbekannte kommt einem länger vor als das Bekannte.“

„Ach, ist das so? Ich finde allerdings unser Urlaub ist blitzschnell vergangen und da war nichts Bekanntes dabei“, wendet Mona ein.

Sie denkt an die malerischen Orte, die herrlichen Spaziergänge, wo an jeder Ecke etwas anderes auf sie wartete, – mal eine Kuh, mal ein tolles Panorama, mal ein Gespräch mit anderen Wanderern, – an das Schwimmen im See, an die flauschigen Abende auf der Terrasse mit einem Glas Weißwein…

„He, fahr langsamer! Siehst du nicht, dass da hinten ein Stau ist!“

Mona tritt auf die Bremse.

„Mist! Nun bleiben wir doch nicht verschont. Bestimmt wieder so eine doofe Baustelle.“

 

Als sie das Stauende erreicht haben, geht nichts mehr. Auf der rechten Spur reiht sich LKW an LKW. Bisher hat ihnen die Klimaanlage angenehme Temperaturen beschert, obwohl das Thermometer für draußen 37 Grad anzeigt, aber nun, da sie stehen, stellt Mona den Motor ab. Wie ein Kaninchen die Schlange starrt Mona das Fenster an. Soll sie die Hitze hereinlassen? Die Hitze kommt ungefragt durch das geschlossene Fenster, dringt langsam, aber unaufhaltsam in Monas Körper, so dass sie die Tür aufreißt, nach Luft schnappt.

„Was ist hier überhaupt los?“, will Mona wissen. 

Das Radio bringt keine Verkehrsmeldung über die A 5. 

Wenig später ertönt ein lautes Tatü Tata. Eine Kolonne von roten und grünen Fahrzeugen nähert sich. Feuerwehr, Polizei, Rettungswagen. Aus dem Lautsprecher tönt es: „Bilden Sie eine Rettungsgasse!“ Mona quetscht sich an den Rand. Die Lkws haben keinen Spielraum mehr. 

„Das kann länger dauern“, meint Fred und versinkt in stoische Ruhe. Mona dagegen will wissen, was passiert ist. Auch die anderen Autoinsassen haben teilweise ihren Wagen verlassen, doch die Rettungsmannschaften haben bereits einen Sichtschutz aufgestellt. Aber ein LKW-Fahrer hat dennoch eine Info. Zwei Laster haben sich touchiert. Gefahrengut ist ausgelaufen. Ein PKW ist leider eingekeilt. Das wird zwischen 4 bis 6 Stunden dauern, bis die Autobahn wieder frei ist. 

Wenn es nicht so heiß wäre, würde Mona aufgrund der Nachricht vor Schreck erbleichen, so aber spürt sie, wie die durch die Hitze bedingte Röte ihr Gesicht überzieht. Nur bei den hohen LKWs ist ein bisschen Schatten zu finden und so zwängt sie sich zwischen zwei Kolosse. Eine andere Autofahrerin tut es ihr gleich. Sie bietet Mona Wasser an, aber diese lehnt ab, weil sie nicht weiß, wie sie das Wasser in den nächsten Stunden wieder loswerden kann. Die andere Autofahrerin sieht das lockerer und klettert über die Bande, hockt sich ins Gras. Sie bittet Mona, inzwischen auf ihr Auto aufzupassen. Als ob ein Dieb irgendeine Chance hätte, es zu stehlen, schmunzelt Mona. 

Die beiden Frauen erzählen sich ihr Leben, zumindest in groben Zügen. Das hat den Vorteil, dass die Zeit nicht so unerbittlich langsam dahinschleicht. 

„Wenn wir hier alle einen Hitzeschock kriegen, haben wir ja Ansprechpartner bei den Sanitätern“, witzelt Mona und denkt an die Schauergeschichten von zurückgelassenen Babys und Haustieren in überhitzen PKWs auf Parkplätzen.

Und tatsächlich irgendwann tut sich etwas, genauer gesagt nach über zwei Stunden! Die Frauen sehen, wie die ersten PKWs weiter vorne in der Schlange umdrehen und eilen zu ihren Autos.

Ein Polizeiwagen fährt an der Spitze und geleitet die jetzt amtlich genehmigten Falschfahrer rückwärts bis zur nächsten Ausfahrt. Fred, Mona und all die anderen sind erleichtert und stellen sofort die Klimaanlage an. 

 

Wie geht die Geschichte nun weiter?

 Hier kommt Monas Vorschlag: 

 

Das ist ja noch mal glimpflich verlaufen“, sagt Mona zu Fred.

„Wir hätten der eingequetschte PKW sein können und wir hätten noch Stunden weiter auf der Autobahn braten können.“

Aus den Augenwinkeln betrachtet sie ihren Helden, der sich nicht aus der Ruhe hat bringen lassen. Nur weg von dieser schrecklichen Autobahn, denkt sie und  nimmt Fahrt über die Landstraße Richtung Rhein. Dort finden sich idyllische kleine Örtchen.

„Ich habe einen Wahnsinnsdurst. Du auch?“, wendet sich Mona an Fred.

Gemeinsam steuern sie einen Gasthof an, direkt am Fluss gelegen. 

„Liebling, was hältst du davon, dass wir unseren Urlaub um einen Tag verlängern. Am Sonntag gibt es keinen LKW-Verkehr. Da kommen wir dann besser durch.“

Fred ist einverstanden. Hand in Hand schlendern sie zum Gasthof, mieten ein Zimmer für eine Nacht. Erst nimmt Mona eine Dusche, dann Fred, dann landen beide ermattet auf dem frisch überzogenen großen Bett.

Etwas später, als die Hitze nachgelassen hat, schlendern sie den Treidelpfad entlang, setzen sich auf die Terrasse des Hotels, trinken ein Viertel Rheinwein, bestellen ihr jeweiliges Lieblingsgericht: Fred, Wiener Schnitzel und Mona, Nizzasalat.

Sie sehen, wie die Sonne als glühender Ball über den Rhein untergeht. Fred legt den Arm um Mona und küsst sie wie schon lange nicht mehr.

Das ist der Sinn des Urlaubs, dass der Stress abfällt und wir zu unseren ursprünglichen Gefühlen zurückfinden, denkt Mona beglückt.

 

Das ist Freds Vorschlag. Er ist naturgemäß kürzer:

 

Ein Glück, dass die Warterei ein Ende hat. Nun will ich aber wirklich auf dem schnellsten Wege nach Hause. Dort wartet ein kühles Pils auf mich und außerdem die Sportschau. Schließlich will ich wissen, wie das Spiel von Fortuna ausgegangen ist.

Also, Monas Idee zu übernachten ist wirklich hirnverbrannt. Wir hatten jetzt genug Urlaub. Irgendwann muss auch gut sein. 

 

Wie in der Ehe üblich läuft es auf einen Kompromiss hinaus. Fred übernimmt das Steuer. Zwar fahren sie die romantische A 61 entlang und es gibt auch einen kurzen Stop, um den Wasserhaushalt erneut zu regulieren, aber ab dann geht es auf der Zielgeraden heimwärts.

Jeder ist mit eigenen Gedanken beschäftigt. Mona denkt vermutlich, wie schade es ist, dass Männer so wenig flexibel sind. Fred hingegen hat nur die sich nahende Zukunft im Auge.

 

So entgeht ihnen auch, dass sich am Himmel etwas zusammenbraut. Es wird dunkel, obwohl es erst 17 Uhr ist. Das Außenthermometer stürzt auf 18 Grad ab.

Plötzlich kracht etwas auf das Autodach, als ob eine Bande Jugendlicher Steine von der Brücke wirft. Gleich darauf nimmt Fred ein Schwall Wasser die Sicht. Der Scheibenwischer rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her, ohne die geringste Chance, die Wasserfluten zu bändigen. 

„Was ist das denn?“ Diesmal ist Mona wirklich blass geworden.

So etwas hat sie noch nicht erlebt. Sie sieht, wie die PKWs neben ihnen durch meterhohes Wasser schlindern, als habe sich die Autobahn in einen reißenden Fluss verwandelt. Zudem scheinen die Frontscheiben jeden Augenblick in tausend Stücke zerbrechen zu wollen. Der Krach der Hagelkörner ist ohrenbetäubend. Fred hat abgebremst und fährt im Schritttempo weiter. Unter einer Autobahnbrücke sieht er mehrere PKWs, die sich wie Schafe aneinandergedrückt haben aus Furcht vor dem Wolf. Fred parkt hinter dem letzten, schaut aber immer wieder angstvoll nach hinten. In dieser Waschküche kann keiner etwas sehen und die Gefahr ist groß, dass ihnen einer reindonnert. 

 

Doch so wie das Unwetter aus dem Nichts kam, so verschwindet es nach einer viertel Stunde wieder. Der Autokonvoi unter der Brücke löst sich vorsichtig auf. Noch fünfzig Kilometer zum Zielort.

 

Fred geht in die Küche zum Kühlschrank, wo das gekühlte, wohl verdiente Bier auf ihn wartet. Mona steigt die Treppe hoch, um den Koffer auszuräumen.

Da hört Fred verzweifelte Schreie. Er eilt ins Schlafzimmer. Die Balkontür steht sperrangelweit auf. Auf dem verschmutzten Boden liegen verstreut Kleidung, Aktenordner, Krimskrams aus den Schubladen. 

„Die haben meinen Schmuck geklaut, den schönen Ring und die Kette, die du mir geschenkt hast“, schluchzt Mona. Sie hatte ihn extra nicht mitgenommen, damit er ihr im Urlaub nicht gestohlen wird. 

Fred eilt zu dem Regal, wo er in dem Cover einer Stones DVD das Sparbuch versteckt hat. Auch das ist weg.

„Sie hatten ja genügend Zeit, alles zu finden“, stellt Fred lakonisch fest und ruft die Polizei an.