Von S.M. Syrch

Er öffnete langsam die Augen, zögerlich, denn die Kopfschmerzen waren unerträglich. Durch die schmalen Schlitze in der Wand drang gleißendes Licht in den sonst dunklen Raum. Er versuchte die Augen mit der Hand zu verdecken, doch er war gefesselt. Ich wurde entführt, durchfuhr ihn sein erster Gedanke zeitgleich mit einem Kribbeln, zuerst kaum spürbar, doch rasch wurde es stärker und seine Muskeln verkrampften sich schmerzhaft, unfähig sie kontrolliert zu bewegen.

„Schön, du bist wach“, vernahm er die Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes. Er konnte nichts erkennen, auch kam ihm hier nichts bekannt vor, schon gar nicht die Stimme des Fremden.

„Wer sind Sie?“

„Das tut nichts zur Sache, halten wir uns nicht mit Nebensächlichkeiten auf“, sagte der Fremde mit einer tiefen, melodischen Stimme. Er könnte Sänger sein, an der Oper einen Vertrag haben, kombinierte der Gefesselte, doch er kannte niemanden mit diesem Talent. 

„Was wollen Sie?“

„Tu nicht so, wie wenn du es nicht wüsstest!“

„Was wollen Sie? Kennen wir uns?“

„Ach so, du spielst den Ahnungslosen. Wenn du das möchtest, dann steige ich gerne darauf ein“, und der Fremde lachte hämisch.

„Lassen Sie mich gehen, Sie verwechseln mich. Ich weiß nicht, was sie von mir wollen!“, sagte der Gefesselte mit Nachdruck und hoffte auf seine Freilassung.

Das Kribbeln wurde wieder spürbar, diesmal stärker und seine Muskeln verkrampften sich schmerzlich.

„Spürst du das? Dieses Kitzeln, angenehm, nicht wahr? Doch wehe, es wird stärker, dann kann es schmerzhaft werden, bis hin zum Tod“, erklärte der Entführer in einem sachkundigen Ton.

„Ich bin weder reich noch berühmt, ich kann Ihnen nichts geben. Warum tun Sie das?“ fragte er nun etwas verunsichert, denn er konnte sich die Motive des Fremden nicht erklären.

„Das weiß ich doch und darum geht es mir auch nicht. Ich will kein Geld. Ich will Rache!“

Nun war es heraus, durchzuckte es den Gefesselten, doch was habe ich getan, damit mich dieser Mann so hasst und möglicherweise sogar meinen Tod in Kauf nimmt. Der Strom floss nun ständig intervallartig durch seinen Körper. Er schätze es auf vier bis fünf Sekunden, bis der nächste anschwellende Stromstoß wiederkam. Würde er die Frequenz erhöhen, blieb ihm nur wenig Zeit zum Verschnaufen und um klar denken zu können.

„Was habe ich getan, dass sie mich so quälen?“.

„Es interessiert dich also doch. Schön, dann will ich es dir erzählen. Du hast meine Frau auf dem Gewissen“, fauchte der Entführer.

„Ich kenne Sie nicht, woher soll ich dann Ihre Frau kennen? Wer war sie?“ presste der Mann nun unter Schmerzen hervor.

„Maura“, hauchte er und beobachtete dabei sein Opfer genau. Dieser zuckte bei dem Namen zusammen und Bilder einer dunkelhäutigen Frau tauchten vor seinem inneren Auge auf. Sie war jener Typ Mensch, dessen Nähe man suchte. Wenn sie einen Raum betrat spürte man, wie alle den Atem anhielten und sich nach ihr den Kopf verrenkten, denn sie war eine Erscheinung. Ihre Aura umgab Maura wie ein gold-glänzendes Licht, zu schön, um von dieser Welt zu sein, zu fremdländisch und exotisch, und er liebte sie über alles. 

„Du erinnerst dich also.“

„Ja“, hauchte er, kaum hörbar, denn die Sehnsucht nach ihr nahm ihm jegliche Kraft, doch für den Entführer eine Genugtuung, denn zu lange hatte er auf den Moment der Rache gewartet. 

„Was ist mit ihr“, versuchte er auf Zeit zu spielen.

 

„Du hast sie getötet“, Schritte knirschten auf dem sandigen Untergrund und wirbelten kleine Staubwolken auf. Die Lichtstrahlen bahnten sich mühsam ihren Weg durch die schmutzige Luft und wurden alsbald wieder gleißend hell, als der Sand zu Boden sank. „Du warst es, der ihrem Leben ein Ende bereitet hat. Du wirst denselben qualvollen Tod sterben wie Maura. Ich werde dich quälen, bis du vor Schmerzen schreist und dann werde ich noch lange nicht aufhören. Ich werde solange weiter machen, bis jeglicher Funken Leben aus deinen Adern weicht und du elendig zugrunde gehst.“ Wieder lachte er hämisch und es steigerte sich in ein hysterisches Gekreische eines Wahnsinnigen. 

„Ich war es nicht. Ich habe nichts Unrechtes getan“, versuchte sich der Entführte zu rechtfertigen, obgleich er wusste, dass der Fremde die Wahrheit sprach, und suchte nach einem Ausweg diesem Alptraum zu entkommen.

Ruhig antwortete der Mann von Maura: „Ich habe sie in der Badewanne gefunden. Leblos trieb ihr wunderschöner Körper im Wasser. Ihr dunkles Haar hing ihr in Strähnen in die Stirn und bedeckte nur dürftig ihre weit aufgerissenen Augen. Ihre prallen Lippen, ihr sinnlicher Mund, schmerzverzerrt. Das nennst du nichts Unrechtes getan? Sie musste unter qualvollen Schmerzen gestorben sein. Du hast die Elektrik installiert. Ich werde dich nicht davonkommen lassen“, die letzten Worte spie er ihm voller Wut entgegen.

Der Entführer stand ihm nun gegenüber. Das Licht umspielte seine Silhouette, dennoch waren die hervortretenden Adern auf seiner Stirn und der hasserfüllte Blick kaum zu übersehen. Er erhöhte das Stromintervall. Die Muskeln zuckten, die Gliedmaßen verbogen sich trotz der Fesseln unnatürlich der Anatomie und litten unter dem stechenden anschwellenden Strom.

„Sie wollte es“, presste er hervor, ohnmächtig sich zu wehren oder noch klar denken zu können, „sie hielt es nicht mehr aus. Ihre Medikamente waren rationiert, eine Überdosis war somit ausgeschlossen. Maura wollte nur noch sterben.“

„Du lügst“, schrie der Entführer und kam bedrohlich näher, die Faust wie zum Hieb erhoben, bereit jederzeit zuzuschlagen.

„Maura hat mich ersucht die Steckdose im Bad zu manipulieren. Sie hielt die Schmerzen nicht mehr aus. Dies erschien ihr der einzige Weg zu sein, ihrem Leben ein Ende zu machen.“

„Du Mörder, du lügst, niemals hätte sie das gemacht!“ Er drehte den Strom rasant in die Höhe, wohlwissend, dass der Tod seines Opfers nur noch eine Frage der Zeit war.

„Ich bereue es nicht, sie war verzweifelt und ich hatte die Mittel ihr zu helfen“, stöhnte der Gequälte mühevoll hervor.

„Verrecke“, brüllte der Entführer, „ich muss nochmals weg“, dabei drehte er den Strom bis zum Anschlag und starrte wütend auf den Gefesselten hinab, „und wenn ich wiederkomme, bist du hoffentlich tot!“

Wie Blitze durchzuckte der Strom den Körper, schwallartig riss es ihn beinahe aus dem Sessel. Die Fesseln schnitten sich tief in die Haut, während sich die Gliedmaßen unkontrolliert verbogen. Es stank nach verbrannter Haut und nach Urin, auch Erbrochenes mischte sich in den Strudel aus Gerüchen. Zuckend, keuchend, hing der Mann am Sessel, die Augen quollen ihm aus dem Kopf und Schaum trat aus seinem Mund. Der letzte Atemzug entwich zischend, wie bei einem Schlauchboot, dem die Luft ausgeht. Er hörte durch die geschlossene Tür den Todeskampf mit an, zu groß war der Ekel und die Angst es mit eigenen Augen mitanzusehen, dann sank er zu Boden und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Es war vollbracht, er hatte seine Rache gehabt. Weinend krümmte er sich zusammen, schluchzte wie ein verwundetes Tier und hämmerte mit den Fäusten auf den sandigen Boden. Wieso nur fühlte er sich nicht besser, er war ein Mörder, und dennoch allein, denn Maura brachte ihm diese Tat nicht zurück!