Von Ingo Pietsch

Die Garage schloss sich mit einem fast lautlosen Klicken.

Felix Hartmann schaltete seinen Wagen aus. Er zog sein Smartphone aus der Halterung und wollte es in seinem Jackett verschwinden lassen, als es anfing zu vibrieren. Es war auf lautlos gestellt, weil er die Ruhe bei guter Musik auf der Heimfahrt genoss.

Die EDV-Abteilung war dran.

„Hartmann“, meldete er sich leicht genervt. Er hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er heute Abend nicht gestört werden wollte. 

Es war sein Hochzeitstag und die Kinder waren bei ihren Eltern untergebracht.

Trotzdem schien der Anruf wichtig zu sein.

„Herr Hartmann, es gibt hier große Software-Probleme mit den Automaten, die sich im Experimentierstadium befinden. Sie machen absolut nicht mehr, was sie sollen und scheinen ein Eigenleben entwickelt zu haben.“

„Dann schalten Sie sie einfach ab.“ Felix fischte noch die Aktentaschen und den Blumenstrauß vom Beifahrersitz, während er sich das Handy zwischen Kinn und Schulter geklemmt hatte.

„OK, dann geht die komplette Abteilung bis nach dem Wochenende in den Shutdown.“

Felix machte noch seinen routinemäßigen Blick durch die Garage, bevor er ins Haus wollte.

Alles war ganz normal, bis auf das Garagentor, das einen Spalt offen stand. Felix wunderte sich. Hatte es sich nicht gerade mit einem Klicken geschlossen?

Er drückte den Schalter an der Wand und es schloss sich vollständig, nur um einen Moment später wieder ein Stück hochzufahren.

„Ja, wir kümmern uns nächste Woche darum. Schönes Wochenende noch“, leicht irritiert legte Felix auf und prüfte, ob nicht etwas unter dem Tor lag und es aus Sicherheitsgründen wieder hochfuhr – aber da war nichts.

Schließlich schloss er die Garage noch einmal und sie blieb zu.

Das Licht ging von allein aus und so betrat er das Haus durch einen kurzen Korridor.

Er stellte die Aktentasche weg, zog sich Puschen an und ging in die Küche, wo seine Frau ein leckeres Abendessen vorbereitet hatte, das sie gerade ins Esszimmer brachte.

Sie trug ein schlichtes, schwarzes Abendkleid mit großzügigem Ausschnitt vorne und hinten, welches sie nur an besonderen Tagen anhatte. Er mochte das Kleid.

Das Licht war gedimmt und im Kamin brannte ein Feuer.

„Hallo, Schatz“, sagte er und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, da sie zwei Teller mit Essen an ihm vorbeitrug. Er stellte den Strauß in eine Vase und folgte ihr.

Nachdem sie beides abgestellt hatten, umarmten sie sich und gaben sich einen innigen Kuss.

„Alles Gute zum Hochzeitstag!“, sagten sie fast gleichzeitig. Sie mussten lachen und küssten sich noch einmal.

„Lass uns essen, bevor es kalt wird.“ Felix begleitete seine Frau zu ihrem Platz und schob den Stuhl zurecht.

„Das kenne ich gar nicht von dir“, bemerkte sie mit einem Lächeln. So aufmerksam war er sonst nicht zu ihr, auch wenn sie sich gut verstanden.

Er küsste ihren Nacken und seine Hände rutschten langsam ihren Hals Richtung Dekolletee, was sie sichtlich genoss. Trotzdem nahm sie seine Hände in ihre und meinte: „Das heben wir uns für den Nachtisch auf.“

Er gab ihr noch einen Kuss und begab sich auf seinen Platz ihr gegenüber.

Sein Jackett vibrierte und er zog automatisch sein Handy hervor.

„Schon wieder die Firma. Ich hatte extra gesagt, dass ich nicht gestört werden will. Darf ich?“

Seine Frau zog eine Augenbraue hoch und begann schon zu essen.

Felix drehte sich weg. „Was ist denn?“

„Herr Hartmann, es tut mir leid, Sie schon wieder stören zu müssen, aber nicht nur die Maschinen, auch die Computer haben Probleme. Irgendjemand hat sich ins System gehackt.“

Felix blickte wütend, was seine Frau aber nicht sehen konnte.

„Dieser verdammte Entwickler. Fahren Sie alle Systeme herunter und gehen Sie offline!“

„Aber es kann Tage dauern, bis alles wieder online ist.“

„Tun Sie, was ich sage. Ich kann von hier aus eh nichts tun.“ Felix beendete das Gespräch und legte sein Handy auf die Sofalehne.

„Entschuldige, es war wirklich wichtig. Ich weiß, es ist unser Abend.“

Sie lächelte ihn mitfühlend an: „Ich bin schon froh, dass du heute früher von der Arbeit nach Hause gekommen bist.“

Sie strich sich unbewusst eine Haarsträhne von der linken Schläfe und befühlte die kaum sichtbare Narbe. Darunter befand sich ein Microchip, der sie vor dem Rollstuhl bewahrte. Dieser und ein paar andere Chips in ihrer Wirbelsäule.

Die Technik war auf dem Markt noch gar nicht zugelassen, aber Felix hatte es sich nie verziehen, dass eigentlich er seinen Sohn vom Fußballtraining hatte abholen sollen. 

Vielleicht wäre es dann gar nicht zu dem Autounfall gekommen, an dem seine Frau nicht einmal Schuld hatte.

„Und, wie war dein Tag so?“, wollte Felix wissen, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.

„Ach, das Übliche. Hm, ich soll dich von meinen Eltern grüßen. Und ich hatte einen Anruf von deiner Mutter. Sie möchte jetzt doch ein Smartphone, um mehr Kontakt mit ihren Enkeln zu haben, wie sie sagt.“

„Warum ruft sie mich dann nicht an?“ Felix war ein bisschen sauer.

„Aber nur was ganz Einfaches. Sie schämt sich ein bisschen, weil du es ihr so oft angeboten hast“, fügte sie hinzu und kratzte sich wieder an der Narbe.

Felix bemerkte es: „Alles in Ordnung?“

„Ja, ist wahrscheinlich nur der Wetterumschwung. Wir haben ja schon Herbst und es wird deutlich kühler draußen.“

Um das zu unterstreichen, prasselte das Feuer im Kamin extra laut.

„Und wie ist es bei dir so?“

Eigentlich mochte seine Frau es nicht, wenn er zu viel über die Arbeit erzählte. Deswegen fasste es sich kurz: „Wir hatten heute einigen Streit mit unserem Chefentwickler. Auch wenn er maßgeblich an unseren Erfindungen beteiligt ist, hat er doch völlig überzogene Gehaltsvorstellungen. Ich musste ihm kündigen.“

„Oh, und jetzt habt ihr Stress in der Firma?“

Bevor Felix antworten konnte, schaltete sich der Fernseher ein und eine Nachrichtensondersendung lief: „ …kam gerade die Eilmeldung herein, dass der Chefentwickler von Hartmann Systems die Stadt bedroht, wenn die Firma ihm nicht in einer von ihm gestellten Frist eine Abfindung von 10 Millionen Euro zahlt.“ Es wurde ein Audio eingespielt, die Nachrichtensprecherin lauschte.

„Sie kennen mich nicht. Und das ist mir auch egal. Ich will nur, was mir rechtmäßig zusteht. Und es soll auch niemand zu Schaden kommen. Als Beweis meiner Fähigkeiten werde ich sämtliche Geldautomaten freischalten, so dass jeder so viel Geld abheben kann, wie er will.“

Felix Handy surrte. Dabei rutschte es langsam von der Lehne. Felix fing es auf und nahm ab.

„Ich hätte das Geld gerne innerhalb der nächsten zwei Stunden. Dann lasse ich Sie für immer in Ruhe.“

„Erstens kann ich das Geld in so kurzer Zeit nicht besorgen und zweitens haben wir über Ihre Wünsche schon ausführlich diskutiert.“

Der Chefentwickler holte tief Luft: „Sie wissen, was ich wert bin. Ich habe Ihre Firma zu dem gemacht, was sie heute ist. Ich habe den Mastercode für ihre gesamte Technik geschrieben.“ Felix sah seine Frau an. Sie blickte ängstlich zurück und befühlte wieder ihre Narbe. „Ich kann sämtliche Ampeln in der Stadt auf Grün schalten oder die Telekommunikation lahmlegen. Ich beherrsche alles, was mit Hartmann Systems funktioniert oder vernetzt ist. Überlegen Sie sich das noch einmal ganz genau!“

Felix dachte nach. Im Fernsehen konnte man sehen, wie die Scheine förmlich aus einem Automaten herausflogen.

„Nein, ich werde auf Ihre Forderung nicht eingehen.“

„Gut, aber ich weiß, dass ihre Kinder bei Ihren Schwiegereltern sind.“ Damit war das Gespräch beendet. 

Die Hausbeleuchtung flackerte kurz auf.

„Warum zahlst du nicht einfach?“, meinte seine Frau. „Es ist doch nur Geld und wir haben genug davon.“

„Damit ich ihm Recht gebe? Damit er noch mehr verlangt? Ich werde jetzt zu den Kindern fahren und dann zur Polizei. Am besten kommst du mit.“

„Ja“, sagte sie geistesabwesend. „Ich zieh mir nur schnell was über.“

Felix ging zum Korridor, der zur Garage führte, und gab den Code für die Alarmanlage ein. Mehrmals sogar, aber die Tür öffnete sich nicht.

Er wollte zurück ins Haus, als seine Frau vor ihm stand. Sie war wunderschön, in ihrem Abendkleid, doch hatte sie einen völlig leeren Blick.

Langsam hob sie ihre rechte Hand. Ein scharfes Küchenmesser blitzte auf.

Felix ging einen Schritt rückwärts, doch sie griff ihn nicht an. 

Stattdessen trieb sie die Spitze ganz langsam in ihre Schläfe, dort wo die Narbe war.

Ein feines Rinnsal Blut lief ihre Wange herunter, bevor sie auf der Stelle zusammenbrach.

Felix sprang zu ihr hin und nahm sie in seine Arme, während seine Frau in Tränen ausbrach.

Sein Smartphone spielte die Melodie der Ratesendung Jeopardy und schaltete automatisch auf Lautsprecher: „Jetzt wissen Sie, wozu ich fähig bin. Zwei Stunden. 10 Millionen. Und ich weiß immer noch, wo Ihre Kinder sind.“

Die Tür öffnete sich mit einem Klicken, das Garagentor fuhr hoch und das Elektroauto startete.

Felix Hartmann hatte verloren.