Von Monika Heil

Wolfgang kommt nach Hause wie jeden Tag – zur gleichen Uhrzeit, mit den selben, fast rituellen Abläufen. Er dreht den Schlüssel im Schloss und stößt mit dem Fuß die Eingangstür auf. Mit einem dumpfen Ton fällt sie wieder zu. Er wischt seine Schuhe an der groben Fußmatte ab und lässt gleichzeitig den Schlüsselbund klirrend auf die Ablage der Flurgarderobe fallen. Dann versucht er, seine Aktentasche zu öffnen. Mit einem metallischen „Klick“ springen die Schlösser auf. Kurz darauf betritt Wolfgang die Küche, die Thermoskanne in der rechten, die Tupperdose in der linken Hand. Die Tageszeitung hat er unter den Arm geklemmt.

 

Anita hasst diese Feierabendgeräusche, den immer gleichen Ablauf, die immer gleiche Stimmung, die Umarmung mit vollen Händen, den flüchtigen Kuss auf ihre linke Wange. Sie hasst ihre immer gleiche Frage:

„Wie war´s heute?“, kennt die tägliche Antwort.

„Ganz gut.“

„Was Neues?“

„Nein.“ Er lügt, kann nicht anders.

Anita seufzt fast unhörbar. Seit zweiunddreißig Jahren der gleiche Dialog. Und dennoch. Heute ist es etwas leichter für sie. Die Koffer stehen gepackt im Hausflur. Urlaub! Für vierzehn Tage raus aus dem Alltag. Endlich mal wieder weg.

„Essen ist gleich fertig“, ruft sie ihrem Mann nach. Sie hört, wie er die schmale Treppe zum oberen Stockwerk hinauf geht und die Badezimmertür schließt. Kurz darauf registriert sie die Wasserspülung.

 

Nach wenigen Minuten verlässt Wolfgang das Bad, geht ins Schlafzimmer und hängt sein Jackett sorgfältig auf einen Bügel. Mangels anderem Platz in der beengten Wohnung steht dort auch sein Schreibtisch. Er öffnet das stets verschlossene unterste Fach, greift nach seiner darin versteckten Pistole und verlässt äußerlich ruhig den Raum.  Langsam steigt Wolfgang Stufe um Stufe wieder hinunter. Auf dem Absatz im Erdgeschoss bleibt er nicht stehen, schaut nicht zur geöffneten Küchentür. Erst als er mit der Schuhspitze an einen Koffer stößt, verharrt er kurz. Dann geht er weiter.

 

Anita hört seine Schritte und rührt die Soße ein. Als der Schuss fällt, schaut sie gerade auf die Uhr. In vier Minuten sind die Kartoffeln gar.

               ***

Die Entlassungspapiere seiner Firma kamen erst am nächsten Morgen mit der Post.

 

V2